22.12.2016

Belgiens Garantie zugunsten der ARCO-Finanzgenossenschaften ist unionsrechtswidrig

Die Garantie, die Belgien den ARCO-Finanzgenossenschaften gewährt hat, verstößt gegen das Unionsrecht. Eine Garantieregelung als solche ist nicht mit der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme unvereinbar, jedoch muss sie mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags, namentlich mit denjenigen über staatliche Beihilfen, in Einklang stehen.

EuGH 21.12.2016, C-76/15
Der Sachverhalt:
Im November 2011 gewährte der belgische Staat den rund 800.000 privaten Anteilseignern der drei ARCO-Finanzgenossenschaften (Arcopar, Arcofin und Arcoplus) den gleichen Schutz wie für Spareinlagen oder bestimmte Lebensversicherungen, d.h. bis zu 100.000 € pro Anleger. Die ARCO-Gruppe, eine der Hauptaktionärinnen der französisch-belgischen Dexia-Bank, wurde so vor einer drohenden Flucht ihrer privaten Anleger aus den drei Finanzgenossenschaften bewahrt. Gleichzeitig wurde ARCO damit in die Lage versetzt, an der Rekapitalisierung von Dexia mitzuwirken. Diese war im Zuge der 2008 ausgebrochenen weltweiten Finanzkrise in schwere Turbulenzen geraten. Seit Ende 2011 befinden sich die drei Finanzgenossenschaften in Abwicklung.

2014 stufte die Kommission diese "ARCO-Garantie" als rechtswidrige - weil nicht rechtzeitig angemeldet - und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe ein. Sie verpflichtete Belgien daher, die damit verbundenen Vorteile zurückzufordern sowie keinerlei Zahlungen auf die Garantie hin zu leisten. Gegen diese Kommissionsentscheidung erhoben die drei Finanzgenossenschaften sowie Belgien Klage vor dem EuG.

Diese Verfahren wurden jedoch ausgesetzt, bis der EuGH im vorliegenden Verfahren die Fragen des belgischen Verfassungsgerichtshofs beantwortet hat. Dieser hat die Verfassungsmäßigkeit des belgischen Nationalbankgesetzes zu prüfen, soweit es derartige Garantien für Anteile an bestimmten zugelassenen Finanzgenossenschaften vorsieht. Nun möchte er im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vom EuGH wissen, ob die Garantieregelung gegen das Unionsrecht, namentlich den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und die Richtlinie 94/19/EG über Einlagensicherungssysteme, verstößt.

Die Gründe:
Die Mitgliedstaaten sorgen in ihrem Hoheitsgebiet für die Errichtung und amtliche Anerkennung eines oder mehrerer Einlagensicherungssysteme. "Einlage" ist dabei als Guthaben zu verstehen, das sich aus auf einem Konto verbliebenen Beträgen oder aus Zwischenpositionen im Rahmen von normalen Bankgeschäften ergibt und von einem Kreditinstitut nach den geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bedingungen zurückzuzahlen ist. Außerdem fallen hierunter Forderungen, die das Kreditinstitut durch Ausstellung einer Urkunde verbrieft hat. Anteile an im Finanzsektor tätigen zugelassenen Genossenschaften fallen hingegen nicht unter diese Definition. Es ist offensichtlich, dass es sich bei solchen Anteilen im Kern um eine Beteiligung am Eigenkapital einer Gesellschaft handelt, während Einlagen im Sinne der Richtlinie zum Fremdkapital eines Kreditinstituts gehören. Der Erwerb solcher Anteile ist somit eher mit dem Erwerb von Aktien - für die keine Absicherung vorgesehen ist - als mit der Einzahlung auf ein Bankkonto vergleichbar.

Die im Finanzsektor tätigen zugelassenen Genossenschaften fallen zudem nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie. Die Tätigkeit dieser Gesellschaften besteht nicht darin, Kredite für eigene Rechnung zu gewähren. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese Gesellschaften Einlagen des Publikums entgegennähmen oder in der für Banken charakteristischen Weise regelmäßig Kredite für eigene Rechnung vergäben. Insoweit erlegt die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht die Verpflichtung auf, eine Garantieregelung für Anteile an im Finanzsektor tätigen zugelassenen Genossenschaften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu erlassen. Gleichwohl erscheint der Umstand, dass eine Einlagensicherungsregelung auf Genossenschaftsanteile ausgeweitet wird, als solcher nicht mit der Richtlinie unvereinbar.

Eine solche Ausweitung darf jedoch nicht die praktische Wirksamkeit der Einlagensicherungsregelung beeinträchtigen, die einzuführen die genannte Richtlinie vorschreibt. Je höher nämlich die abzusichernden Risiken sind, desto mehr wird die Einlagensicherung verwässert. Es ist Sache des Verfassungsgerichtshofs, zu prüfen, ob der Erlass einer solchen Garantieregelung die praktische Wirksamkeit der Einlagensicherungsregelung beeinträchtigen kann. Der Verfassungsgerichtshof hat insoweit u.a. den Umstand zu berücksichtigen, dass der Erlass einer solchen Regelung für Genossenschaftsanteile im vorliegenden Fall dazu führt, dass eine große Anzahl von Kleinanlegern in das belgische Einlagensicherungssystem einbezogen werden. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Gesellschaften der ARCO-Gruppe, die dieser Garantieregelung kurz vor der Geltendmachung der danach vorgesehenen Garantie beigetreten sind, in der Vergangenheit nicht zu deren Finanzierung beigetragen haben. Außerdem muss eine solche Ausweitung mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags, namentlich mit denjenigen über staatliche Beihilfen, in Einklang stehen.

Was den Kommissionsbeschluss betrifft, mit dem die "ARCO-Garantie" als rechtswidrige (weil nicht rechtzeitig angemeldet) und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe eingestuft wurde, ist festzustellen, dass die Kommission diese Garantie zu Recht als "staatliche Beihilfe" einstufte. Der Beschluss ist auch hinreichend begründet. Die Prüfung des EuGH hat mithin nichts ergeben hat, was die Gültigkeit dieses Beschlusses beeinträchtigen könnte. Außerdem durfte die Kommission in ihrem Beschluss berechtigterweise den Schluss ziehen, dass die in Rede stehende Garantieregelung von Belgien rechtswidrig durchgeführt wurde.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuG PM Nr. 142 vom 21.12.2016
Zurück