08.02.2024

Der Pumpvorgang beim Entladen eines Tanklastzugs ist dem Gebrauch des Kraftfahrzeugs i.S.d. § 1 PflVG zuzuordnen

Der Entladevorgang gehört zum "Gebrauch" des Fahrzeugs i.S.d. § 1 PflVG, solange das Kraftfahrzeug oder seine an und auf ihm befindlichen Vorrichtungen daran beteiligt sind. Der Schaden, der beim Hantieren mit Ladegut eintritt, ist dann "durch den Gebrauch" des Kraftfahrzeugs entstanden, wenn es für die schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt worden ist. Das Entladen eines Tanklastzugs mittels einer auf ihm befindlichen Pumpe ist danach dem Gebrauch des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, solange der Druck der Pumpe noch auf das abzufüllende Öl einwirkt und die Flüssigkeit durch den Schlauch heraustreibt.

BGH v. 16.1.2024 - VI ZR 385/22
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Miteigentümerin eines Hausgrundstücks. Sie hatte bei der Klägerin Heizöl bestellt. Diese beauftragte mit der Lieferung den Streithelfer der Drittwiderbeklagten, einen Spediteur, dessen Kfz-Haftpflichtversicherer die Drittwiderbeklagte ist. Als Fahrer der Spedition lieferte der Drittwiderbeklagte der Beklagten das Heizöl am 1.7.2019.

Das Hausgrundstück der Beklagten verfügt über einen Erdtank. Der Zugang zum Erdtank führt über einen Domschacht, in dem sich neben dem Füllstutzen für den Erdtank ein weiterer, "blinder" Füllstutzen befindet, der zu einem im Jahr 2007 entfernten Tank im Haus führte. Die Beklagte wies den Fahrer bei Anlieferung des Öls darauf hin, dass von den zwei im Domschacht vorhandenen Einfüllstutzen einer "blind" ist. Der Fahrer schloss den Ölschlauch des Tankwagens trotzdem an den falschen Stutzen an und pumpte 2.926 l Heizöl in den Keller. Es kam zu Verunreinigungen des Erdreichs und am Gebäude. Mit ihrer Wider- und Drittwiderklage verlangte die Beklagte von der Klägerin, dem Kfz-Haftpflichtversicherer und dem Fahrer als Gesamtschuldner Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 25.060 €.

Das LG hat durch Grund- und Teilurteil die Wider- und Drittwiderklageanträge 1 und 3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, soweit sie sich gegen die Klägerin und den Fahrer richteten. Die gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer gerichteten Anträge hat es abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin und des Fahrers hat das OLG das Grund- und Teilurteil des LG teilweise abgeändert und die Anträge 1 bis 3 gegen die Klägerin und den Fahrer abgewiesen, soweit die Beklagte mit ihnen Schadensersatzansprüche auf der Grundlage einer Haftungsquote von mehr als 50 % geltend gemacht hatte. Die Berufung der Beklagten, mit der sie ihre Anträge gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer weiterverfolgt hatte, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.

Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten zurückgewiesen sowie auf die Berufung der Klägerin und des Drittwiderbeklagten das Grund- und Teilurteil zum Nachteil der Beklagten abgeändert wurde. Im Umfang der Aufhebung wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiese

Gründe:
Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht einen Anspruch gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 VVG, § 1 PflVG verneint. Außerdem rechtfertigten die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen seine Annahme, die gegen die Klägerin und den Fahrer geltend gemachten Schadensersatzansprüche seien aufgrund mitwirkender Gefahr der Anlage nach § 254 BGB i.V.m. § 89 Abs. 2 Satz 1 WHG nur zur Hälfte berechtigt, nicht.

Zwar hat das OLG eine Haftung des Fahrers des Tanklastwagens nach § 823 Abs. 1 BGB und des Spediteurs, bei dem der Fahrer beschäftigt ist, nach § 831 Abs. 1 BGB rechtsfehlerfrei bejaht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann die Beklagte diese Schadensersatzansprüche aber auch gegen die Drittwiderbeklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 VVG, § 1 PflVG geltend machen. Nach § 1 PflVG ist der Halter eines Kraftfahrzeugs verpflichtet, für sich, den Eigentümer und den Fahrer eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personen-, Sach- und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und aufrechtzuerhalten, wenn das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen verwendet wird. Der Begriff "Gebrauch des Fahrzeugs" schließt den "Betrieb eines Kraftfahrzeugs" i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG ein, geht aber noch darüber hinaus.

So gehört der Entladevorgang zum "Gebrauch" des Fahrzeugs i.S.d. § 1 PflVG, solange das Kraftfahrzeug oder seine an und auf ihm befindlichen Vorrichtungen daran beteiligt sind. Der Schaden, der beim Hantieren mit Ladegut eintritt, ist dann "durch den Gebrauch" des Kraftfahrzeugs entstanden, wenn es für die schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt worden ist. Das Entladen eines Tanklastzugs mittels einer auf ihm befindlichen Pumpe ist danach dem Gebrauch des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, solange der Druck der Pumpe noch auf das abzufüllende Öl einwirkt und die Flüssigkeit durch den Schlauch heraustreibt. Diesem Verständnis steht die Richtlinie 2009/103/EG nicht entgegen. Infolgedessen ist im Streitfall der Schaden "durch den Gebrauch" des Tanklastwagens verursacht worden.

Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen letztlich auch rechtsfehlerhaft eine mitwirkende Gefahr der Anlage nach § 254 BGB i.V.m. § 89 Abs. 2 Satz 1 WHG bejaht. Eine solche Gefahr ist im Rahmen des § 254 BGB anspruchsmindernd zu berücksichtigen, wenn der Geschädigte auch aus Gefährdungshaftung in Anspruch genommen werden könnte, wäre nicht ihm, sondern einem Dritten der Schaden entstanden. Die Beklagte wäre einem Dritten für den Schaden nach § 89 Abs. 2 Satz 1 WHG aber schon deshalb nicht ersatzpflichtig, weil keine Anlage im Sinne dieser Norm vorliegt. Die bestimmungswidrige Nutzung einer Anlage ist von der Haftung nach § 89 Abs. 2 Satz 1 WGH nicht erfasst.

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