13.06.2017

Bargeschäft: Zum Wissen des Gläubigers um die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners

Tauscht der zahlungsunfähige Schuldner mit einem Gläubiger in bargeschäftsähnlicher Weise Leistungen aus, kann allein aus dem Wissen des Gläubigers um die zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht auf sein Wissen von einer Gläubigerbenachteiligung geschlossen werden. Ein solcher Schluss setzt das Wissen des Gläubigers voraus, dass die Belieferung des Schuldners mit gleichwertigen Waren für die übrigen Gläubiger nicht von Nutzen ist, weil der Schuldner fortlaufend unrentabel arbeitet und weitere Verluste erwirtschaftet.

BGH 4.5.2017, IX ZR 285/16
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 5.3.2012 am 6.6.2012 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A-GmbH (Schuldnerin). Diese betrieb einen Getränkehandel. Der Beklagte belieferte sie in ständiger Geschäftsbeziehung mit Getränken. Seine Forderungen zog der Beklagte zunächst mittels Lastschriften von einem Bankkonto der Schuldnerin ein.

Zwischen dem 23.11.2010 und dem 3.3.2011 wurden dem Beklagten neun Lastschriften zurückgegeben. In der Folgezeit belieferte der Beklagte die Schuldnerin nur noch gegen Vorkasse. Zwischen dem 7.3.2011 und dem 31.12.2011 zahlte die Schuldnerin an den Beklagten in 47 Einzelbeträgen insgesamt rd. 28.000 €. Der Kläger verlangt diesen Betrag nebst Zinsen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung vom Beklagten zurück.

Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung des Schuldners wegen vorsätzlicher Benachteiligung nach § 133 Abs. 1 InsO (hier anwendbar in der bis zum 5.4.2017 geltenden Fassung) setzt voraus, dass der Schuldner mit dem Vorsatz handelte, seine Gläubiger zu benachteiligen, und dass der Anfechtungsgegner diesen Vorsatz kannte. Mit Recht hat das OLG eine Kenntnis des Beklagten vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin verneint.

Nach BGH-Rechtsprechung handelt ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, in der Regel mit Benachteiligungsvorsatz. In diesem Fall weiß er, dass sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen. In Fällen kongruenter Leistungen hat der Senat allerdings anerkannt, dass der Schuldner trotz der Indizwirkung einer erkannten Zahlungsunfähigkeit ausnahmsweise nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelt, wenn er seine Leistung Zug um Zug gegen eine zur Fortführung seines Unternehmens unentbehrliche Gegenleistung erbracht hat, die den Gläubigern im Allgemeinen nutzt. Der subjektive Tatbestand kann hiernach nicht festgestellt werden, wenn im unmittelbaren Zusammenhang mit der potenziell anfechtbaren Rechtshandlung eine gleichwertige Gegenleistung in das Vermögen des Schuldners gelangt, also ein Leistungsaustausch ähnlich einem Bargeschäft stattfindet. Dem liegt zugrunde, dass dem Schuldner in diesem Fall infolge des gleichwertigen Leistungsaustauschs die dadurch eingetretene mittelbare Gläubigerbenachteiligung nicht bewusst geworden sein kann.

Auch im Falle eines bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausches wird sich der Schuldner der eintretenden mittelbaren Gläubigerbenachteiligung allerdings dann bewusst werden, wenn er weiß, dass er trotz Belieferung zu marktgerechten Preisen fortlaufend unrentabel arbeitet und deshalb bei der Fortführung seines Geschäfts mittels der durch bargeschäftsähnliche Handlungen erworbenen Gegenstände weitere Verluste anhäuft, die die Befriedigungsaussichten der Gläubiger weiter mindern, ohne dass auf längere Sicht Aussicht auf Ausgleich besteht. Für die in § 133 Abs. 1 InsO vorausgesetzte Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners gelten die vorstehenden Grundsätze entsprechend. Die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners wird nach § 133 Abs. 1 S. 2 InsO vermutet, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Dabei indiziert die Kenntnis von drohender oder bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit regelmäßig die Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung.

Weiß der Anfechtungsgegner nämlich von der drohenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, muss er grundsätzlich auch davon ausgehen, dass Zahlungen an ihn selbst andere Gläubiger benachteiligen, wenn der Schuldner, wie hier, unternehmerisch tätig und deshalb damit zu rechnen war, dass auch andere Gläubiger existieren. Dann weiß der Anfechtungsgegner regelmäßig auch, dass Leistungen aus dem Vermögen des Schuldners an ihn die Befriedigungsmöglichkeiten anderer Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren oder verzögern. Im Falle eines bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausches ist dieser Schluss von erkannter drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf eine durch die angefochtene Zahlung bewirkte Gläubigerbenachteiligung nicht gerechtfertigt. Insofern gilt für die Kenntnis des Anfechtungsgegners nichts anderes als für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners.

Dem Gläubiger kann in diesem Fall wegen des gleichwertigen Leistungsaustauschs wie dem Schuldner trotz Kenntnis von dessen Zahlungsunfähigkeit die gläubigerbenachteiligende Wirkung der an ihn bewirkten Leistung nicht bewusst geworden sein. Die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO greift dann nicht ein. Der zweite Teil des Vermutungstatbestandes ist nicht erfüllt. Anders liegt es nur, wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass der Schuldner unrentabel arbeitet und bei der Fortführung seines Geschäfts weitere Verluste erwirtschaftet. Dann weiß er auch, dass der bargeschäftsähnliche Leistungsaustausch den übrigen Gläubigern des Schuldners nicht nutzt, sondern infolge der an den Anfechtungsgegner fließenden Zahlungen Nachteile bringt. Nach diesen Grundsätzen kann vorliegend eine Kenntnis des Beklagten vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht angenommen werden. Der Beklagte wusste von der defizitären Unternehmensfortführung der Schuldnerin nichts. Dann aber durfte der Beklagte davon ausgehen, dass die übrigen Gläubiger der Schuldnerin durch den bargeschäftsähnlichen Austausch gleichwertiger Leistungen trotz der von ihm erkannten Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht benachteiligt wurden.

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