Bei Auslegung eines Patents kommt es auf den technischen Sinn unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung an
BGH 13.10.2015, X ZR 74/14Die Klägerin machte als Inhaberin einer ausschließlichen Lizenz gegen die Beklagten Ansprüche wegen Verletzung des Klagepatents geltend, das mit dem 8.7.2012 wegen Ablaufs der Schutzdauer erloschen war. Das Klagepatent betrifft eine Luftkappe für eine Farbspritzpistole. Es behandelt das technische Problem, ein Farbspritzsystem zur Verfügung zu stellen, bei dem der Motor weniger belastet wird. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Klagepatent ein Luftkappensystem für eine Farbspritzpistole vor. Das System umfasst i.S.d. Merkmals (b)(2) eine Blockiervorrichtung zum Freigeben der Luftströmung durch den Formkanal bei Blockieren der Luftströmung durch den Entlüftungskanal in einer zweiten Position.
Die Beklagten zu 2) und 3) bieten in Deutschland ein Farbsprühsystem zum Kauf an, das sie von der Beklagten zu 1) beziehen. Die Klägerin war der Ansicht, bei diesem System seien Merkmale des Klagepatents wortsinngemäß, jedenfalls aber durch äquivalente Mittel verwirklicht.
LG und OLG wiesen die nach Erlöschen des Klagepatents zuletzt noch auf Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf, Entfernung aus den Vertriebswegen, Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten und Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Gründe:
Zu Unrecht hatte das Berufungsgericht angenommen, ein Luftkanal sei nur dann i.S.d. Merkmals (b)(2) blockiert, wenn ein Lufteintritt vollständig unterbunden werde.
Nach der ständigen BGH-Rechtsprechung ist für die Auslegung eines Patents nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bedeutung der im Patentanspruch verwendeten Begriffe maßgeblich, sondern deren technischer Sinn, der unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Patent ergeben, zu bestimmen ist. Maßgeblich sind dabei der Sinngehalt eines Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der patentierten Erfindung beitragen.
Das Berufungsgericht ging bei seiner Auslegung des Merkmals von einem allgemeinen Wortsinn aus, für dessen Bestimmung es auf die sprachliche Bedeutung abgestellt hatte. Dies war im Ansatz nicht zu beanstanden. Es hatte sich von diesem Ausgangspunkt aus aber im Wesentlichen nur noch mit der Frage befasst, ob sich der Patentschrift Anhaltspunkte für ein abweichendes Verständnis entnehmen lassen. Diese Vorgehensweise stand in Widerspruch zu den oben dargestellten Grundsätzen.
Die Vorinstanz hätte sich vielmehr mit der Frage befassen müssen, ob Merkmal (b)(2) ein vollständiges Blockieren erfordert oder ob ein teilweises Blockieren ausreichen kann. Letzteres war nämlich der Fall. Werden in einer Patentschrift zwei sich nur graduell unterscheidende Maßnahmen (hier: Blockieren und Drosseln eines Luftstroms) ohne nähere Differenzierung als Ausgangspunkt für eine im Stand der Technik auftretende Schwierigkeit benannt, so kann aus dem Umstand, dass im Patentanspruch nur die stärker wirkende Maßnahme (hier: Blockieren) erwähnt ist, nicht ohne weiteres gefolgert werden, dass die schwächer wirkende Maßnahme zur Verwirklichung der geschützten Lehre nicht ausreicht.
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