BGH begrenzt sog. "abgeleitetes" Informationsinteresse der Öffentlichkeit
BGH v. 6.12.2022 - VI ZR 237/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Rechtsanwalt in Berlin. Die Beklagte ist verantwortlich für den Inhalt der Zeitschrift "BUNTE" sowie für die Website. In der Ausgabe vom 29.11.2018 hatte die Beklagte über das Ende der Liebesbeziehung zwischen dem ehemaligen Eiskunstlaufstar W. und dem Kläger, wobei in der Berichterstattung nur W., nicht aber der Kläger namentlich genannt wurde. Auf der Titelseite fand sich folgender Text: "[Voller Name von W.] Liebes-Aus! Ihr Ex-Freund hat schon eine Neue" "Die frühere Eiskunstläuferin ist wieder Single". Auch auf der Internetseite des Unternehmens wurde zuvor darüber berichtet.
In der Annahme, die dargestellte Berichterstattung verletze (auch) ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, hat der Kläger die Beklagte in den Vorinstanzen - nach erfolgloser Aufforderung der Beklagten zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung und Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung; eine solche hatte auch W. erwirkt - auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 836 € und darauf in Anspruch genommen, es zu unterlassen, Folgendes in Bezug auf den Kläger zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten und/oder veröffentlichen und/oder verbreiten zu lassen.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Das KG kürzte im Berufungsverfahren die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten auf 711 € und erlaubte der Beklagten die Veröffentlichung von zwei Passagen. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.
Gründe:
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger der von ihm geltend gemachte Unterlassungsanspruch in Bezug auf die für unzulässig gehaltenen Aussagen in der angegriffenen Berichterstattung aus § 823 Abs. 1, § 1004 (analog) BGB i.V.m. mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zusteht.
Der Schutz der Privatsphäre ist sowohl thematisch als auch räumlich bestimmt. Er umfasst insbesondere Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsgehalts typischerweise als "privat" eingestuft werden. Dazu gehören nach gefestigter Senatsrechtsprechung auch Informationen über das Bestehen einer Liebesbeziehung, deren Bekanntwerden der Betroffene - aus welchen Gründen auch immer - nicht wünscht, sondern vielmehr geheim halten möchte. Nichts anderes kann für Informationen über das Ende einer Liebesbeziehung gelten.
Infolgedessen beeinträchtigte die Berichterstattung über das Ende der Beziehung der W. zum Kläger letzteren unmittelbar in seinem Recht auf Achtung der Privatsphäre. Eine - nicht öffentlich gemachte - Liebesbeziehung und ihr Ende sind Teil der Privatsphäre beider daran beteiligter Partner. Eine diesbezügliche Berichterstattung berührt damit auch die Privatsphäre beider Partner, soweit diese für potentielle Leser identifizierbar sind. Dabei ist nicht entscheidend, ob alle oder ein erheblicher Teil der Adressaten der Berichterstattung oder gar der "Durchschnittsleser" die betroffene Person identifizieren können. Vielmehr reicht es aus, dass über die Berichterstattung Informationen über den Betroffenen an solche Personen geraten, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, die betroffene Person zu identifizieren.
Die Beeinträchtigung der Privatsphäre des Klägers erwies sich als rechtswidrig. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre des Klägers und der Pressefreiheit der Beklagten gebühre den schützenswerten Interessen des Klägers der Vorrang, traf in der Sache zu. Das für die Rechtmäßigkeit einer in die Privatsphäre einer Person eingreifenden Berichterstattung grundsätzlich erforderliche berechtigte öffentliche Informationsinteresse kann sich in Bezug auf eine von der Berichterstattung mitbetroffene Person zwar auch daraus ergeben, dass ein solches Interesse an der Berichterstattung allein in Bezug auf eine andere Person besteht (vgl. Senatsurteil vom 17.5.2022 - VI ZR 141/21, AfP 2022, 429 Rn. 57). Voraussetzung für das Vorliegen eines solchen in Bezug auf eine andere Person bestehenden, in Bezug auf den Mitbetroffenen also "abgeleiteten" Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist allerdings, dass die Berichterstattung der anderen Person gegenüber zulässig ist.
Für den Streitfall bedeutet dies, dass dann, wenn die angegriffene Berichterstattung gegenüber W. unzulässig ist, im Verhältnis zum Kläger nicht von einem berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit ausgegangen werden kann. Auf der Grundlage des für das Revisionsverfahren relevanten Sachverhalts traf die Beurteilung des Berufungsgerichts, die angegriffene Berichterstattung sei (auch) gegenüber W. unzulässig, zu; die Berichterstattung verletzte (auch) W. in ihrem Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre als Ausprägung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dass W. ihre Beziehung zum Kläger oder deren Ende selbst preisgegeben hätte, war weder festgestellt noch von der Revision als übergangen gerügtem Vortrag der Beklagten zu entnehmen.
