Einspeisung von öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radioprogrammen in Kabelnetze nur gegen Entgelt?
BGH 16.6.2015, KZR 83/13 u.a.Die Klägerin betreibt insbesondere in Rheinland-Pfalz und in Bayern Breitbandkabelnetze für Rundfunksignale. Sie streitet mit den jeweils beklagten öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten (Verfahren KZR 83/13: der Südwestrundrundfunk; Verfahren KZR 3/14: der Bayerische Rundfunk) um die Bezahlung eines solchen Entgelts. Die Programme der Beklagten gehören zu den sog. "Must-carry-Programmen" i.S.d. § 52b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 RStV. Die Klägerin hat nach dieser Vorschrift bis zu einem Drittel ihrer für die digitale Verbreitung von Rundfunk zur Verfügung stehenden Gesamtkapazität für die bundesweite Verbreitung dieser Programme zur Verfügung zu stellen.
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Länder, das ZDF, Deutschlandradio und ARTE zahlten der Klägerin bisher auf der Grundlage eines 2008 abgeschlossenen Einspeisevertrags ein jährliches Entgelt i.H.v. 27 Mio. € für die digitale und analoge Einspeisung ihrer Programme. Im Juni 2012 erklärten die Beklagten, ebenso wie die anderen am Vertrag beteiligten Rundfunkveranstalter, die Kündigung des Einspeisevertrags zum 31.12.2012. Die Klägerin speist die Rundfunksignale, die die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihr nach wie vor zur Verfügung stellen, weiterhin in ihre Netze ein. Die Beklagten leisten dafür aber kein Entgelt mehr.
Die Klägerin hält die Kündigungen für rechtswidrig, weil die Beklagten zum Abschluss eines entgeltlichen Einspeisevertrags verpflichtet seien. Sie sieht in der Kündigung einen verbotenen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten (§ 19 GWB). Zudem macht die Klägerin eine mit § 1 GWB unvereinbare Abstimmung der Kündigung des Einspeisevertrags zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern geltend. Die Klägerin begehrt jeweils die Feststellung, dass der Einspeisevertrag fortbestehe, hilfsweise insbesondere die Verurteilung der Beklagten zum Abschluss eines neuen Einspeisevertrags und Schadensersatz oder (nur im Verfahren KZR 83/13) Bereicherungsausgleich und Aufwendungsersatz für die vertragslose Einspeisung.
Die Vorinstanzen wiesen die Klagen jeweils ab. Auf die Revisionen der Klägerin hob der BGH die Urteile auf und verwies die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Berufungsgerichte zurück.
Die Gründe:
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Fortsetzung des Einspeisevertrages oder auf Neuabschluss eines solchen Vertrages zu unveränderten Bedingungen zu. Eine solche Kontrahierungspflicht lässt sich den Regelungen des Rundfunkrechts nicht entnehmen.
Zwar sind einerseits die Beklagten wegen des Grundversorgungsauftrags verpflichtet, der Klägerin die Programmsignale zur Verfügung zu stellen; die Klägerin ist demgegenüber gem. § 52b RStV verpflichtet, die Programmsignale der Beklagten einzuspeisen. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines bestimmten Entgelts als Gegenleistung für die Einspeisung ergibt sich aber aus den rundfunkrechtlichen Regelungen nicht. Eine Verpflichtung der Beklagten zum Abschluss eines Einspeisevertrages zu unveränderten Bedingungen ist auch nicht durch unionsrechtliche oder verfassungsrechtliche Bestimmungen geboten. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin unzumutbar belastet würde, wenn sie die gesetzliche Pflicht zur Übertragung der Programme der Beklagten erfüllen müsste, ohne dafür das von diesen bislang gezahlte Entgelt verlangen zu können.
Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die Beklagten der Klägerin die Programmsignale, die für die Klägerin zur Vermarktung ihrer Kabelanschlussprodukte an Endkunden von erheblichem wirtschaftlichem Wert sind, unentgeltlich zur Verfügung stellen. Eine Pflicht zur Fortsetzung der Vertragsbeziehung zu den bisherigen Bedingungen kann auch nicht aus kartellrechtlichen Bestimmungen hergeleitet werden. Die Beklagten unterliegen zwar als auch wirtschaftlich tätige Unternehmen den Regelungen des Kartellrechts. Ihre Weigerung, den Einspeisevertrag mit der Klägerin fortzusetzen, stellt jedoch keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S.v. § 19 GWB dar.
Den Beklagten kommt auf dem relevanten Markt eine marktbeherrschende Stellung zu. Es kann jedoch nicht von einem missbräuchlichen Verhalten der Beklagten i.S.v. § 19 Abs. 2 GWB ausgegangen werden. Der Umstand, dass die Klägerin von privaten Fernsehsendern ein (nicht näher konkretisiertes) Entgelt erhält, begründet keinen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Fortsetzung des Einspeisevertrages zu unveränderten Bedingungen. Soweit die Beklagten Anbietern anderer Übertragungstechniken (per Satellit oder terrestrisch), ein Einspeiseentgelt bezahlen, liegt darin keine unzulässige Diskriminierung, weil diese sich, anders als die Klägerin, auf die reine Übertragungsleistung beschränken.
Es fehlt jedoch an ausreichenden Feststellungen dazu, ob die Beklagten zusammen mit den anderen am Vertrag beteiligten Rundfunkveranstaltern unter Verstoß gegen § 1 GWB die Beendigung dieses Vertrages vereinbart und daraufhin die Kündigung erklärt haben. Sollten die Kündigungen nicht auf einer selbständigen unternehmerischen Entscheidung, sondern auf einer solchen verbotenen Absprache beruhen, wären die Kündigungen nichtig. Falls die Kündigungen wirksam sind, werden die Berufungsgerichte zu prüfen haben, welches die angemessenen Bedingungen für die Pflichteinspeisung und -übertragung der öffentlich-rechtlichen Programme über das Kabelnetz der Klägerin sind. Je nach Ergebnis der Feststellungen kann sich eine Zahlungsverpflichtung der Rundfunkanstalten oder eine Pflicht zur unentgeltlichen Einspeisung ergeben.
Linkhinweis:
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