29.08.2017

Blindes Unterzeichnen eines Beratungsdokuments mit Risikohinweisen der Kapitalanlage führt nicht zwingend zu grob fahrlässiger Unkenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB

Die Feststellung, ob grob fahrlässige Unkenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorliegt, wenn ein Kapitalanleger eine Beratungsdokumentation mit Risikohinweisen blind unterzeichnet, muss der Tatrichter aufgrund umfassender tatrichterlicher Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls treffen. Entscheidend sind etwa das Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses zum Berater oder Ablauf und Inhalt des Beratungsgesprächs.

BGH 20.7.2017, III ZR 296/15
Der Sachverhalt:
Der als Finanzberater tätige Beklagte zu 2) ist der Schwiegersohn des Klägers und der Drittwiderbeklagten. Er schlug seinen Schwiegereltern zur Verbesserung ihrer Vermögensanlagen bestehend aus Sparbüchern, einer Renten- und Lebensversicherung sowie einem Bausparvertrag mit Guthaben von insgesamt ca. 80.000 € zwei Beteiligungen an der F. Premium Select GmbH & Co.KG vor. Das Anlagekonzept zielte auf die Realisierung kurzfristiger Kursgewinne aus dem Wertpapierhandel und dem Handel mit Finanzinstrumenten aller Art ab.

Der Kläger und die Drittwiderbeklagte unterzeichneten am gleichen Tag Beitrittserklärungen, mit denen sie sich mittelbar über die Beklagte zu 1) als Gründungs- und Treuhandkommanditistin an der Gesellschaft beteiligten. Sie lösten sodann ihre alten Vermögensanlagen auf und erbrachten ihre Einlagen. Der Kläger verlangte sodann von den Beklagten aus eigenem und abgetretenem Recht seiner drittwiderbeklagten Ehefrau Schadensersatz wegen einer seiner Auffassung nach fehlerhaften und unvollständigen Beratung über die Anlage.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die Beweislastentscheidung des OLG hält der Nachprüfung nicht stand. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand hat der Kläger vielmehr einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 S. 1 BGB wegen Schlechterfüllung eines Anlageberatungs- oder Anlagevermittlungsvertrags.

Die Beklagte zu 1) hat sich als Gründungsgesellschafterin für die Verhandlungen über den Beitritt von Anlegern zu der Fondsgesellschaft eines Vertriebs bedient und diesem sowie seinen Untervermittlern, im vorliegenden Fall dem Beklagten zu 2), die Aufklärungspflicht übergeben. Sie haftet daher für deren unrichtige und unvollständige Angaben. Die persönliche Haftung des Beklagten zu 2) folgt aus der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens gem. § 311 Abs. 3 BGB aufgrund seiner familiären Beziehung zu dem Kläger und der Drittwiderbeklagten.

Im vorliegenden Fall kommt nur eine Haftung der Beklagten wegen unrichtiger und unvollständiger mündlicher Beratung durch den Beklagten zu 2) in Betracht, da eine rechtzeitige Aufklärung über ein fehlerfreies Prospekt nach beiderseitigem Parteivorbringen nicht gegeben ist. Wenn dem Kläger und der Drittwiderbeklagten der Nachweis von Beratungsmängeln gelingt, besteht für deren Ursächlichkeit für die Anlageentscheidung eine auf Lebenserfahrung beruhende tatsächliche Vermutung. Der Anspruch ist auch nicht verjährt. Eine Annahme des Verjährungseintritts infolge grob fahrlässiger Unkenntnis der Anlagerisiken i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB kommt aufgrund der getroffenen Feststellungen lediglich hinsichtlich des ungelesenen Unterzeichnens eines Dokuments nicht in Betracht.

Für grob fahrlässige Unkenntnis muss ein schwerer Obliegenheitsverstoß vorliegen. Das Verhalten des Gläubigers muss unverständlich und unentschuldbar sein. Die Feststellung, ob die Unkenntnis des Gläubigers wegen eines solchen schweren Verstoßes, also wegen grober Fahrlässigkeit, gegeben ist, muss der Tatrichter aufgrund einer umfassenden tatrichterlichen Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls treffen. Grob fahrlässige Unkenntnis kann nicht allein deswegen angenommen werden, weil der Anlageinteressent einen Emissionsprospekt oder wie im vorliegenden Fall einen Text eines ihm nach Abschluss der Anlageberatung zur Unterschrift vorgelegten Zeichnungsscheins nicht gelesen hat.

Es lässt sich nicht allgemeingültig feststellen, dass das ungelesene Unterzeichnen immer den Tatvorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis begründet, noch, dass der Vorwurf stets zu verneinen ist, wenn blind unterzeichnet wurde. Es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Entscheidend sind, z.B. die optische Auffälligkeit der Hinweise, der Ablauf und Inhalt der Beratung, der Zeitpunkt der Unterzeichnung der Beratungsdokumentation, die im Rahmen der Beratung getätigten Aussagen, der Erfahrungsstand des Anlegers oder das Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses zum Berater.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BGH online
Zurück