Aufnahme des Rechtsstreits über eine zur Tabelle angemeldete und bestrittene abgetretene Forderung ohne Zustimmung des Prozessgegners
BGH v. 16.2.2023 - IX ZR 21/22
Der Sachverhalt:
Im November 2015 erhob die e. GmbH i.L. gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer B. (Schuldner) Stufenklage auf Erteilung von Auskunft über den Verbleib von Gerüstbauteilen sowie auf Zahlung von zunächst noch unbeziffertem Schadensersatz wegen behaupteter Entziehung dieser Bauteile. Der Schuldner wurde in erster Stufe durch Teil-Versäumnisurteil vom 16.8.2016 zur Auskunftserteilung verurteilt und legte hiergegen Einspruch ein.
Am 7.4.2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der e. GmbH i.L. eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 8.6.2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und die Beklagte zur Insolvenzverwalterin bestellt. Der Kläger meldete am 19.5.2020 unter Bezugnahme auf das Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahrens und mit der Bezeichnung "Herausgabe/Schadensersatz von Gerüsten" eine Forderung i.H.v. rd. 100.000 € als eine von der Restschuldbefreiung nach § 302 Nr. 1 InsO ausgenommene Forderung nebst Zinsen und Kosten zur Tabelle an. Im Prüfungstermin widersprachen die Beklagte und der Schuldner der Feststellung der Forderung.
Mit Vertrag vom 23.11.2020 trat der Kläger die angemeldete Forderung an die Antragstellerin ab. Die Antragstellerin wurde in das nachträgliche Schlussverzeichnis vom 3.12.2020 als Gläubigerin von Forderungen i.H.v. von insgesamt rd. 350.000 € aufgenommen. Mit Schriftsatz vom 1.12.2020 erklärte die Antragstellerin die Aufnahme des Rechtsstreits als neue Forderungsinhaberin und nunmehrige Klägerin und beantragte, die angemeldete Forderung nebst Zinsen und Kosten als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zur Insolvenztabelle festzustellen. Die Beklagte hat einer Fortführung des Rechtsstreits durch die Antragstellerin widersprochen.
Das LG lehnte durch Zwischenurteil die Aufnahme des Verfahrens durch die Antragstellerin ab. Die hiergegen gerichtete Berufung der Antragstellerin wies das OLG zurück. Auf die Revision der Antragstellerin hob der BGH die Entscheidungen von LG und OLG auf und entschied, dass die Antragstellerin den Rechtsstreit gegen die Beklagte wirksam als neue Klägerin aufgenommen hat.
Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft meint das OLG, dass die Aufnahme gem. § 180 Abs. 2 InsO durch die Antragstellerin deshalb ausgeschlossen sei, weil die Beklagte der Übernahme des Prozesses durch die Antragstellerin an Stelle des Klägers nicht zugestimmt hat. Die Frage, wer befugt ist, einen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Rechtsstreit aufzunehmen, richtet sich allein nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen. § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist hinsichtlich der Aufnahmebefugnis nicht anwendbar.
§ 4 InsO enthält eine allgemeine Verweisung auf die Vorschriften der ZPO. Die dortigen Vorschriften sind nach § 4 InsO allerdings auf das Insolvenzverfahren nur entsprechend und nur insoweit anzuwenden, als sich aus den Bestimmungen der InsO keine Abweichungen ergeben. Die InsO regelt in den §§ 85, 86, § 180 Abs. 2 InsO, wer befugt ist, einen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Rechtsstreit aufzunehmen. Hinsichtlich der Feststellung von Insolvenzforderungen zur Tabelle regeln §§ 174 ff InsO das insolvenzrechtliche Feststellungsverfahren. Dabei steht es nicht zur Disposition des Bestreitenden, welcher Gläubiger gegen ihn die Feststellung in der Form des § 180 InsO betreiben kann. Die Parteien des Feststellungsverfahrens werden vielmehr insolvenzrechtlich durch §§ 174 ff, 180 f InsO bestimmt. § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist daher auf die Aufnahme eines durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Rechtsstreits nicht anzuwenden.
