Beschleunigter Atomausstieg im Wesentlichen mit dem GG vereinbar - Teilerfolg der Energiekonzerne
BVerfG 6.12.2016, 1 BvR 1456/12 u.a.Die Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen die im Jahr 2011 von der schwarz-gelben Koalition beschlossene Beschleunigung des Ausstiegs aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die Grundentscheidung für den Ausstieg war bereits durch die Ausstiegsnovelle im Jahr 2002 beschlossen worden. Den einzelnen Kernkraftwerken wurden daraufhin Kontingente an Reststrommengen zugeteilt, die auch auf andere, jüngere Kernkraftwerke übertragen werden durften. Nach deren Verbrauch waren die Kraftwerke abzuschalten. Ein festes Enddatum enthielt das Ausstiegsgesetz aus dem Jahr 2002 nicht.
Nach der Bundestagswahl 2009 entschied sich die neue Bundesregierung zunächst für ein verändertes Energiekonzept, das die Kernenergie noch für einen längeren Zeitraum als "Brückentechnologie" nutzen sollte. Demgemäß gewährte der Gesetzgeber im Herbst 2010 mit der 11. AtG-Novelle allen Kernkraftwerken zusätzliche Reststrommengen und verfolgte damit das Ziel einer Verlängerung der Laufzeiten um durchschnittlich 12 Jahre.
Infolge der Tsunami-Tragödie in Japan im März 2011 und dem dadurch ausgelösten Schmelzen von drei Reaktorkernen im Kernkraftwerk Fukushima hat der Gesetzgeber mit der 13. AtG-Novelle erstmals feste Endtermine für den Betrieb der Kernkraftwerke gesetzlich verankert und zugleich die durch die 11. AtG-Novelle vorgenommene Laufzeitverlängerung rückgängig gemacht. Hiergegen wandten sich die Energiekonzerne Vattenfall, RWE und Eon mit ihren Verfassungsbeschwerden. Die Beschwerdeführerinnen rügten vornehmlich eine Verletzung der Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 Abs. 1 GG. Die mit dem Ausstiegsgesetz von 2002 getroffene Grundsatzentscheidung über den Atomausstieg in Deutschland war hingegen nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde.
Das BVerfG gab den Verfassungsbeschwerden teilweise statt. Der Gesetzgeber muss bis 30.6.2018 eine Neuregelung treffen.
Die Gründe:
Zunächst einmal war auch die Verfassungsbeschwerde des schwedischen Konzerns Vattenfall, an dem der schwedische Staat mehrheitlich beteiligt ist, zulässig. Zwar können ausländische staatliche Organisationen vor dem BVerfG eigentlich nicht klagen. Ohne die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde bedürfte es angesichts der schweren Beeinträchtigung der Beschwerdeführerin allerdings durch die 13. AtG-Novelle der Rechtfertigung vor der Niederlassungsfreiheit. Da es vorliegend an den Voraussetzungen für die Rechtfertigung fehlen würde, war der Beschwerdeführerin die Gesetzesverfassungsbeschwerde gegen die 13. AtG-Novelle jedoch zu eröffnen.
Die Verfassungsbeschwerde war auch teilweise begründet. Die Regelungen der 13. AtG-Novelle erweisen sich zwar weitgehend als eine zumutbare und auch die Anforderungen des Vertrauensschutzes und des Gleichbehandlungsgebots wahrende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums. Das Eigentum der Beschwerdeführerinnen wird allerdings durch die 13. AtG-Novelle in mehrfacher Hinsicht beeinträchtigt. So stellt die Einführung fester Abschalttermine für die in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke einen konzerninternen Verbrauch der im Jahr 2002 jedem Kernkraftwerk gesetzlich zugewiesenen Stromerzeugungskontingente bis zu den festgesetzten Abschaltdaten nicht sicher. Hierdurch werden die durch die Eigentumsgarantie geschützten Nutzungsmöglichkeiten der Anlagen unzumutbar, teilweise auch gleichheitswidrig beschränkt.
Demgegenüber steht die Streichung der mit der 11. AtG-Novelle aus Dezember 2010 den einzelnen Kernkraftwerken zusätzlich gewährten Stromerzeugungskontingente in Einklang mit dem GG. Mit Art. 14 GG unvereinbar ist ferner, dass die 13. AtG-Novelle keine Regelung zum Ausgleich für Investitionen vorsieht, die im berechtigten Vertrauen auf die im Jahr 2010 zusätzlich gewährten Stromerzeugungskontingente vorgenommen, durch deren Streichung mit der 13. AtG-Novelle aber entwertet wurden. § 7 Abs. 1a S. 1 AtG ist zunächst weiter anwendbar.
Das BVerfG hat zudem festgestellt, dass die atomrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Kernkraftwerksanlage oder die Genehmigung zum Leistungsbetrieb selbst kein nach Art. 14 GG geschütztes Eigentumsrecht darstellt. Sie sind nicht vergleichbar jenen subjektiven öffentlichen Rechten, denen nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung Eigentumsschutz zuerkannt wird.
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