Einbindung von Google-Fonts: Unbegründeter Unterlassungsanspruch bei Einsatz von Crawlern
LG München I v. 30.3.2023 - 4 O 13063/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Wege einer negativen Feststellungsklage über einen Unterlassungsanspruch des Beklagten gegen den Kläger wegen der Einbindung sog. Google-Fonts sowie weitere Ansprüche.
Der Kläger hatte bis Oktober 2022 auf seiner Website die von Google bereitgestellten Schriftarten, sog. Fonts, dergestalt "dynamisch" eingebunden, dass bei einem Besuch der Website die IP-Adresse des Besuchers an Google in die USA übermittelt wurde.
Der Beklagte setzte ein automatisiertes System, einen sog. "Crawler" ein, um Websites zu ermitteln, auf welchen eine dynamische Einbindung von Google-Fonts programmiert war. In einer zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen, jedenfalls aber mindestens höheren zweistelligen Zahl an Fällen, ließ der Beklagte sodann durch R. "Abmahnschreiben" an die Betreiber entsprechender Websites mit dynamischer Einbindung von Google-Fonts verschicken.
Unter dem 20.10.2022 verschickte der Beklagte eine Abmahnung an den Kläger. Nach Rechtsausführungen, dass die unerlaubte Weitergabe der IP-Adresse eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstelle, wird die Bereitschaft in Aussicht gestellt, die Sache auf sich beruhen zu lassen, wenn der Kläger die Summe von 170 € zahle.
Der Kläger bringt vor, der Beklagte betreibe die "bislang gewaltigste Abmahnwelle" in Deutschland. Er lasse automatisiert Abmahnschreiben im sechs- oder sogar siebenstelligen Bereich seit Spätsommer 2022 versenden. In den Schreiben werde behauptet, der Beklagte habe die jeweilige Website des Abgemahnten besucht und der Beklagte fühle sich deshalb in seinen Rechten verletzt. Tatsächlich habe der Beklagte aber persönlich keine Websites aufgesucht und könne daher auch keinerlei persönliche Betroffenheit gespürt haben.
Das LG gab der der negativen Feststellungsklage statt.
Die Gründe:
Der Kläger kann Feststellung verlangen, dass der Beklagte gegen ihn keinen Unterlassungs- und Schmerzensgeldanspruch hat. Der Beklagte hat gegen den Kläger keinen Unterlassungsanspruch, sodass der Kläger auf Grund des Berühmens des Beklagten in dem Schreiben vom 20.10.2022 Feststellung des Nichtbestehens eines entsprechenden Unterlassungsanspruchs verlangen kann.
Es kann offenbleiben, ob die auf der Website des Klägers früher bestehende dynamische Einbindung von Google-Fonts gegen die DSGVO verstieß. Denn jedenfalls fehlt es an einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beklagten in Form des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB.
Im Ausgangspunkt teilt das Gericht noch die Auffassung des Beklagten, dass wenn die dynamische Einbindung von Google-Fonts gegen die DSGVO verstößt und seine IP-Adresse ohne zwingenden technischen Grund und ohne Einwilligung seinerseits in die USA an Google übertragen wird, dies eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts darstellen kann.
Allerdings setzt eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus, dass tatsächlich eine persönliche Betroffenheit gegeben ist. Eine solche persönliche Betroffenheit war hier nicht gegeben. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beklagte tatsächlich persönlich die Website des Klägers aufgesucht hat bzw. die Websites anderer Abgemahnter. Vielmehr wurde ein automatisiertes Programm (sog. Crawler) eingesetzt, um Websites aufzufinden, auf denen Google-Fonts dynamisch eingebunden waren.
Selbst wenn jedoch angenommen würde, dass auch ein automatisierter Besuch einer Website, der zur Übertragung der IP-Adresse des Nutzers führt, grundsätzlich geeignet wäre, eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts zu begründen, so scheidet ein Unterlassungsanspruch des Beklagten gegen den Kläger unter dem Gesichtspunkt der Tatprovokation aus. Der mutmaßlich vom Beklagten eingesetzte Crawler sollte ja gerade Websites mit dynamischer Google-Fonts-Einbindung finden. Die Übertragung der IP-Adresse in die USA war dann auch zwingende Voraussetzung, um überhaupt einen Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Wer sich aber bewusst und gezielt in eine Situation begibt, in der ihm eine Persönlichkeitsrechtsverletzung droht, gerade um die Persönlichkeitsverletzung an sich zu erfahren, um sodann daraus Ansprüche zu begründen, ist nicht schutzbedürftig.
Der Beklagte hatte gegen den Kläger auch keinen Schmerzensgeldanspruch, so dass der Kläger Feststellung verlangen kann, dass der insoweit berühmte (siehe dazu oben) Anspruch nicht besteht.
