25.02.2014

Bagatellmarktklausel: Umsätze aus Warenlieferungen an inländischen Standort sind Inlandsumsätze

Umsätze aus Warenlieferungen, die nach Absprache unmittelbar an einen inländischen Standort erfolgen, sind als Inlandsumsätze zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn die Entscheidung über den Lieferauftrag von einer im Ausland ansässigen Einkaufsorganisation eines multinationalen Unternehmens getroffen wird.

BGH 21.1.2014, KVR 38/13
Der Sachverhalt:
Die Betroffene zu 1) gehört zu einem Konzern, dessen Anteile von einer Privatstiftung gehalten werden, und ist weltweit in der Herstellung und dem Vertrieb von Fasermaterial aus Zellulose (Viskose) tätig. Die Betroffene zu 1) produziert solche Fasern für den textilen Bereich, fertigt und vertreibt aber auch Viskosematerial, das für die Herstellung von Tampons Verwendung findet. Die Betroffene zu 2) beschäftigt sich ebenfalls mit der Herstellung und dem Vertrieb von Viskose, die u.a. auch für die Produktion von Tampons geeignet ist.

Sämtliche Anteile an der Betroffenen zu 2) hält eine GmbH. Deren Obergesellschaft ist eine Beteiligungsgesellschaft mbH, an der die Betroffene zu 1) mit 45 Prozent beteiligt ist. Die Betroffene zu 1) beabsichtigt, von der GmbH 90 Prozent der Anteile an der Betroffenen zu 2) zu erwerben. Die Betroffenen meldeten im Mai 2012 den beabsichtigten Anteilserwerb an und stellten sich dabei auf den Standpunkt, das Vorhaben betreffe nur einen Bagatellmarkt.

Das Bundeskartellamt untersagte den Zusammenschluss im November 2012. Es sei zu erwarten, dass der Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung der Betroffenen auf dem mindestens europaweiten Markt für Tamponfasermaterial begründe bzw. verstärke. Der Zusammenschluss sei kontrollpflichtig, weil die beteiligten Unternehmen die Umsatzschwellen nach § 35 Abs. 1 und 2 GWB a.F. überschritten. Für die Anwendung der Bagatellmarktklausel (§ 35 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GWB a.F.) seien nicht lediglich die Umsätze mit Tamponfasermaterial i.H.v. 9,6 Mio. € zu berücksichtigen, die die Betroffenen mit Kunden erzielten, die ihren Sitz in Deutschland haben und bei denen Liefer- und Rechnungsadresse übereinstimmten.

Vielmehr seien auch die Umsätze von rd. 10 Mio. € einzubeziehen, die die Betroffenen im Jahr 2011 mit Johnson & Johnson aus Lieferung von Tamponfasermaterial an deren Produktionsstätte in Wuppertal erzielt haben. Dem stehe nicht entgegen, dass der Einkauf dieser Ware durch die für den zentralen Einkauf von Johnson & Johnson zuständige Cilag GmbH International mit Sitz in der Schweiz erfolge. Maßgeblich sei, dass die Ware vereinbarungsgemäß im Wege des Streckengeschäfts direkt nach Wuppertal geliefert werde. Daher seien die entsprechenden Umsätze als inländische Umsätze zu qualifizieren.

Die Beschwerde der Betroffenen gegen diesen Beschluss blieb vor dem OLG ohne Erfolg. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das Zusammenschlussvorhaben ist kontrollpflichtig.

Die Voraussetzungen der Bagatellmarktklausel des § 35 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GWB a.F. liegen nicht vor. Nach dieser Regelung finden die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle keine Anwendung, wenn ein Markt betroffen ist, auf dem seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf dem im letzten Kalenderjahr weniger als 15 Mio. € umgesetzt wurden. Diese Umsatzschwelle ist vorliegend überschritten. Für die Anwendung der Bagatellmarktklausel kommt es allein auf die im Inland erzielten Umsätze an. Im Streitfall liegt der im Inland erzielte Umsatz bereits auf dem Markt für Tamponfasermaterial aus Viskose über 15 Mio. €.

Die zur Anwendung von § 35 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GWB a.F. erforderliche Marktabgrenzung setzt eine geographische Zuordnung von Umsätzen voraus. Um inländischen Umsatz handelt es sich auch dann, wenn die Einkaufsorganisation eines multinationalen Unternehmens im Ausland ansässig ist, die von ihr georderte Ware aber nicht an deren Sitz verbracht und anschließend vom Käufer verteilt, sondern vereinbarungsgemäß direkt an den deutschen Standort geliefert wird. Auch in diesem Fall ist für die geographische Zuordnung des Umsatzes maßgeblich, wo der Bedarf besteht, der durch die zu liefernde Ware gedeckt werden soll. Der Umsatz ist daher nicht dem Land zuzuordnen, in dem die Einkaufsorganisation ihren Sitz hat, sondern dem Land, für das die Waren bestimmt sind.

Diese Zuordnung ist sachgerecht, weil die für den Wettbewerb erheblichen Umstände durch die Verhältnisse am Ort der Lieferung bestimmt werden. Demzufolge sind Umsätze aus Warenlieferungen, die absprachegemäß direkt an einen Standort im Inland erfolgen, ungeachtet dessen, dass die Entscheidung über das Angebot im Ausland, am Sitz des Zentraleinkaufs, getroffen wird, als Inlandsumsätze zu qualifizieren. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind mithin auch die weiteren Umsätze i.H.v. rd. 10 Mio. €, die die Betroffenen im Jahr 2011 aus Lieferungen von Viskosefasern für die Herstellung von Tampons an den in Wuppertal gelegenen Produktionsstandort von Johnson & Johnson erzielt haben, zu berücksichtigen.

Das OLG ist mit dem Bundeskartellamt davon ausgegangen, dass das Vorhaben die Zusammenschlusstatbestände nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3a GWB a.F. erfüllt und die Untersagungsvoraussetzungen nach § 36 GWB a.F. vorliegen. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.

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