26.04.2024

Einlegung eines wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässigen persönlichen Rechtsmittels bei beantragter Verfahrenskostenhilfe

Der verfahrenskostenhilfebedürftige Rechtsmittelführer ist auch dann unverschuldet an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels gehindert, wenn er ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt und dafür Verfahrenskostenhilfe beantragt hat. Das Rechtsmittelgericht hat auch in diesem Fall zunächst über die beantragte Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, bevor es das Rechtsmittel als unzulässig verwirft (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 10.1.2024 - XII ZB 510/23, MDR 2024, 391). Der BGH hat sich vorliegend auch mit der Verpflichtung des Beschwerdegerichts befasst, den Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass der von ihm gestellte Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerde unvollständig ist und er innerhalb der Beschwerdefrist eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlichen Vordruck einreichen müsse (im Anschluss an BGH Beschluss vom 27.8.2019 - VI ZB 32/18, FamRZ 2019, 2015).

BGH v. 20.3.2024 - XII ZB 506/23
Der Sachverhalt:
Der Antragsgegner erbrachte an den Sohn des Antragstellers, der einem Hochschulstudium nachgeht, Vorausleistungen nach § 36 BAföG und nahm den Antragsteller außergerichtlich aus übergegangenem Recht auf Erstattung der geleisteten Beträge in Anspruch. Daraufhin erhob der Antragsteller für die Studienjahre 2020/2021 und 2021/2022 Klagen vor dem VG, mit denen er primär die "Abweisung aller Zahlungsfestsetzungen" erreichen will. Das VG verband die Verfahren und verwies sie (teilweise) an das AG - Familiengericht.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem AG erschien für den Antragsteller niemand, woraufhin dessen Antrag durch Versäumnisbeschluss abgewiesen wurde. Den dagegen eingelegten Einspruch des Antragstellers verwarf das AG als unzulässig, weil der Einspruch nicht fristgerecht eingelegt worden sei. Gegen diesen ihm am 15.7.2023 zugestellten Beschluss legte der Antragsteller mit einem am 21.7.2023 beim AG eingegangenen Schreiben persönlich Beschwerde ein. Das OLG verwarf die Beschwerde als unzulässig, weil nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das OLG hätte die Beschwerde des Antragstellers nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen dürfen, dass diese entgegen § 114 FamFG nicht von einem Rechtsanwalt eingelegt worden ist. Denn der Antragsteller hat mit seinem am 21.7.2023 beim AG eingegangenen Schreiben innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt.

Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist Verfahrenskostenhilfe beantragt hat, ist bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen oder rechtzeitig zu begründen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Das gilt auch dann, wenn neben dem Verfahrenskostenhilfegesuch ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden ist. Da der Verfahrenskostenhilfe beantragende Beteiligte wegen seiner Bedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, ist ihm, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Beschwerdegericht hat dementsprechend zunächst über das Verfahrenskostenhilfegesuch zu entscheiden.

Daran gemessen durfte das OLG die Beschwerde nicht vor der Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragstellers verwerfen. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht, hätte das OLG zunächst über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden müssen, weil dem Antragsteller bei Nachholung der formwirksamen Beschwerdeeinlegung und -begründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerde- und der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren gewesen wäre. In seinem am 21.7.2023 beim AG eingegangenen Schreiben hat der Antragsteller ausgeführt, dass er aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sei, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, weshalb er im Falle eines Anwaltszwangs beantrage, ihm eine "Pflicht-Verteidigung" zu benennen und unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Verfahrenserklärungen eines Beteiligten kann das Rechtsbeschwerdegericht selbst auslegen. Im Wege einer solchen Auslegung ist dem genannten Schreiben mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Antragsteller um Verfahrenskostenhilfe für seine Beschwerde nachgesucht hat. Dieses vom Beschwerdegericht wohl übersehene Gesuch ist innerhalb der Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG beim AG eingegangen.

Auch musste der Antragsteller nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Verfahrenskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen. Zwar kann einem Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ein Rechtsmittel grundsätzlich nur stattgegeben werden, wenn neben dem Antrag innerhalb der Rechtsmittelfrist auch die notwendigen Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der erforderlichen Form gemacht werden. Hierzu gehört grundsätzlich die Verwendung des nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordrucks. Einen solchen Vordruck hat der Antragsteller bislang nicht zur Akte gereicht. Dieses Versäumnis wirkt sich unter den vorliegenden Umständen aber nicht zulasten des Antragstellers aus. Denn das OLG hat es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den in der Beschwerdeinstanz anwaltlich nicht vertretenen und insoweit offensichtlich nicht rechtskundig beratenen Antragsteller darauf hinzuweisen, dass sein Verfahrenskostenhilfeantrag unvollständig ist.

Der aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren verpflichtet das Gericht zur Rücksichtnahme auf die Beteiligten. Das Gebot der Rücksichtnahme gilt im Verfahrenskostenhilfeverfahren in besonderem Maße. Dementsprechend ist es in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass das Gericht einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe nicht wegen unterlassener Einreichung des in § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordrucks ablehnen darf, wenn es den Beteiligten nicht zuvor erfolglos auf die Unvollständigkeit seines Antrags hingewiesen und ihm eine Frist zur Einreichung dieses Vordrucks gesetzt hat. Im Rechtsmittelverfahren besteht diese Hinweispflicht dann, wenn der Verfahrenskostenhilfeantrag so rechtzeitig gestellt worden ist, dass eine Einreichung des Vordrucks auf einen entsprechenden Hinweis hin noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist möglich erscheint. Nach Maßgabe dieser Grundsätze war das OLG gehalten, den nicht rechtskundig beratenen Antragsteller nach dem am 2.8.2023 erfolgten Akteneingang darauf hinzuweisen, dass der von ihm gestellte Verfahrenskostenhilfeantrag unvollständig war und er innerhalb der Beschwerdefrist eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlichen Vordruck einreichen müsse.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 117 Antrag
Schultzky in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

Kommentierung | ZPO
§ 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

Kommentierung | FamFG
§ 113 Anwendung von Vorschriften der Zivilprozessordnung
Feskorn in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

Rechtsprechung (siehe Leitsätze):
Wiedereinsetzung bei gleichzeitiger Verwerfung der nicht durch einen Anwalt eingelegten Beschwerde und VKH-Versagung
BGH vom 10.01.2024 - XII ZB 510/23
MDR 2024, 391
MDR0064539

Rechtsprechung (siehe Leitsätze):
§§ 117 IV, 234 ZPO: Hinweispflicht bei unvollständigem PKH-Antrag
BGH vom 27.08.2019 - VI ZB 32/18
FamRZ 2019, 2015

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