Es fehlt bereits an den Voraussetzungen eines Anspruchs aus Art. 82 DSGVO. Dieser setzt einen, gegebenenfalls auch immateriellen, Schaden des Anspruchsstellers voraus. Ein solcher Schaden lag hier aber offensichtlich nicht vor. In der Rechtsprechung ist umstritten, inwieweit Angstgefühle oder Verunsicherung für sich genommen ausreichend sind, um einen Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO zu begründen. Auf diese Frage kommt es hier jedoch nicht an, weil der Beklagte tatsächlich solche Gefühle auf Grund des Einsatzes eines automatisierten Programms gar nicht gehabt haben kann: Wer gar nicht weiß, welche Websites "in seinem Namen" besucht werden, kann sich überhaupt nicht individuell Gedanken dazu machen, dass ihm aus der Übertragung seiner IP-Adresse Unannehmlichkeiten entstehen könnten.
Im Übrigen wäre ein etwaig doch gegebener Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO oder aus § 823 Abs. 1 BGB auch wegen Rechtsmissbrauch, § 242 BGB ausgeschlossen. Der Beklagte ließ gezielt durch den Crawler Websites aufsuchen, gerade um behauptete Verletzungen seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu begründen. Es ist aber nicht Sinn und Zweck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der Datenschutzvorgaben nach der DSGVO, Personen eine Erwerbsquelle zu verschaffen wegen behaupteter Verletzungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Wer einen Verstoß gegen sein Persönlichkeitsrecht gezielt provoziert, um daraus hernach Ansprüche zu begründen, verstößt gegen das Verbot selbstwidersprüchlichen Verhaltens.
Mehr zum Thema:
Aufsatz:
Google Fonts: Aufdringliche Abmahnungen
Christian Franz, CR-online.de Blog 2022
Kurzbeitrag:
LG München: Dynamische Einbindung von Google Fonts in Webseite datenschutzwidrig
Mandy Hrube, CR 2022, R56
Alles auch nachzulesen im Beratermodul IT-Recht:
Die perfekte Online-Ausstattung für das IT-Recht (DSGVO/BDSG). Stets auf dem aktuellsten Stand mit den Inhalten aller Ausgaben von Computer und Recht und IT-Rechtsberater sowie den Updates von Redeker, Handbuch der IT-Verträge. Ihr Vorteil: Bearbeiten Sie zahlreiche bewährte Formulare mit LAWLIFT! 4 Wochen gratis nutzen!
Justiz Bayern online
Die Parteien streiten im Wege einer negativen Feststellungsklage über einen Unterlassungsanspruch des Beklagten gegen den Kläger wegen der Einbindung sog. Google-Fonts sowie weitere Ansprüche.
Der Kläger hatte bis Oktober 2022 auf seiner Website die von Google bereitgestellten Schriftarten, sog. Fonts, dergestalt "dynamisch" eingebunden, dass bei einem Besuch der Website die IP-Adresse des Besuchers an Google in die USA übermittelt wurde.
Der Beklagte setzte ein automatisiertes System, einen sog. "Crawler" ein, um Websites zu ermitteln, auf welchen eine dynamische Einbindung von Google-Fonts programmiert war. In einer zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen, jedenfalls aber mindestens höheren zweistelligen Zahl an Fällen, ließ der Beklagte sodann durch R. "Abmahnschreiben" an die Betreiber entsprechender Websites mit dynamischer Einbindung von Google-Fonts verschicken.
Unter dem 20.10.2022 verschickte der Beklagte eine Abmahnung an den Kläger. Nach Rechtsausführungen, dass die unerlaubte Weitergabe der IP-Adresse eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstelle, wird die Bereitschaft in Aussicht gestellt, die Sache auf sich beruhen zu lassen, wenn der Kläger die Summe von 170 € zahle.
Der Kläger bringt vor, der Beklagte betreibe die "bislang gewaltigste Abmahnwelle" in Deutschland. Er lasse automatisiert Abmahnschreiben im sechs- oder sogar siebenstelligen Bereich seit Spätsommer 2022 versenden. In den Schreiben werde behauptet, der Beklagte habe die jeweilige Website des Abgemahnten besucht und der Beklagte fühle sich deshalb in seinen Rechten verletzt. Tatsächlich habe der Beklagte aber persönlich keine Websites aufgesucht und könne daher auch keinerlei persönliche Betroffenheit gespürt haben.
Das LG gab der der negativen Feststellungsklage statt.
Die Gründe:
Der Kläger kann Feststellung verlangen, dass der Beklagte gegen ihn keinen Unterlassungs- und Schmerzensgeldanspruch hat. Der Beklagte hat gegen den Kläger keinen Unterlassungsanspruch, sodass der Kläger auf Grund des Berühmens des Beklagten in dem Schreiben vom 20.10.2022 Feststellung des Nichtbestehens eines entsprechenden Unterlassungsanspruchs verlangen kann.
