17.10.2016

CETA: Eilanträge gegen Freihandelsabkommen mit Kanada erfolglos

Das BVerfG hat mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die sich gegen eine Zustimmung zum Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) richteten. Allerdings muss die Bundesregierung u.a. sicherstellen, dass ein Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung nur die Bereiche von CETA umfassen wird, die unstreitig in der Zuständigkeit der EU liegen, dass bis zu einer Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache eine hinreichende demokratische Rückbindung der im Gemischten CETA-Ausschuss gefassten Beschlüsse gewährleistet ist, und dass die Auslegung des Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA eine einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung durch Deutschland ermöglicht.

BVerfG 13.10.2016, 2 BvR 1368/16 u.a.
Der Sachverhalt:
Im April 2009 ermächtigte der Rat der EU die EU-Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Kanada. Das Abkommen sollte das gemeinsame Ziel einer beiderseitigen schrittweisen Liberalisierung praktisch aller Bereiche des Waren- und Dienstleistungshandels und der Niederlassung bekräftigen und die Einhaltung internationaler Umwelt- und Sozialabkommen sicherstellen und erleichtern. Nach Abschluss der Verhandlungen unterbreitete die Kommission dem Rat im Juli 2016 den Vorschlag, die Unterzeichnung von CETA zu genehmigen, die vorläufige Anwendung zu erklären, bis die für seinen Abschluss erforderlichen Verfahren abgeschlossen sind, und das Abkommen abzuschließen.

Die Antragsteller zu I. - IV. machen im Wesentlichen geltend, dass ein Beschluss des Rates über die Genehmigung der Unterzeichnung von CETA, dessen vorläufige Anwendung und den Abschluss des Abkommens sie in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verletze. Die Fraktion Die LINKE im Deutschen Bundestag trägt im Organstreitverfahren vor, dass sie in Prozessstandschaft Rechte des Deutschen Bundestages geltend mache, namentlich sein Gestaltungsrecht aus Art. 23 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 GG.

Das BVerfG lehnte den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

Die Gründe:
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleiben aufgrund der gebotenen Folgenabwägung ohne Erfolg. Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Mitwirkung der Bundesregierung an der Beschlussfassung des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA später aber als verfassungsrechtlich zulässig, drohten der Allgemeinheit mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere Nachteile.

Die wesentlichen Folgen eines vorläufigen, erst recht eines endgültigen Scheiterns von CETA lägen vor allem auf politischem Gebiet. Eine einstweilige Anordnung, durch die die Bundesregierung an einer Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von CETA gehindert würde, würde in erheblichem Maße in die Gestaltungsfreiheit der Bundesregierung im Rahmen der Europa-, Außen- und Außenwirtschaftspolitik eingreifen. Dies gälte in vergleichbarer Weise auch für die EU. Ein Scheitern von CETA dürfte über eine Beeinträchtigung der Außenhandelsbeziehungen zwischen der EU und Kanada hinaus weit reichende Auswirkungen auf die Verhandlung und den Abschluss künftiger Außenhandelsabkommen haben. Die mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung bei späterer Erfolglosigkeit der Hauptsache verbundenen Nachteile könnten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als irreversibel erweisen. Die zu erwartende Einbuße an Verlässlichkeit sowohl Deutschlands als auch der EU insgesamt könnte sich dauerhaft negativ auf den Handlungs- und Entscheidungsspielraum aller europäischen Akteure bei der Gestaltung der globalen Handelsbeziehungen auswirken.

Demgegenüber wiegen die Nachteile weniger schwer, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen würde, sich die Mitwirkung der Bundesregierung an der Beschlussfassung des Rates später aber als unzulässig erwiese. Zwar enthält CETA Bestimmungen, die den Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung im Hauptsacheverfahren als Ultra-vires-Akt qualifizieren könnten. Auch ist eine Berührung der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität nicht ausgeschlossen. Allerdings hat die Bundesregierung dargelegt, dass durch die endgültige Fassung des streitgegenständlichen Ratsbeschlusses und entsprechende eigene Erklärungen (Art. 30.7 Abs. 3 Buchst. b CETA) Ausnahmen von der vorläufigen Anwendung bewirkt werden, die es jedenfalls im Ergebnis sichergestellt erscheinen lassen, dass der bevorstehende Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA nicht als Ultra-vires-Akt zu qualifizieren sein dürfte.

Soweit diese Vorbehalte reichen, dürften auch etwaige Bedenken gegen die in Rede stehende Regelung unter dem Gesichtspunkt der grundgesetzlichen Verfassungsidentität entkräftet sein. Die Bundesregierung hat darüber hinaus deutlich gemacht, dass sie im Rat nur denjenigen Teilen von CETA zustimmen wird, die sich zweifellos auf eine primärrechtliche Kompetenz der EU stützen lassen. Sie wird ihrem Vorbringen nach nicht der vorläufigen Anwendung für Sachmaterien zustimmen, die in der Zuständigkeit Deutschlands verblieben sind. Dies betrifft insbesondere Regelungen zum Investitionsschutz, einschließlich des Gerichtssystems (Kapitel 8 und 13 CETA), zu Portfolioinvestitionen (Kapitel 8 und 13 CETA), zum internationalen Seeverkehr (Kapitel 14 CETA), zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen (Kapitel 11 CETA) sowie zum Arbeitsschutz (Kapitel 23 CETA).

Einer etwaigen Berührung der Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG) durch Kompetenzausstattung und Verfahren des Ausschusssystems kann - jedenfalls im Rahmen der vorläufigen Anwendung - auf unterschiedliche Weise begegnet werden. Es könnte etwa durch eine interinstitutionelle Vereinbarung sichergestellt werden, dass Beschlüsse des Gemischten CETA-Ausschusses nach Art. 30.2 Abs. 2 CETA nur auf Grundlage eines gemeinsamen Standpunktes (Art. 218 Abs. 9 AEUV) gefasst werden, der im Rat einstimmig angenommen worden ist. Sollte sich entgegen der Annahme des Senats ergeben oder abzeichnen, dass die Bundesregierung die von ihr angekündigten Handlungsoptionen zur Vermeidung eines möglichen Ultra-vires-Aktes oder einer Verletzung der Verfassungsidentität des GG (Art. 79 Abs. 3 GG) nicht realisieren kann, verbleibt ihr in letzter Konsequenz die Möglichkeit, die vorläufige Anwendung des Abkommens für Deutschland durch schriftliche Notifizierung zu beenden (Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA). Zwar erscheint die Auslegung der genannten Norm nicht zwingend. Sie ist aber von der Bundesregierung als zutreffend vorgetragen worden. Dieses Verständnis hat sie in völkerrechtlich erheblicher Weise zu erklären und ihren Vertragspartnern zu notifizieren.

Linkhinweis:

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BVerfG PM Nr. 71 vom 13.10.2016
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