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Der Kläger ist Rechtsanwalt in Berlin. Die Beklagte ist verantwortlich für den Inhalt der Zeitschrift "BUNTE" sowie für die Website. In der Ausgabe vom 29.11.2018 hatte die Beklagte über das Ende der Liebesbeziehung zwischen dem ehemaligen Eiskunstlaufstar W. und dem Kläger, wobei in der Berichterstattung nur W., nicht aber der Kläger namentlich genannt wurde. Auf der Titelseite fand sich folgender Text: "[Voller Name von W.] Liebes-Aus! Ihr Ex-Freund hat schon eine Neue" "Die frühere Eiskunstläuferin ist wieder Single". Auch auf der Internetseite des Unternehmens wurde zuvor darüber berichtet.
In der Annahme, die dargestellte Berichterstattung verletze (auch) ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, hat der Kläger die Beklagte in den Vorinstanzen - nach erfolgloser Aufforderung der Beklagten zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung und Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung; eine solche hatte auch W. erwirkt - auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 836 € und darauf in Anspruch genommen, es zu unterlassen, Folgendes in Bezug auf den Kläger zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten und/oder veröffentlichen und/oder verbreiten zu lassen.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Das KG kürzte im Berufungsverfahren die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten auf 711 € und erlaubte der Beklagten die Veröffentlichung von zwei Passagen. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.
Gründe:
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger der von ihm geltend gemachte Unterlassungsanspruch in Bezug auf die für unzulässig gehaltenen Aussagen in der angegriffenen Berichterstattung aus § 823 Abs. 1, § 1004 (analog) BGB i.V.m. mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zusteht.
Der Schutz der Privatsphäre ist sowohl thematisch als auch räumlich bestimmt. Er umfasst insbesondere Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsgehalts typischerweise als "privat" eingestuft werden. Dazu gehören nach gefestigter Senatsrechtsprechung auch Informationen über das Bestehen einer Liebesbeziehung, deren Bekanntwerden der Betroffene - aus welchen Gründen auch immer - nicht wünscht, sondern vielmehr geheim halten möchte. Nichts anderes kann für Informationen über das Ende einer Liebesbeziehung gelten.
Infolgedessen beeinträchtigte die Berichterstattung über das Ende der Beziehung der W. zum Kläger letzteren unmittelbar in seinem Recht auf Achtung der Privatsphäre. Eine - nicht öffentlich gemachte - Liebesbeziehung und ihr Ende sind Teil der Privatsphäre beider daran beteiligter Partner. Eine diesbezügliche Berichterstattung berührt damit auch die Privatsphäre beider Partner, soweit diese für potentielle Leser identifizierbar sind. Dabei ist nicht entscheidend, ob alle oder ein erheblicher Teil der Adressaten der Berichterstattung oder gar der "Durchschnittsleser" die betroffene Person identifizieren können. Vielmehr reicht es aus, dass über die Berichterstattung Informationen über den Betroffenen an solche Personen geraten, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, die betroffene Person zu identifizieren.
Die Beeinträchtigung der Privatsphäre des Klägers erwies sich als rechtswidrig. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre des Klägers und der Pressefreiheit der Beklagten gebühre den schützenswerten Interessen des Klägers der Vorrang, traf in der Sache zu. Das für die Rechtmäßigkeit einer in die Privatsphäre einer Person eingreifenden Berichterstattung grundsätzlich erforderliche berechtigte öffentliche Informationsinteresse kann sich in Bezug auf eine von der Berichterstattung mitbetroffene Person zwar auch daraus ergeben, dass ein solches Interesse an der Berichterstattung allein in Bezug auf eine andere Person besteht (vgl. Senatsurteil vom 17.5.2022 - VI ZR 141/21, AfP 2022, 429 Rn. 57). Voraussetzung für das Vorliegen eines solchen in Bezug auf eine andere Person bestehenden, in Bezug auf den Mitbetroffenen also "abgeleiteten" Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist allerdings, dass die Berichterstattung der anderen Person gegenüber zulässig ist.
Für den Streitfall bedeutet dies, dass dann, wenn die angegriffene Berichterstattung gegenüber W. unzulässig ist, im Verhältnis zum Kläger nicht von einem berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit ausgegangen werden kann. Auf der Grundlage des für das Revisionsverfahren relevanten Sachverhalts traf die Beurteilung des Berufungsgerichts, die angegriffene Berichterstattung sei (auch) gegenüber W. unzulässig, zu; die Berichterstattung verletzte (auch) W. in ihrem Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre als Ausprägung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dass W. ihre Beziehung zum Kläger oder deren Ende selbst preisgegeben hätte, war weder festgestellt noch von der Revision als übergangen gerügtem Vortrag der Beklagten zu entnehmen.
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