24.06.2013

Das Abstellen eines beladenen Transportfahrzeugs in unbewachten Gewerbegebieten ist nicht grundsätzlich leichtfertig

Das Abstellen eines mit Sammelgut beladenen Transportfahrzeugs (hier: Zugmaschine nebst Kastenauflieger) am Wochenende in einem unbewachten Gewerbegebiet einer deutschen Großstadt rechtfertigt nicht ohne weiteres den Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens i.S.v. § 435 HGB. Dies gilt auch dann, wenn dem Frachtführer bekannt ist, dass sich unter dem Sammelgut eine Palette mit leicht absetzbaren Gütern (hier: Tabakwaren) befindet.

BGH 13.12.2012, I ZR 236/11
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Transportversicherungsassekuradeur der S-GmbH in Bremen, die Tabakwaren vertreibt (Versicherungsnehmerin). Sie nimmt das beklagte Speditionsunternehmen aus abgetretenem Recht der Versicherungsnehmerin wegen Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch. Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte Anfang April 2008 zu festen Kosten mit der Versendung von auf einer Palette verpackten Tabakwaren von Bremen nach Hartmannsdorf/Sachsen. Die Beklagte gab den Auftrag an ihre Streithelferin zu 1) weiter, die ihrerseits ihren Streithelfer zu 2) mit der Durchführung des Transports beauftragte.

Ein Fahrer des Streithelfers zu 2) übernahm das Gut am 5.4.2008 (einem Freitag) in Bremen und beförderte es im Wege eines Sammelladungstransports zunächst bis Chemnitz. Dort stellte er das Fahrzeug nebst beladenem Kastenauflieger gegen 23.45 Uhr in einem unbewachten Gewerbegebiet ab. Die Fortsetzung der Fahrt zu einem Umschlagslager der Beklagten in Großschirma/Sachsen erfolgte am 8.4.2008 gegen 2 Uhr. Nach der Ankunft im Umschlagslager wurde festgestellt, dass der Kastenauflieger während der Standzeit in Chemnitz geöffnet und ein Teil des Gutes der Versicherungsnehmerin entwendet worden war.

Die Klägerin beziffert den der Versicherungsnehmerin entstandenen Schaden auf rd. 25.000 €. Sie ist der Ansicht, die Beklagte müsse als Frachtführerin für den aufgrund des Diebstahls entstandenen Schaden unbegrenzt haften, weil das Abstellen des beladenen Transportfahrzeugs für zwei Tage in einem unbewachten Gewerbebetrieb besonders leichtfertig gewesen sei. Die Beklagte und ihre Streithelfer treten dem entgegen. Sie machen insbes. geltend, das Abstellen des beladenen Transportfahrzeugs in einem Gewerbebetrieb von Chemnitz sei nicht grob pflichtwidrig gewesen, zumal den Streithelfern nicht bekannt gewesen sei, dass die Sammelgutsendung auch eine Palette mit Tabakwaren umfasst habe.

LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision des Streithelfers zu 2) der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat zwar rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen einer vertraglichen Haftung der Beklagten nach § 425 Abs. 1 HGB für den aufgrund des Diebstahls der Tabakwaren entstandenen Schaden bejaht. Die Revision wendet sich allerdings mit Erfolg gegen die Auffassung des OLG, der Beklagten sei es im Streitfall nach § 435 HGB verwehrt, sich auf die Haftungsbegrenzungen gem. § 431 Abs. 1 und 2 HGB zu berufen, weil der durch den Verlust des Transportguts eingetretene Schaden auf ein qualifiziertes Verschulden des mit der Durchführung des Transports beauftragten Unterfrachtführers zurückzuführen sei, das sich die Beklagte gem. § 428 HGB zurechnen lassen müsse.

Das OLG ist davon ausgegangen, dass der Vortrag der Klägerin mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten oder des mit der Durchführung des Transports beauftragten Unterfrachtführers schließen lässt. Es hat angenommen, das Abstellen des beladenen Transportfahrzeugs über ein Wochenende an einem unbewachten Ort in einem Gewerbegebiet sei besonders leichtfertig gewesen, weil die Beklagte, auf deren Kenntnis es ankomme, den Gegenstand der Fracht gekannt und daher gewusst habe, dass das Gut leicht verwertbar und deshalb besonders diebstahlsgefährdet gewesen sei. Die Revision rügt insoweit mit Erfolg, dass die vom OLG getroffenen Feststellungen für die Annahme eines bewusst leichtfertigen Handelns (§ 435 HGB) der Beklagten oder ihres Unterfrachtführers nicht ausreichen.

Die Klägerin hat den von ihr erhobenen Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens i.S.v. § 435 HGB allein darauf gestützt, dass der Fahrer des Streithelfers zu 2) das mit Sammelgut beladene Transportfahrzeug über ein Wochenende in einem unbewachten Gewerbegebiet von Chemnitz abgestellt hat und der Beklagten bekannt war, dass sich unter dem Sammelgut auch eine Palette mit Tabakwaren befand. Die Revision macht mit Recht geltend, dass dieser Sachverhalt den Schluss auf ein bewusst leichtfertiges Verhalten der Beklagten oder des von der Streithelferin zu 1) beauftragten Unterfrachtführers nicht zulässt.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es dem Fahrer des Streithelfers zu 2) hätte bewusst sein müssen, es könnte zu einem Diebstahl des Transportgutes kommen, wenn er das beladene Transportfahrzeug in dem nicht bewachten Gewerbegebiet abstellt, sind vom OLG nicht festgestellt und von der Klägerin auch nicht vorgetragen worden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es in diesem Gebiet zuvor bereits zu Diebstählen von Transportgut gekommen ist. Die Versicherungsnehmerin hatte der Beklagten keine konkreten Weisungen für die Durchführung des Transports erteilt. Ebenso wenig hatte die Beklagte der Versicherungsnehmerin besondere Sicherungsvorkehrungen bei der Durchführung des Transports zugesagt. Das Gut befand sich zudem in einem verschlossenen Kastenauflieger.

Der Senat konnte den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden, da das OLG noch keine Feststellungen zur Regelhaftung der Beklagten nach § 429 Abs. 1, § 431 Abs. 1 u. 2 HGB getroffen hat; es stellt sich die Frag der Verjährung und ggf. müssen auch noch Feststellungen zur Höhe des Wertersatzes getroffen werden.

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