Daimler AG kann SWR-Aufnahmen mit versteckter Kamera nicht stoppen
OLG Stuttgart 8.7.2015, 4 U 182/14Die klagende Daimler AG wollte erreichen, dass der SWR eine erneute Ausstrahlung des in der Reportage "Hungerlohn am Fließband - Wie Tarife ausgehebelt werden" verwendete Bildmaterials unterlassen muss. Ein für den SWR tätiger Journalist hatte sich zum Zweck einer verdeckten Recherche bei einer Leiharbeitsfirma beworben. Diese entlieh ihn an ein weiteres Unternehmen, das zuvor mit der Daimler AG einen Werkvertrag über Logistik-Leistungen abgeschlossen hatte. So kam es zum Einsatz des Journalisten in einer Betriebshalle der Daimler AG in Stuttgart-Untertürkheim zur Verpackung von Zylinderköpfen.
Während seiner Tätigkeit im März 2013 fertigte der Journalist mit vier versteckten Kameras heimliche Videoaufnahmen an und verwendete sie für die Reportage, die am 13.5.2013 im ARD-Programm "Das Erste" ausgestrahlt wurde. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass der SWR dieses Bildmaterial nicht ausstrahlen dürfe, weil dessen Beschaffung rechtswidrig gewesen sei, die Videoaufnahmen keine rechtswidrigen Verhaltensweisen wiedergeben würden und die Daimler AG durch die Ausstrahlung des Bildmaterials erheblich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt werde.
Das LG wies die Klage ab. Auch die Berufung der Klägerin vor dem OLG blieb erfolglos. Revision wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Zwar hat die Anfertigung des Filmmaterials die Rechte der Klägerin verletzt, da die heimliche Fertigung der Filmaufnahmen deren Hausrecht verletzt und einen Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht dargestellt hatte. Trotz der rechtswidrigen Beschaffung des Bildmaterials war aber die Ausstrahlung in der Sendung im Mai 2013 in einer Abwägung mit der Meinungs- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht rechtswidrig.
Die maßgeblichen Abwägungsgrundsätze ergaben sich aus dem Wallraff-Urteil des BVerfG. Danach wird der Stellenwert der Gewährleistungen aus Art. 5 Abs. 1 GG vor allem durch zwei Faktoren bestimmt: Auf der einen Seite kommt es auf den Zweck der strittigen Äußerung an: Dem Grundrecht der Meinungsfreiheit kommt umso größeres Gewicht zu, je mehr es sich nicht um eine unmittelbar gegen ein privates Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt.
Auf der anderen Seite ist aber auch das Mittel von wesentlicher Bedeutung, durch welches ein solcher Zweck verfolgt wird, in Fällen der vorliegenden Art also die Veröffentlichung einer durch Täuschung widerrechtlich beschafften und zu einem Angriff gegen den Getäuschten verwendeten Information. Ein solches Mittel indiziert in der Regel einen nicht unerheblichen Eingriff in den Bereich eines anderen, namentlich dann, wenn dieser wegen seiner Vertraulichkeit geschützt ist; darüber hinaus gerät es in einen schwerwiegenden Widerspruch mit der Unverbrüchlichkeit des Rechts, einer Grundvoraussetzung der Rechtsordnung.
Bei solch einer Sachlage hat die Veröffentlichung grundsätzlich zu unterbleiben. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiegt, die der Rechtsbruch für den Betroffenen und die (tatsächliche) Geltung der Rechtsordnung nach sich ziehen muss. Das wird in der Regel dann nicht der Fall sein, wenn die in der dargelegten Weise widerrechtlich beschaffte und verwertete Information Zustände oder Verhaltensweisen offenbart, die ihrerseits nicht rechtswidrig sind; denn dies deutet darauf hin, dass es sich nicht um Missstände von erheblichem Gewicht handelt, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht.
Infolgedessen konnte der Senat ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse zwar nicht aus dem Vorwurf einer rechtswidrigen Arbeitnehmerüberlassung herleiten, weil die Reportage dies nicht belegt hatte. Der die Ausstrahlung ausnahmsweise rechtfertigende Missstand von erheblichem Gewicht ergab sich aber daraus,
- dass die Klägerin - legal - Arbeitsabläufe zerteilt, indem sie aus diesen einzelne Arbeitsschritte für einfach zu erledigende Arbeiten herausbricht, sie als "Werk" definiert und per Werkvertrag an Drittunternehmen vergibt;
- sie damit erreicht, für diese Tätigkeiten nicht Stammarbeitnehmer oder Leiharbeitnehmer einsetzen zu müssen, die sie nach dem für sie geltenden Metalltarifvertrag bzw. der von ihr für Leiharbeitnehmer abgeschlossenen Gesamtbetriebsvereinbarung (d.h. für letztere mindestens 17,78 € brutto pro Stunde) bezahlen müsste und dadurch Kosten sparte;
- sie gleichzeitig bewirkt, dass die zum Werk verselbständigte einfache Tätigkeit von Mitarbeitern der Werkunternehmer bzw. von letzteren ausgeliehenen Arbeitnehmern ausgeführt werden, die verglichen mit Stammarbeitnehmern und von der Klägerin selbst eingesetzten Leiharbeitnehmern weniger als die Hälfte (nämlich - damals - 8,19 € brutto/Stunde) verdienen; also so wenig, dass jedenfalls dann, wenn die "Werklöhner" Familie haben (nicht verdienende Ehefrau und Kinder), der Verdienst unter dem Existenzminimum liegt, so dass sie Anspruch auf Aufstockungsleistungen nach dem SGB II haben und damit letztlich jedenfalls teilweise die Vermeidung von Kosten durch die Klägerin zu Lasten der Allgemeinheit erfolgt.