Mit Rücksicht auf die Notwendigkeit einer Rechtsverfolgung durch Forderungsanmeldung (vgl. § 87 InsO) ist die Zulässigkeit einer insolvenzrechtlichen Feststellungsklage an die Sachurteilsvoraussetzung einer ordnungsgemäßen Anmeldung und Prüfung der geltend gemachten Forderung nach §§ 174 ff InsO gekoppelt. Eine nicht angemeldete, ungeprüfte Forderung kann nicht im Klageweg durchgesetzt werden. Gem. § 181 InsO kann die Feststellung nach Grund, Betrag und Rang der Forderung nur in der Weise begehrt werden, wie die Forderung in der Anmeldung (§ 174 InsO) oder im Prüfungstermin (§ 176 InsO) bezeichnet worden ist. § 181 InsO dient dem Interesse der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger. Dies geschieht (auch) durch die Festlegung der am Feststellungsstreit beteiligten Parteien.
Der Bestreitende kann nicht verhindern, dass derjenige, der nach erfolgtem Prüfungsverfahren als Insolvenzgläubiger mit einer von ihm angemeldeten Forderung in die Insolvenztabelle eingetragen ist, die Feststellung durch Klageerhebung (§ 180 Abs. 1 InsO) oder durch Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits (§ 180 Abs. 2 InsO) betreibt. Dies gilt auch dann, wenn der die Feststellung betreibende Insolvenzgläubiger erst als Rechtsnachfolger des ursprünglichen Gläubigers in die Insolvenztabelle eingetragen worden ist. Allerdings bedarf es grundsätzlich einer neuen - ergänzenden - Anmeldung und Prüfung, wenn der Anspruchsgrund nach der insolvenzrechtlichen Prüfung geändert wird; ohne sie ist eine auf den anderen Anspruchsgrund gestützte Feststellungsklage ebenso unzulässig wie eine Klage ohne jede Anmeldung. Ist diesen Anforderungen genügt, so hat das Prozessgericht über die Feststellungsklage des Insolvenzgläubigers sachlich zu entscheiden. Der (Einzel-)Rechtsnachfolger eines Insolvenzgläubigers ist daher stets dann nach § 180 Abs. 2 InsO zur Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits berechtigt, wenn die bestrittene Forderung nach der Anmeldung und Prüfung, aber vor der Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits auf ihn übergegangen ist und er seinerseits die Forderung im eigenen Namen angemeldet und das Prüfungsverfahren durchlaufen hat.
Den Anforderungen der §§ 174 ff, 181 InsO kann bei einem Wechsel der Rechtsinhaberschaft auch ohne Neuanmeldung und Prüfung genügt sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Rechtsnachfolge - wie hier - zwischen dem Bestreitenden (vgl. § 179 Abs. 1 InsO), dem ursprünglichen Gläubiger und seinem Rechtsnachfolger unstreitig ist. Hat in einem solchen Fall der Gläubiger die in einem Rechtsstreit befangene Forderung erst nach der Anmeldung abgetreten, so kann der Rechtsnachfolger den Rechtsstreit aufnehmen, falls die Rechtsnachfolge gegenüber dem Insolvenzgericht nachgewiesen, die Rechtsnachfolge in der Tabelle vermerkt und dem Bestreitenden angezeigt ist. Diese im Vergleich zu einer Neuanmeldung und Prüfung reduzierten formalen Anforderungen sind einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend, um den von §§ 174 ff, 181 InsO intendierten Schutz der Widerspruchsberechtigten zu gewährleisten. Deren Interesse, Gelegenheit zur Mitwirkung bei der Feststellung der Insolvenzforderungen zu erhalten, ist bei unstreitiger Rechtsnachfolge hinsichtlich einer im Übrigen bestrittenen Forderung nicht beeinträchtigt.
