Dieselskandal: Zum Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht
BGH v. 23.10.2023 - VIa ZR 468/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kfz auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Jahr 2016 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 ausgerüsteten Gebrauchtwagen Mercedes Benz GLE 350d 4Matic zu einem Kaufpreis von 69.700 €. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger teilweise mittels eines Darlehens der M. Bank AG, wobei u.a. ein verbrieftes Rückgaberecht vereinbart wurde. Im Oktober 2020 zahlte er die Schlussrate, ohne von seinem Rückgaberecht Gebrauch zu machen. Ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update ließ der Kläger nicht aufspielen.
Das LG wies die ursprünglich auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen und Freistellung von Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und Übertragung der Anwartschaft am Fahrzeug und auf Feststellung des Annahmeverzugs gerichtete Klage ab. Das OLG wies die nach Zahlung der Schlussrate auf Leistung von Schadensersatz i.H.v. rd. 61.000 € (Kaufpreis und Finanzierungskosten von insgesamt rd. 77.000 € abzgl. des Werts der gezogenen Nutzungen von insgesamt rd. 16.000 €) Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits im Übrigen gerichtete Berufung des Klägers zurück.
Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch weder aus §§ 826, 31 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verneint werden.
Wie der BGH nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann die Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts dem Schadensersatzanspruch eines Fahrzeugkäufers gem. §§ 826, 31 BGB unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt entgegengehalten werden. Das OLG hätte daher einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB im Hinblick auf das Rückgaberecht des Klägers nicht verneinen dürfen. Nach Erlass des Berufungsurteils hat der Senat ferner geklärt, dass in den Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB liegen, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Das OLG hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sog. "großen" Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verneint. Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann.
Das Berufungsurteil war aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen. Das OLG wird nach den näheren Maßgaben insbesondere des Urteils des Senats vom 26.6.2023 (VIa ZR 335/21) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und ggf. dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB und nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Sollte das OLG zu einer Haftung der Beklagten (nur) nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gelangen, wird es sich mit der Frage der Vorteilsausgleichung auseinanderzusetzen haben. Zwar kann in der Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts auch mit Blick auf den Differenzschaden keine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegen, weil das verbriefte Rückgaberecht dem Schadensersatzanspruch nicht gleichwertig ist. Von Bedeutung für eine Vorteilsausgleichung ist aber, in welchem Umfang das Aufspielen des von der Beklagten angebotenen Software-Updates geeignet gewesen wäre, das Fahrzeug nachträglich aufzuwerten. Eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch das Software-Update wäre unter den im Senatsurteil vom 26.6.2023 (VIa ZR 335/21) genannten Voraussetzungen als Vorteil zu berücksichtigen gewesen. Entsprechend könnte der Kläger, wenn er sich dem Aufspielen eines solchen Software-Updates verschlossen hätte, gegen seine Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB verstoßen haben. In diesem Fall müsste er sich bei der Bemessung des Differenzschadens gem. § 242 BGB so behandeln lassen, als hätte er einen aus dem Software-Update resultierenden Vorteil tatsächlich erzielt.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Kein Ausschluss der Erwerbskausalität durch Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts durch den Dieselkäufer
BGH vom 07.11.2022 - VIA ZR 325/21
VersR 2023, 403
Rechtsprechung:
Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB bei Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung ("Diesel-Skandal")
BGH vom 26.06.2023 - VIA ZR 335/21
ZIP 2023, 1421
ZIP0056882
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Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kfz auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Jahr 2016 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 ausgerüsteten Gebrauchtwagen Mercedes Benz GLE 350d 4Matic zu einem Kaufpreis von 69.700 €. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger teilweise mittels eines Darlehens der M. Bank AG, wobei u.a. ein verbrieftes Rückgaberecht vereinbart wurde. Im Oktober 2020 zahlte er die Schlussrate, ohne von seinem Rückgaberecht Gebrauch zu machen. Ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update ließ der Kläger nicht aufspielen.
Das LG wies die ursprünglich auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen und Freistellung von Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und Übertragung der Anwartschaft am Fahrzeug und auf Feststellung des Annahmeverzugs gerichtete Klage ab. Das OLG wies die nach Zahlung der Schlussrate auf Leistung von Schadensersatz i.H.v. rd. 61.000 € (Kaufpreis und Finanzierungskosten von insgesamt rd. 77.000 € abzgl. des Werts der gezogenen Nutzungen von insgesamt rd. 16.000 €) Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits im Übrigen gerichtete Berufung des Klägers zurück.
Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch weder aus §§ 826, 31 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verneint werden.
Wie der BGH nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann die Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts dem Schadensersatzanspruch eines Fahrzeugkäufers gem. §§ 826, 31 BGB unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt entgegengehalten werden. Das OLG hätte daher einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB im Hinblick auf das Rückgaberecht des Klägers nicht verneinen dürfen. Nach Erlass des Berufungsurteils hat der Senat ferner geklärt, dass in den Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB liegen, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Das OLG hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sog. "großen" Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verneint. Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann.
Das Berufungsurteil war aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen. Das OLG wird nach den näheren Maßgaben insbesondere des Urteils des Senats vom 26.6.2023 (VIa ZR 335/21) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und ggf. dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB und nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Sollte das OLG zu einer Haftung der Beklagten (nur) nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gelangen, wird es sich mit der Frage der Vorteilsausgleichung auseinanderzusetzen haben. Zwar kann in der Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts auch mit Blick auf den Differenzschaden keine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegen, weil das verbriefte Rückgaberecht dem Schadensersatzanspruch nicht gleichwertig ist. Von Bedeutung für eine Vorteilsausgleichung ist aber, in welchem Umfang das Aufspielen des von der Beklagten angebotenen Software-Updates geeignet gewesen wäre, das Fahrzeug nachträglich aufzuwerten. Eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch das Software-Update wäre unter den im Senatsurteil vom 26.6.2023 (VIa ZR 335/21) genannten Voraussetzungen als Vorteil zu berücksichtigen gewesen. Entsprechend könnte der Kläger, wenn er sich dem Aufspielen eines solchen Software-Updates verschlossen hätte, gegen seine Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB verstoßen haben. In diesem Fall müsste er sich bei der Bemessung des Differenzschadens gem. § 242 BGB so behandeln lassen, als hätte er einen aus dem Software-Update resultierenden Vorteil tatsächlich erzielt.
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Kein Ausschluss der Erwerbskausalität durch Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts durch den Dieselkäufer
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VersR 2023, 403
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Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB bei Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung ("Diesel-Skandal")
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