Bildliche Darstellungen eines eingetragenen Designs können maßgeblich sein (Zahnimplantat)
BGH v. 20.4.2021 - X ZR 40/19
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für Deutschland erteilten europäischen Patents 646 362, das am 20.9.1994 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 21.9.1993 angemeldet worden war und ein Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz beinhaltet. Es betrifft das Problem, ein Schraubimplantat zur Verfügung zu stellen, das sich leicht in den Kiefer einsetzen lässt und dort sowohl rasch als auch fest einheilt.
Die Klägerin, die wegen Verletzung des Streitpatents rechtskräftig verurteilt ist, hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Anmeldung hinaus, sei nicht patentfähig und nicht so offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent in der geltenden Fassung sowie mit drei Hilfsanträgen verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen richtete sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent mit ihren erstinstanzlichen Anträgen sowie einem neuen Hilfsantrag verteidigte. Der BGH hat das Urteil des Bundespatentgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.
Gründe:
Auch die Veröffentlichung eines eingetragenen Designs kann einen geeigneten Ausgangspunkt für technische Überlegungen bilden. Der Senat hat - ohne die Frage zu problematisieren - schon verschiedentlich Designpatente und Geschmacksmuster als möglichen Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2011 - X ZR 135/08; Urt. v. 5.10.2016 - X ZR 78/14 - Opto-Bauelement; Urt. v. 18.12.2018 - X ZR 37/17 - Eierkarton). Diese Vorgehensweise steht in Einklang mit Art. 54 Abs. 2 EPÜ und der darauf beruhenden Rechtsprechung des Senats zum Offenbarungsgehalt von Zeichnungen in Patenanmeldungen.
Nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ bildet den Stand der Technik alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist. Hierzu gehören nicht nur textliche, sondern auch bildliche Darstellungen. Vor allem im Zusammenhang mit der Frage, ob der Gegenstand eines Patents ursprünglich offenbart ist, hat der Senat deshalb wiederholt entschieden, dass technische Merkmale auch allein durch die in einer Patentanmeldung enthaltenen Zeichnungen offenbart sein können.
Ein vergleichbarer Offenbarungsgehalt kann sich im Einzelfall auch aus Zeichnungen oder bildlichen Darstellungen in den veröffentlichten Unterlagen eines eingetragenen Designs ergeben. Solche Unterlagen enthalten zwar in der Regel keine ausdrücklichen Ausführungen zu technischen Aspekten. Ihnen kann aber dennoch ein technischer Offenbarungsgehalt zukommen, wenn schon aus der bildlichen Darstellung technische Zusammenhänge oder Funktionen hervorgehen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf technische Merkmale, die schon durch bloße Inaugenscheinnahme eines Erzeugnisses wahrnehmbar sind.
Ob solche Merkmale durch das Anbieten und Liefern solcher Erzeugnisse oder durch die Veröffentlichung von bildlichen Darstellungen mit vergleichbarem Offenbarungsgehalt zugänglich gemacht werden, begründet keinen grundlegenden Unterschied. Angesichts dessen kann im Einzelfall Anlass bestehen, als Ausgangspunkt für technische Überlegungen nicht nur auf am Markt erhältliche Erzeugnisse zurückzugreifen, sondern auch auf Abbildungen solcher Erzeugnisse in den Unterlagen eines eingetragenen Designs.
Im vorliegenden Fall bestand danach Veranlassung, NK11V als Ausgangspunkt für Überlegungen zur Verbesserung von Schraubimplantaten für Zahnersatz heranzuziehen. NK11V betrifft eine Befestigung für die Zahnheilbehandlung. Diese ist in einigen Abbildungen dargestellt. Den Zeichnungen ist u.a. eine einschraubbare Befestigungsvorrichtung zu entnehmen, die einen kurzen gewindelosen Teil an der Oberseite sowie zwei darunter angeordnete, unterschiedlich geformte Gewinde umfasst, von denen das untere um einen zylindrischen und das obere Gewinde um einen konischen Kern geführt ist.
Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist Merkmal 3 demgegenüber nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Angesichts des Umstands, dass die beiden Abbildungen erkennbar nur einige wenige Gestaltungselemente zeigen, erscheint es eher fernliegend, dass die im unteren Bereich der Öffnung dargestellten Strukturen bloße Spiegelungen oder sonstige grafische Gestaltungen wiedergeben. Auch wenn die Abbildungen ein Geschmacksmuster wiedergeben, sprechen die besseren Gründe vielmehr für die Deutung, dass es sich um die - wenn auch nur schematische - Darstellung eines für die Funktion wesentlichen Elements handelt.