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Rechtsprechung:
Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung
BGH vom 11.08.2022 - IX ZR 78/21ZIP 2022, 1876
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BGH online
Im November 2015 erhob die e. GmbH i.L. gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer B. (Schuldner) Stufenklage auf Erteilung von Auskunft über den Verbleib von Gerüstbauteilen sowie auf Zahlung von zunächst noch unbeziffertem Schadensersatz wegen behaupteter Entziehung dieser Bauteile. Der Schuldner wurde in erster Stufe durch Teil-Versäumnisurteil vom 16.8.2016 zur Auskunftserteilung verurteilt und legte hiergegen Einspruch ein.
Am 7.4.2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der e. GmbH i.L. eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 8.6.2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und die Beklagte zur Insolvenzverwalterin bestellt. Der Kläger meldete am 19.5.2020 unter Bezugnahme auf das Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahrens und mit der Bezeichnung "Herausgabe/Schadensersatz von Gerüsten" eine Forderung i.H.v. rd. 100.000 € als eine von der Restschuldbefreiung nach § 302 Nr. 1 InsO ausgenommene Forderung nebst Zinsen und Kosten zur Tabelle an. Im Prüfungstermin widersprachen die Beklagte und der Schuldner der Feststellung der Forderung.
Mit Vertrag vom 23.11.2020 trat der Kläger die angemeldete Forderung an die Antragstellerin ab. Die Antragstellerin wurde in das nachträgliche Schlussverzeichnis vom 3.12.2020 als Gläubigerin von Forderungen i.H.v. von insgesamt rd. 350.000 € aufgenommen. Mit Schriftsatz vom 1.12.2020 erklärte die Antragstellerin die Aufnahme des Rechtsstreits als neue Forderungsinhaberin und nunmehrige Klägerin und beantragte, die angemeldete Forderung nebst Zinsen und Kosten als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zur Insolvenztabelle festzustellen. Die Beklagte hat einer Fortführung des Rechtsstreits durch die Antragstellerin widersprochen.
Das LG lehnte durch Zwischenurteil die Aufnahme des Verfahrens durch die Antragstellerin ab. Die hiergegen gerichtete Berufung der Antragstellerin wies das OLG zurück. Auf die Revision der Antragstellerin hob der BGH die Entscheidungen von LG und OLG auf und entschied, dass die Antragstellerin den Rechtsstreit gegen die Beklagte wirksam als neue Klägerin aufgenommen hat.
Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft meint das OLG, dass die Aufnahme gem. § 180 Abs. 2 InsO durch die Antragstellerin deshalb ausgeschlossen sei, weil die Beklagte der Übernahme des Prozesses durch die Antragstellerin an Stelle des Klägers nicht zugestimmt hat. Die Frage, wer befugt ist, einen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Rechtsstreit aufzunehmen, richtet sich allein nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen. § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist hinsichtlich der Aufnahmebefugnis nicht anwendbar.
§ 4 InsO enthält eine allgemeine Verweisung auf die Vorschriften der ZPO. Die dortigen Vorschriften sind nach § 4 InsO allerdings auf das Insolvenzverfahren nur entsprechend und nur insoweit anzuwenden, als sich aus den Bestimmungen der InsO keine Abweichungen ergeben. Die InsO regelt in den §§ 85, 86, § 180 Abs. 2 InsO, wer befugt ist, einen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Rechtsstreit aufzunehmen. Hinsichtlich der Feststellung von Insolvenzforderungen zur Tabelle regeln §§ 174 ff InsO das insolvenzrechtliche Feststellungsverfahren. Dabei steht es nicht zur Disposition des Bestreitenden, welcher Gläubiger gegen ihn die Feststellung in der Form des § 180 InsO betreiben kann. Die Parteien des Feststellungsverfahrens werden vielmehr insolvenzrechtlich durch §§ 174 ff, 180 f InsO bestimmt. § 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist daher auf die Aufnahme eines durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Rechtsstreits nicht anzuwenden.
