Aufrechnung nach Widerruf bei Verbraucherdarlehensverträgen
BGH 25.4.2017, XI ZR 108/16Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des vom Kläger erklärten Widerrufs seiner auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. Der Kläger schloss zur Finanzierung des Erwerbs einer Immobilie im Januar 2008 mit der Beklagten einen Darlehensvertrag über einen Nennbetrag von 138.000 € und einen bis zum 31.12.2022 festen Zinssatz von 5,22 % p.a (effektiver Jahreszins 5,35%). Zur Sicherung von Ansprüchen der Beklagten diente ein Grundpfandrecht. Die Beklagte belehrte den Kläger über sein Widerrufsrecht. Darin hieß es u.a.:
"Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung."
Mit Schreiben vom 17.4.2014 widerrief der Kläger seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. Mit seiner Klage begehrt er Rückzahlung der bisher geleisteten Zinsen und Tilgungsraten, Herausgabe der von der Beklagten gezogenen Nutzungen und Zustimmung zur Löschung der Grundschuld sämtlich Zug um Zug gegen Rückzahlung der Darlehensvaluta nebst Zinsen, Feststellung, dass der Beklagten keine Ansprüche mehr gegen den Kläger aus dem Darlehensvertrag zustünden, sowie Freistellung von vorgerichtlich verauslagten Anwaltskosten.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Die Auffassung des OLG, die Widerrufsfrist sei bei Erklärung des Widerrufs am 17.4.2014 bereits abgelaufen gewesen, ist unzutreffend.
Die dem Kläger erteilte Widerrufsbelehrung informierte, was das OLG noch gesehen hat, mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend deutlich über den Beginn und insoweit vom OLG fehleingeschätzt mittels der eingefügten Fußnote: "Bitte Frist im Einzelfall prüfen" unklar über die Länge der Widerrufsfrist. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gem. Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, zwischen dem 8.12.2004 und dem 31.3.2008 geltenden Fassung kann sich die Beklagte entgegen der Rechtsmeinung des OLG nicht berufen. Die Beklagte hat das Muster einer inhaltlichen Bearbeitung unterzogen, die über das nach § 14 Abs. 3 BGB-InfoV in der bis zum 10.6.2010 geltenden Fassung für den Erhalt der Gesetzlichkeitsfiktion Unschädliche hinausgeht.
Beantragt der Rückgewährgläubiger Zahlung Zug um Zug gegen Zahlung, liegt darin eine Aufrechnung. Anderes gölte ausnahmsweise nur dann, wenn ein Aufrechnungsverbot bestünde. Ein solches Aufrechnungsverbot besteht indessen in Fällen wie dem vorliegenden, in denen ein Verbraucher als Rückgewährgläubiger Zahlung von einer Bank als Rückgewährschuldnerin nach Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrags verlangt, weder aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Absprache noch von Gesetzes wegen. Einer Aufrechnung steht auch nicht zumindest teilweise entgegen, dass der Zufluss von Nutzungen den Anfall von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag (§ 1 Abs. 2 SolZG 1995) und ggf. von Kirchensteuer (§ 51a Abs. 2b bis 2e EStG) nach sich ziehen kann.
Die mit dem Einbehalt der Kapitalertragsteuer verbundene besondere Form der Steuererhebung hindert, sofern die vom Kläger beanspruchten Leistungen der Kapitalertragsteuer durch Abzug vom Kapitalertrag nach § 20 Abs. 1 Nr. 7, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Buchst. b EStG unterfallen und solange der Steuerentrichtungspflichtige gem. § 43 S. 2 AO Kapitalertragsteuer nicht abgeführt hat, die Durchsetzung des Anspruchs auf Herausgabe mutmaßlich gezogener Nutzungen durch eine auf den Bruttobetrag gerichtete Zahlungsklage nicht. Der Verbraucher ist in voller Höhe Gläubiger des Anspruchs aus § 357 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. i.V.m. § 346 Abs. 1 Halbs. 2 BGB. Durch die Vorschriften über den Steuerabzug wird zwar die Regel, dass der Schuldner den geschuldeten Betrag unmittelbar an den Gläubiger zu zahlen hat, im Verhältnis zwischen der Bank als Schuldnerin und ihrem Kunden als Gläubiger teilweise durchbrochen.
Der Leistung an den durch das Abzugsverfahren gesetzlich ermächtigten Steuergläubiger durch die Bank als Steuerentrichtungspflichtige kommt Erfüllungswirkung gem. § 362 Abs. 1 BGB im Verhältnis zwischen der Bank und dem Kunde zu, wobei Gerichte anderer Gerichtsbarkeiten als der Finanzgerichtsbarkeit die Berechtigung des Abzugs nicht überprüfen, sofern für den Steuerentrichtungspflichtigen nicht eindeutig erkennbar war, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Diese Erfüllungswirkung ist aber, wenn der Steuerentrichtungspflichtige die Kapitalertragsteuer bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz wie hier noch nicht abgeführt hat, erst im Zwangsvollstreckungsverfahren zu berücksichtigen, ohne dass es hierzu eines besonderen Ausspruchs im Tenor einer zusprechenden Entscheidung bedarf. Weil die besondere Form des Steuerabzugs an der materiell-rechtlichen Forderungsinhaberschaft nichts ändert, kann der Verbraucher auch mit einem Anspruch aus § 357 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. i.V.m. § 346 Abs. 1 Halbs. 2 BGB in voller Höhe aufrechnen.
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