BGH online
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für Deutschland erteilten europäischen Patents 646 362, das am 20.9.1994 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 21.9.1993 angemeldet worden war und ein Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz beinhaltet. Es betrifft das Problem, ein Schraubimplantat zur Verfügung zu stellen, das sich leicht in den Kiefer einsetzen lässt und dort sowohl rasch als auch fest einheilt.
Die Klägerin, die wegen Verletzung des Streitpatents rechtskräftig verurteilt ist, hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Anmeldung hinaus, sei nicht patentfähig und nicht so offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent in der geltenden Fassung sowie mit drei Hilfsanträgen verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen richtete sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent mit ihren erstinstanzlichen Anträgen sowie einem neuen Hilfsantrag verteidigte. Der BGH hat das Urteil des Bundespatentgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.
Gründe:
Auch die Veröffentlichung eines eingetragenen Designs kann einen geeigneten Ausgangspunkt für technische Überlegungen bilden. Der Senat hat - ohne die Frage zu problematisieren - schon verschiedentlich Designpatente und Geschmacksmuster als möglichen Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2011 - X ZR 135/08; Urt. v. 5.10.2016 - X ZR 78/14 - Opto-Bauelement; Urt. v. 18.12.2018 - X ZR 37/17 - Eierkarton). Diese Vorgehensweise steht in Einklang mit Art. 54 Abs. 2 EPÜ und der darauf beruhenden Rechtsprechung des Senats zum Offenbarungsgehalt von Zeichnungen in Patenanmeldungen.
Nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ bildet den Stand der Technik alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist. Hierzu gehören nicht nur textliche, sondern auch bildliche Darstellungen. Vor allem im Zusammenhang mit der Frage, ob der Gegenstand eines Patents ursprünglich offenbart ist, hat der Senat deshalb wiederholt entschieden, dass technische Merkmale auch allein durch die in einer Patentanmeldung enthaltenen Zeichnungen offenbart sein können.
Ein vergleichbarer Offenbarungsgehalt kann sich im Einzelfall auch aus Zeichnungen oder bildlichen Darstellungen in den veröffentlichten Unterlagen eines eingetragenen Designs ergeben. Solche Unterlagen enthalten zwar in der Regel keine ausdrücklichen Ausführungen zu technischen Aspekten. Ihnen kann aber dennoch ein technischer Offenbarungsgehalt zukommen, wenn schon aus der bildlichen Darstellung technische Zusammenhänge oder Funktionen hervorgehen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf technische Merkmale, die schon durch bloße Inaugenscheinnahme eines Erzeugnisses wahrnehmbar sind.
Ob solche Merkmale durch das Anbieten und Liefern solcher Erzeugnisse oder durch die Veröffentlichung von bildlichen Darstellungen mit vergleichbarem Offenbarungsgehalt zugänglich gemacht werden, begründet keinen grundlegenden Unterschied. Angesichts dessen kann im Einzelfall Anlass bestehen, als Ausgangspunkt für technische Überlegungen nicht nur auf am Markt erhältliche Erzeugnisse zurückzugreifen, sondern auch auf Abbildungen solcher Erzeugnisse in den Unterlagen eines eingetragenen Designs.
Im vorliegenden Fall bestand danach Veranlassung, NK11V als Ausgangspunkt für Überlegungen zur Verbesserung von Schraubimplantaten für Zahnersatz heranzuziehen. NK11V betrifft eine Befestigung für die Zahnheilbehandlung. Diese ist in einigen Abbildungen dargestellt. Den Zeichnungen ist u.a. eine einschraubbare Befestigungsvorrichtung zu entnehmen, die einen kurzen gewindelosen Teil an der Oberseite sowie zwei darunter angeordnete, unterschiedlich geformte Gewinde umfasst, von denen das untere um einen zylindrischen und das obere Gewinde um einen konischen Kern geführt ist.
Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist Merkmal 3 demgegenüber nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Angesichts des Umstands, dass die beiden Abbildungen erkennbar nur einige wenige Gestaltungselemente zeigen, erscheint es eher fernliegend, dass die im unteren Bereich der Öffnung dargestellten Strukturen bloße Spiegelungen oder sonstige grafische Gestaltungen wiedergeben. Auch wenn die Abbildungen ein Geschmacksmuster wiedergeben, sprechen die besseren Gründe vielmehr für die Deutung, dass es sich um die - wenn auch nur schematische - Darstellung eines für die Funktion wesentlichen Elements handelt.