Mit Rücksicht auf die Notwendigkeit einer Rechtsverfolgung durch Forderungsanmeldung (vgl. § 87 InsO) ist die Zulässigkeit einer insolvenzrechtlichen Feststellungsklage an die Sachurteilsvoraussetzung einer ordnungsgemäßen Anmeldung und Prüfung der geltend gemachten Forderung nach §§ 174 ff InsO gekoppelt. Eine nicht angemeldete, ungeprüfte Forderung kann nicht im Klageweg durchgesetzt werden. Gem. § 181 InsO kann die Feststellung nach Grund, Betrag und Rang der Forderung nur in der Weise begehrt werden, wie die Forderung in der Anmeldung (§ 174 InsO) oder im Prüfungstermin (§ 176 InsO) bezeichnet worden ist. § 181 InsO dient dem Interesse der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger. Dies geschieht (auch) durch die Festlegung der am Feststellungsstreit beteiligten Parteien.
Der Bestreitende kann nicht verhindern, dass derjenige, der nach erfolgtem Prüfungsverfahren als Insolvenzgläubiger mit einer von ihm angemeldeten Forderung in die Insolvenztabelle eingetragen ist, die Feststellung durch Klageerhebung (§ 180 Abs. 1 InsO) oder durch Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits (§ 180 Abs. 2 InsO) betreibt. Dies gilt auch dann, wenn der die Feststellung betreibende Insolvenzgläubiger erst als Rechtsnachfolger des ursprünglichen Gläubigers in die Insolvenztabelle eingetragen worden ist. Allerdings bedarf es grundsätzlich einer neuen - ergänzenden - Anmeldung und Prüfung, wenn der Anspruchsgrund nach der insolvenzrechtlichen Prüfung geändert wird; ohne sie ist eine auf den anderen Anspruchsgrund gestützte Feststellungsklage ebenso unzulässig wie eine Klage ohne jede Anmeldung. Ist diesen Anforderungen genügt, so hat das Prozessgericht über die Feststellungsklage des Insolvenzgläubigers sachlich zu entscheiden. Der (Einzel-)Rechtsnachfolger eines Insolvenzgläubigers ist daher stets dann nach § 180 Abs. 2 InsO zur Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits berechtigt, wenn die bestrittene Forderung nach der Anmeldung und Prüfung, aber vor der Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits auf ihn übergegangen ist und er seinerseits die Forderung im eigenen Namen angemeldet und das Prüfungsverfahren durchlaufen hat.
Den Anforderungen der §§ 174 ff, 181 InsO kann bei einem Wechsel der Rechtsinhaberschaft auch ohne Neuanmeldung und Prüfung genügt sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Rechtsnachfolge - wie hier - zwischen dem Bestreitenden (vgl. § 179 Abs. 1 InsO), dem ursprünglichen Gläubiger und seinem Rechtsnachfolger unstreitig ist. Hat in einem solchen Fall der Gläubiger die in einem Rechtsstreit befangene Forderung erst nach der Anmeldung abgetreten, so kann der Rechtsnachfolger den Rechtsstreit aufnehmen, falls die Rechtsnachfolge gegenüber dem Insolvenzgericht nachgewiesen, die Rechtsnachfolge in der Tabelle vermerkt und dem Bestreitenden angezeigt ist. Diese im Vergleich zu einer Neuanmeldung und Prüfung reduzierten formalen Anforderungen sind einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend, um den von §§ 174 ff, 181 InsO intendierten Schutz der Widerspruchsberechtigten zu gewährleisten. Deren Interesse, Gelegenheit zur Mitwirkung bei der Feststellung der Insolvenzforderungen zu erhalten, ist bei unstreitiger Rechtsnachfolge hinsichtlich einer im Übrigen bestrittenen Forderung nicht beeinträchtigt.
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BGH vom 11.08.2022 - IX ZR 78/21ZIP 2022, 1876
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