Es kann offenbleiben, ob die auf der Website des Klägers früher bestehende dynamische Einbindung von Google-Fonts gegen die DSGVO verstieß. Denn jedenfalls fehlt es an einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beklagten in Form des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB.
Im Ausgangspunkt teilt das Gericht noch die Auffassung des Beklagten, dass wenn die dynamische Einbindung von Google-Fonts gegen die DSGVO verstößt und seine IP-Adresse ohne zwingenden technischen Grund und ohne Einwilligung seinerseits in die USA an Google übertragen wird, dies eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts darstellen kann.
Allerdings setzt eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus, dass tatsächlich eine persönliche Betroffenheit gegeben ist. Eine solche persönliche Betroffenheit war hier nicht gegeben. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beklagte tatsächlich persönlich die Website des Klägers aufgesucht hat bzw. die Websites anderer Abgemahnter. Vielmehr wurde ein automatisiertes Programm (sog. Crawler) eingesetzt, um Websites aufzufinden, auf denen Google-Fonts dynamisch eingebunden waren.
Selbst wenn jedoch angenommen würde, dass auch ein automatisierter Besuch einer Website, der zur Übertragung der IP-Adresse des Nutzers führt, grundsätzlich geeignet wäre, eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts zu begründen, so scheidet ein Unterlassungsanspruch des Beklagten gegen den Kläger unter dem Gesichtspunkt der Tatprovokation aus. Der mutmaßlich vom Beklagten eingesetzte Crawler sollte ja gerade Websites mit dynamischer Google-Fonts-Einbindung finden. Die Übertragung der IP-Adresse in die USA war dann auch zwingende Voraussetzung, um überhaupt einen Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Wer sich aber bewusst und gezielt in eine Situation begibt, in der ihm eine Persönlichkeitsrechtsverletzung droht, gerade um die Persönlichkeitsverletzung an sich zu erfahren, um sodann daraus Ansprüche zu begründen, ist nicht schutzbedürftig.
Der Beklagte hatte gegen den Kläger auch keinen Schmerzensgeldanspruch, so dass der Kläger Feststellung verlangen kann, dass der insoweit berühmte (siehe dazu oben) Anspruch nicht besteht.
Es fehlt bereits an den Voraussetzungen eines Anspruchs aus Art. 82 DSGVO. Dieser setzt einen, gegebenenfalls auch immateriellen, Schaden des Anspruchsstellers voraus. Ein solcher Schaden lag hier aber offensichtlich nicht vor. In der Rechtsprechung ist umstritten, inwieweit Angstgefühle oder Verunsicherung für sich genommen ausreichend sind, um einen Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO zu begründen. Auf diese Frage kommt es hier jedoch nicht an, weil der Beklagte tatsächlich solche Gefühle auf Grund des Einsatzes eines automatisierten Programms gar nicht gehabt haben kann: Wer gar nicht weiß, welche Websites "in seinem Namen" besucht werden, kann sich überhaupt nicht individuell Gedanken dazu machen, dass ihm aus der Übertragung seiner IP-Adresse Unannehmlichkeiten entstehen könnten.
Im Übrigen wäre ein etwaig doch gegebener Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO oder aus § 823 Abs. 1 BGB auch wegen Rechtsmissbrauch, § 242 BGB ausgeschlossen. Der Beklagte ließ gezielt durch den Crawler Websites aufsuchen, gerade um behauptete Verletzungen seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu begründen. Es ist aber nicht Sinn und Zweck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der Datenschutzvorgaben nach der DSGVO, Personen eine Erwerbsquelle zu verschaffen wegen behaupteter Verletzungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Wer einen Verstoß gegen sein Persönlichkeitsrecht gezielt provoziert, um daraus hernach Ansprüche zu begründen, verstößt gegen das Verbot selbstwidersprüchlichen Verhaltens.
Aufsatz:
Google Fonts: Aufdringliche Abmahnungen
Christian Franz, CR-online.de Blog 2022
Kurzbeitrag:
LG München: Dynamische Einbindung von Google Fonts in Webseite datenschutzwidrig
Mandy Hrube, CR 2022, R56
Alles auch nachzulesen im Beratermodul IT-Recht:
Die perfekte Online-Ausstattung für das IT-Recht (DSGVO/BDSG). Stets auf dem aktuellsten Stand mit den Inhalten aller Ausgaben von Computer und Recht und IT-Rechtsberater sowie den Updates von Redeker, Handbuch der IT-Verträge. Ihr Vorteil: Bearbeiten Sie zahlreiche bewährte Formulare mit LAWLIFT! 4 Wochen gratis nutzen!