10.09.2020

Darf Taxi-App einer Genehmigungspflicht unterworfen werden?

Nach Ansicht von Generalanwalt Szpunar ist eine Dienstleistung, die darin besteht, durch eine elektronische Anwendung Taxikunden mit Taxifahrern unmittelbar in Kontakt zu bringen, ein Dienst der Informationsgesellschaft. Diese Dienstleistung muss nicht untrennbar mit der Dienstleistung der Beförderung mit Taxis verbunden sein, so dass sie keinen integralen Bestandteil derselben darstellt.

EuGH, C-62/19: Schlussanträge des Generalanwalts vom 10.9.2020
Der Sachverhalt:
S.C. Star Taxi App SRL, eine Gesellschaft mit Sitz in Bukarest, betreibt eine Smartphone-Anwendung, die eine direkte Verbindung zwischen Taxikunden und -fahrern herstellt. Die App ermöglicht eine Suche, die als Ergebnis eine Liste der für eine Fahrt verfügbaren Taxifahrer liefert. Dem Kunden steht es dann frei, einen bestimmten Fahrer auszuwählen. Star Taxi App übermittelt weder die Anfragen an die Taxifahrer noch legt sie den Fahrpreis fest, der am Ende der Fahrt direkt an den Fahrer bezahlt wird.

Im Dezember 2017 erließ der Rat der Stadt Bukarest den Beschluss Nr. 626/2017, der die Verpflichtung, für die sog. "Dispatching"-Tätigkeit eine Zulassung zu beantragen, auf Betreiber von IT-Anwendungen wie Star Taxi App erweiterte. Wegen Verstoßes gegen diese Regelung wurde gegen Star Taxi App eine Geldbuße von 4.500 rumänischen Lei (RON) (rd. 930 €) verhängt.

Weil Star Taxi App der Ansicht war, dass ihre Tätigkeit einen Dienst der Informationsgesellschaft darstelle, für den der in der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr vorgesehene Grundsatz der Zulassungsfreiheit gelte, erhob sie beim Landgericht Bukarest Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses Nr. 626/2017.

Das rumänische Gericht möchte vom EuGH wissen, ob eine Dienstleistung, die darin besteht, durch eine elektronische Anwendung Taxikunden mit Taxifahrern unmittelbar in Kontakt zu bringen, ein "Dienst der Informationsgesellschaft" ist. Sollte dies bejaht werden, ersucht es den EuGH, eine Beurteilung der Gültigkeit des Beschlusses Nr. 626/2017 im Licht einiger Bestimmungen des Unionsrechts durchzuführen.

Die Gründe:
Die von Star Taxi App angebotene Dienstleistung entspricht der in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr vorgenommenen Definition des Dienstes der Informationsgesellschaft, da diese Dienstleistung gegen Entgelt, im Fernabsatz, elektronisch und auf individuellen Abruf eines Empfängers der Dienstleistung erbracht wird. Eine Dienstleistung ist jedoch nach der Rechtsprechung des EuGH möglicherweise nicht als unter den Begriff "Dienst der Informationsgesellschaft" fallend anzusehen, selbst wenn sie die in der Definition aufgeführten Merkmale aufweist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die elektronisch erbrachte Dienstleistung untrennbar mit einer anderen Dienstleistung verbunden ist, die die Hauptdienstleistung darstellt und nicht elektronisch erbracht wird, wie z.B. eine Verkehrsdienstleistung. Diese untrennbare Verbindung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Anbieter der elektronisch erbrachten Dienstleistung die wesentlichen Aspekte der anderen Dienstleistung kontrolliert, einschließlich der Auswahl der Anbieter dieser anderen Dienstleistung.

Die Situation von Star Taxi App ist anders. Star Taxi App braucht keine Taxifahrer einzustellen und übt weder eine Kontrolle über noch einen entscheidenden Einfluss auf die Bedingungen aus, unter denen die Beförderungsdienstleistungen von den Taxifahrern erbracht werden. Im Unterschied zu anderen ähnlichen Dienstleistungen, wie Uber, baut die von Star Taxi App erbrachte Dienstleistung auf einem bereits bestehenden und organisierten Taxiverkehrsdienst auf. Die Rolle von Star Taxi App beschränkt sich auf die eines externen Anbieters einer Nebendienstleistung, die für die Effizienz der Hauptdienstleistung, nämlich der Beförderung, nützlich, aber nicht wesentlich ist.

Im Hinblick auf die Überprüfung des Beschlusses Nr. 626/2017 im Licht des Unionsrechts ist festzustellen, dass die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr es den Mitgliedstaaten verbietet, die Aufnahme und die Ausübung der Tätigkeit der Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft einer Zulassungspflicht oder einer sonstigen Anforderung gleicher Wirkung zu unterwerfen. Dieses Verbot gilt jedoch nicht für Zulassungsverfahren, die wie im vorliegenden Fall nicht speziell und ausschließlich Dienste der Informationsgesellschaft betreffen. Diese Feststellung ist allerdings von der Voraussetzung abhängig, dass die von der bestehenden Zulassungsregelung erfassten Dienstleistungen, die nicht elektronisch erbracht werden, und die Dienste der Informationsgesellschaft, auf die diese Regelung ausgedehnt wird, tatsächlich wirtschaftlich gleichwertig sind.

Die Dienstleistungsrichtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von einer solchen Regelung abhängig zu machen. Diese Voraussetzungen sind: nicht diskriminierender Charakter der Regelung, ihre Rechtfertigung durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses und das Fehlen weniger einschneidender Maßnahmen, mit denen dasselbe Ziel erreicht werden könnte. Es wird daher Sache des nationalen Gerichts sein, zu prüfen, ob es zwingende Gründe des Allgemeininteresses gibt, die die Zulassungspflicht von Taxi-Dispatchingdiensten rechtfertigen. Eine Genehmigungsregelung beruht allerdings nicht auf Kriterien, die durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, wenn die Erteilung der Genehmigung von Anforderungen abhängig ist, die für den vom Antragsteller beabsichtigten Dienst technologisch ungeeignet sind.

Eine Dienstleistung, die darin besteht, durch eine elektronische Anwendung Taxikunden mit Taxifahrern unmittelbar in Kontakt zu bringen, ist insoweit ein Dienst der Informationsgesellschaft, wenn sie nicht untrennbar mit der Dienstleistung der Beförderung durch Taxis verbunden ist, so dass sie keinen integralen Bestandteil derselben darstellt. Die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr verbietet es nicht, auf einen Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft eine Zulassungsregelung anzuwenden, die für Anbieter wirtschaftlich gleichwertiger Dienstleistungen gilt, die keine Dienste der Informationsgesellschaft darstellen. Die Dienstleistungsrichtlinie steht der Anwendung einer solchen Zulassungsregelung entgegen, es sei denn, diese entspricht den in dieser Richtlinie festgelegten Kriterien, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
EuGH PM Nr. 102 vom 10.9.2020
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