04.01.2016

Beschränkt ein Mindestverkaufspreis pro Alkoholeinheit den Handelsverkehr?

Das schottische Gesetz zur Einführung eines Mindestverkaufspreises pro Alkoholeinheit verstößt gegen das Unionsrecht, sofern weniger einschränkende steuerliche Maßnahmen erlassen werden können. Eine steuerliche Maßnahme könnte zusätzliche Vorteile mit sich bringen und dem Ziel, Alkoholmissbrauch zu bekämpfen, umfassender dienen.

EuGH 23.12.2015, C-333/14
Der Sachverhalt:
2012 verabschiedete das schottische Parlament ein Gesetz über den Mindestpreis für alkoholische Getränke in Schottland. Dieses Gesetz schreibt einen Mindestpreis pro Alkoholeinheit (MPA) vor, der von jedermann einzuhalten ist, der in Schottland aufgrund einer Konzession alkoholische Getränke im Einzelhandel verkaufen darf. Dieser Mindestpreis errechnet sich anhand einer Formel, die den Alkoholgehalt und das Alkoholvolumen in dem Erzeugnis berücksichtigt.

Das schottische Gesetz soll die Gesundheit und das Leben von Menschen schützen. Ein Mindestpreis pro Alkoholeinheit hätte nämlich zur Folge, dass der zurzeit geringe Preis bestimmter stark alkoholhaltiger Getränke steigen würde. Diese Art von Getränken wird häufig von Verbrauchern mit Alkoholproblemen gekauft. Nach Ansicht des schottischen Gesetzgebers ließe sich dieses Ziel mit steuerlichen Maßnahmen nicht mit demselben Erfolg erreichen.

Die klagende Scotch Whisky Association und andere klagende Verbände von Herstellern alkoholischer Getränke sind der Auffassung, das schottische Gesetz sei eine mit dem Unionsrecht unvereinbare mengenmäßige Beschränkung des Handelsverkehrs und habe eine Verfälschung des Wettbewerbs zwischen Alkoholhändlern zur Folge. Ihrer Ansicht nach ließen sich die mit dem Gesetz verfolgten Ziele auf weniger einschränkende Weise durch steuerliche Maßnahmen verwirklichen.

In diesem Zusammenhang möchte der mit dem Rechtsstreit befasste Oberste Gerichtshof Schottlands wissen, ob die Einführung eines Mindestpreises mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Er stellt insbesondere die Frage, ob das streitige Gesetz zur Folge hat, dass der freie Warenverkehr eingeschränkt wird, und, falls ja, ob diese Einschränkung mit dem Gesundheitsschutz gerechtfertigt werden kann. Das schottische Gericht fragt außerdem, ob diese Maßnahme gerechtfertigt sein kann, wenn es dem Mitgliedstaat frei steht, steuerliche Maßnahmen zu ergreifen, die den freien Warenverkehr und den Wettbewerb weniger verfälschen, aber umfassendere Ziele verfolgen als die konkret angestrebten.

Die Gründe:
Die schottischen Rechtsvorschriften wirken sich sehr einschränkend auf den Markt aus. Dies könnte vermieden werden, wenn anstelle einer Maßnahme, die einen Mindestverkaufspreis pro Alkoholeinheit vorschreibt, eine steuerliche Maßnahme mit dem Ziel einer Erhöhung des Preises für Alkohol eingeführt würde.

Die Verordnung über die gemeinsame Marktorganisation für Weine (Verordnung (EU) Nr. 1308/2013) steht der Vorgabe eines MPA für den Verkauf von Wein im Einzelhandel nicht entgegen. Die Schaffung einer gemeinsamen Marktorganisation hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, nationale Regelungen anzuwenden, die ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel wie den Gesundheitsschutz verfolgen, sofern diese Regelungen verhältnismäßig sind. Die vorliegende Maßnahme verhindert, dass sich niedrigere Gestehungskosten eingeführter Erzeugnisse im Verkaufspreis niederschlagen können. Damit ist sie geeignet, alkoholhaltigen Getränken aus anderen Mitgliedstaaten den Zugang zum britischen Markt zu erschweren, und daher als ein Hindernis für den freien Warenverkehr einzustufen. Eine derartige Maßnahme lässt sich nur mit Gründen des Gesundheitsschutzes rechtfertigen, wenn sie gemessen an dem mit ihr verfolgten Ziel verhältnismäßig ist.

Die schottischen Rechtsvorschriften verfolgen insoweit ein doppeltes Ziel - eine Verringerung des gefährlichen Alkoholkonsums und auch ganz allgemein des Alkoholkonsums in der schottischen Bevölkerung. Auch wenn die Vorgabe eines MPA, der die Preise für billigen Alkohol erhöhen soll, geeignet ist, den Alkoholkonsum zu verringern, ist ein Vorgehen wie das in Schottland nicht gerechtfertigt, wenn die Gesundheit ebenso wirksam durch weniger einschränkende steuerliche Maßnahmen geschützt werden kann. Eine fiskalische Maßnahme, mit der die Steuern auf alkoholische Getränke erhöht werden, könnte insoweit weniger einschränkend sein als eine Maßnahme, mit der ein MPA vorgegeben wird. Denn so würde sie den Wirtschaftsteilnehmern, anders als ein Mindestpreis, die Freiheit lassen, ihre Verkaufspreise selbst festzulegen.

Letztlich ist es vorliegend Aufgabe des nationalen Gerichts festzustellen, ob andere Maßnahmen (also etwa die erhöhte Besteuerung alkoholischer Getränke) geeignet sind, die Gesundheit und das Leben von Menschen ebenso wirksam zu schützen wie die derzeitigen Rechtsvorschriften, und gleichzeitig den Handel mit diesen Waren innerhalb der Union weniger einzuschränken. Dass sich mit steuerlichen Maßnahmen das Ziel des Gesundheitsschutzes möglicherweise in einem umfassenderen Sinne erreichen ließe, kann es nicht rechtfertigen, dass von solchen Maßnahmen Abstand genommen wird.

Eine steuerliche Maßnahme würde eine allgemeine Anhebung der Getränkepreise nach sich ziehen und dadurch zur Verwirklichung des allgemeinen Ziels der Bekämpfung von Alkoholmissbrauch beitragen, da sie nicht nur Verbraucher mit gefährdendem oder schädigenden Trinkverhalten beträfe, sondern auch mit gemäßigtem Alkoholkonsum. Dies würde in Anbetracht des doppelten Ziels, das der schottische Gesetzgeber verfolgt, eher für diese steuerliche Maßnahme als für einen MPA sprechen. Das schottische Gericht ist zudem gehalten, sämtliche von der schottischen Regierung vorgelegten Beweise objektiv zu prüfen, wobei es sich insoweit nicht auf die Informationen beschränken darf, die zur Zeit der Verabschiedung der streitigen Rechtsvorschriften durch den Gesetzgeber verfügbar waren.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 155 vom 23.12.2015
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