BGH entscheidet erneut über Schadensersatzklagen von Lehman-Anlegern
BGH 16.10.2012, XI ZR 367/11 u.a.In den vorliegenden Verfahren erwarben die klagenden Anleger jeweils im Februar 2007 von derselben beklagten Bank für Anlagebeträge i.H.v. 20.000 € (XI ZR 367/11) bzw. 32.000 € (XI ZR 368/11) "Global Champion Zertifikate" zu einem dem Nennwert entsprechenden Stückpreis von 1.000 €. Bei diesen Zertifikaten handelt es sich um Inhaberschuldverschreibungen der niederländischen Lehman Brothers Treasury Co. B.V., deren Rückzahlung von der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc. garantiert wurde.
Zeitpunkt und Höhe der Rückzahlung der Zertifikate sowie mögliche Bonuszahlungen an die Anleger i.H.v. 8,75 Prozent des angelegten Betrages sollten nach näherer Maßgabe der Zertifikatbedingungen von der Wertentwicklung dreier Aktienindizes abhängig sein, mit denen das Zertifikat unterlegt war. Die Beklagte erhielt von der Emittentin jeweils eine Provision von 3,5 Prozent, die sie den Anlegern nicht offenbarte.
Mit der Insolvenz der Emittentin (Lehman Brothers Treasury Co. B.V.) und der Garantin (Lehman Brothers Holdings Inc.) im September 2008 wurden die erworbenen Zertifikate weitgehend wertlos. Die Anleger erstreben mit ihren Klagen im Wesentlichen die Rückzahlung der jeweiligen Anlagebeträge abzüglich vor der Insolvenz der Emittentin erfolgter Bonuszahlungen.
+++ XI ZR 367/11 +++
Das OLG gab der Klage - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - statt. Die Beklagte hafte schon deshalb, weil sie die Klägerin im Beratungsgespräch nicht über die bei Ausführung des Wertpapiergeschäfts von ihr vereinnahmte "Platzierungsprovision" i.H.v. 3,5 Prozent aufgeklärt habe. Die Beklagte, die die Wertpapiere zunächst im eigenen Namen erworben und nachfolgend im Wege des Festpreisgeschäfts an die Klägerin veräußert habe, sei zu einer vollständigen Information über die mit der Auftragsausführung verbundenen Gebühren, Provisionen, Entgelte und Auslagen verpflichtet gewesen.
Zudem habe die Beklagte sich bei Ausführung der Kauforder - ähnlich wie bei Rückvergütungen im Sinne der "Kick-back"-Rechtsprechung des BGH - in einem offenbarungspflichtigen Interessenkonflikt befunden. Ein Beratungsverschulden der Beklagten liege schließlich auch darin, dass sie den Wertpapierauftrag ohne Kenntnis der Klägerin "eigenmächtig" im Wege des Festpreisgeschäfts ausgeführt habe. Auf die Revision der beklagten Bank hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Jedenfalls mit der gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die beklagte Bank nicht bejaht werden.
+++ XI ZR 368/11 +++
LG und OLG wiesen die Klage ab. Das OLG vertrat die Ansicht, die Empfehlung zum Erwerb der streitigen Zertifikate sei insbes. deshalb anlegergerecht gewesen, weil es sich bei der Klägerin um eine erfahrene Anlegerin gehandelt habe. Die Klägerin habe sowohl vor als auch nach Zeichnung der "Lehman-Zertifikate" weitere Wertpapiere - insbes. Aktien insolventer deutscher und amerikanischer Unternehmen - erworben, bei denen sie ein Totalverlustrisiko in Kauf genommen habe.
Selbst bei Annahme einer Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten könne sich die Klägerin daher jedenfalls nicht auf die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens berufen. Denn diese Vermutung sei durch das hoch spekulative Kaufverhalten der Klägerin, das sie sogar nach der Insolvenz von Lehman Brothers fortgesetzt habe, widerlegt. Eine Beratungspflichtverletzung sei schließlich nicht darin zu sehen, dass die Beklagte über ihre bei dem Wertpapierverkauf erzielte Gewinnmarge i.H.v. 3,5 Prozent nicht aufgeklärt habe. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Mit den beiden vorliegenden Revisionsentscheidungen hat der XI. Zivilsenat seine Rechtsprechung zu "Lehman-Zertifikaten" in den Urteilen vom 27.9.2011 (XI ZR 178/10 und XI ZR 182/10) sowie vom 26.6.2012 (XI ZR 259/11, XI ZR 316/11, XI ZR 355/11 und XI ZR 356/11) bestätigt.
Bei einem Festpreisgeschäft muss die beratende Bank den Kunden auf der Grundlage der insoweit gebotenen typisierenden Betrachtungsweise weder über ihre Gewinnmarge noch darüber aufklären, dass der Zertifikaterwerb im Wege eines Eigengeschäfts (Kaufvertrag) erfolgt. Für den Fall, dass dem Zertifikaterwerb ein Kommissionsvertrag zwischen dem Anleger und der Bank zugrunde liegt, besteht jedenfalls keine Aufklärungspflicht der Bank über eine allein von der Emittentin an sie gezahlte Vergütung.
Eine solche Aufklärungspflicht ergibt sich insbes. nicht aus den Rechtsprechungsgrundsätzen zu Rückvergütungen. Denn diese Grundsätze betreffen lediglich Rückvergütungen aus offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen, deren Rückfluss an die beratende Bank dem Kunden verheimlicht wird. In beiden hier zu entscheidenden Fällen wiesen die Wertpapierabrechnungen dagegen nur den an die Beklagte zu zahlenden Nominal- bzw. Kurswert der Zertifikate, aber keine von den Anlegern an die Emittentin zu entrichtenden und ohne Wissen der Anleger an die Bank zurückfließenden Posten aus.
Hintergrund:
In zwei weiteren, ursprünglich ebenfalls auf den 16.10.2012 terminierten Verfahren waren die Verhandlungstermine aufgehoben worden, weil die Anleger - jeweils nach Abschluss außergerichtlicher Vergleiche - ihre Revisionen zurückgenommen hatten. Insgesamt sind seit April 2011 in sieben "Lehman-Sachen" die Verhandlungstermine infolge Revisionsrücknahme aufgehoben worden.
Linkhinweis:
- Die Volltexte der Entscheidungen werden demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
- Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.