Entlassung des Insolvenzverwalters auf Antrag eines Gläubigers wegen fehlender Unabhängigkeit
BGH v. 23.11.2023 - IX ZB 29/22
Der Sachverhalt:
Der weitere Beteiligte zu 1) wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Amt als Insolvenzverwalter in dem auf Eigenantrag vom 19.5.2021 mit Beschluss des AG Leipzig vom 31.8.2021 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Die Schuldnerin ist Teil einer Unternehmensgruppe, die überwiegend Privatanlegern die Zeichnung von Nachrangdarlehen anbot. Der weitere Beteiligte zu 2) hatte der Schuldnerin ein Nachrangdarlehen gewährt.
Das AG setzte mit Beschluss vom 21.5.2021 einen vorläufigen Gläubigerausschuss im Eröffnungsverfahren ein, der neben Rechtsanwalt M. aus zwei weiteren Mitgliedern bestand. Auf Vorschlag dieses Gläubigerausschusses wurde der Beteiligte zu 1) mit Beschluss vom 10.6.2021 zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin durch Beschluss vom 31.8.2021 ernannte das AG den Beteiligten zu 1) (Insolvenzverwalter) zum Insolvenzverwalter und setzte einen vorläufigen Gläubigerausschuss bestehend aus Rechtsanwalt M. und zwei weiteren Mitgliedern ein.
In der Zeit zwischen dem 10.6. und dem 21.9.2021 zeigten neben den Instanzbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) vier weitere Rechtsanwaltskanzleien die Vertretung von Anlegern der Schuldnerin an; die Rechtsanwaltskanzleien m. und B. bekundeten zugleich ihr Interesse daran, Mitglied im vorläufigen oder endgültigen Gläubigerausschuss in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zu werden. Mit Schreiben vom 28.9.2021 wies der Insolvenzverwalter alle Gläubiger der Schuldnerin auf die Möglichkeit hin, sich in der bevorstehenden ersten Gläubigerversammlung durch einen von zwei nachfolgend benannten Rechtsanwälten kostenlos vertreten zu lassen, falls der betreffende Gläubiger noch nicht anwaltlich vertreten oder an einer eigenen Terminswahrnehmung gehindert sei. Dem Schreiben waren vorformulierte Stimmrechtsvollmachten für Rechtsanwalt Prof. Dr. S. und für Rechtsanwalt M. beigefügt. Der Beteiligte zu 2) beantragte, den Beteiligten zu 1) aus seinem Amt als Insolvenzverwalter zu entlassen.
Das AG wies den Antrag zurück. Auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2) entschied das LG, dass der Insolvenzverwalter aus seinem Amt zu entlassen sei und übertrug die Anordnung der Entlassung dem AG. Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO kann das Insolvenzgericht den Verwalter aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. Die Entlassung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Verwalters, des Gläubigerausschusses und der Gläubigerversammlung erfolgen. § 59 Abs. 1 Satz 2, 3 InsO in der gem. Art. 103m Satz 1 EGInsO seit dem 1.1.2021 geltenden und im Streitfall anwendbaren Fassung sieht nunmehr auch eine Entlassung des Insolvenzverwalters auf Antrag des Schuldners oder eines einzelnen Insolvenzgläubigers vor. Der Schuldner und der einzelne Gläubiger können eine Entlassung des Insolvenzverwalters nur innerhalb von sechs Monaten nach dessen Bestellung beantragen und ihren Antrag nur auf eine fehlende Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters stützen. Insoweit handelt es sich nach der gesetzlichen Systematik um einen Unterfall des wichtigen Grundes i.S.d. § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO.
Ein Insolvenzgläubiger kann seinen Antrag auf Entlassung des Insolvenzverwalters aus dem Amt wegen fehlender Unabhängigkeit auch auf Umstände oder Verhaltensweisen des Insolvenzverwalters stützen, die erst nach dessen Bestellung eingetreten sind. Eine Beschränkung des Antragsrechts des Gläubigers oder Schuldners auf Umstände oder Verhaltensweisen aus der Zeit vor der Bestellung des Insolvenzverwalters ergibt sich weder aus dem Wortlaut oder der Entstehungsgeschichte der Norm noch aus ihrem Sinn und Zweck.
Pflichtverletzungen des Insolvenzverwalters führen nicht stets dazu, dass zugleich seine Unabhängigkeit beeinträchtigt ist. Begeht der Insolvenzverwalter Pflichtverletzungen, können diese zwar unter dem Gesichtspunkt des wichtigen Grundes zur Entlassung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO führen. Insoweit besteht jedoch kein Antragsrecht eines Insolvenzgläubigers, das dieser im Wege der sofortigen Beschwerde nach § 59 Abs. 2 Satz 2 InsO weiterverfolgen könnte. Lediglich wenn aufgrund der Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters zugleich seine fehlende Unabhängigkeit zu Tage tritt, kann ein Antragsrecht eines Insolvenzgläubigers nach § 59 Abs. 1 Satz 3 InsO in Frage kommen. Ein Beschwerderecht steht einem Insolvenzgläubiger nur für seinen Antrag zu, den Insolvenzverwalter wegen fehlender Unabhängigkeit aus seinem Amt zu entlassen.
Die erforderliche Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters fehlt nicht erst dann, wenn seine Abhängigkeit von den Interessen des Schuldners oder der Gläubiger positiv feststeht. Wegen der überragenden Bedeutung der Person des Insolvenzverwalters für die ordnungsgemäße Abwicklung des Insolvenzverfahrens und seiner den Interessen sowohl der Gläubiger wie auch des Schuldners verpflichteten Stellung, ist eine Belassung im Amt bereits dann ausgeschlossen, wenn objektive Umstände vorliegen, die aus der Sicht eines vernünftigen Gläubigers oder Schuldners berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit oder Unparteilichkeit der Person des Insolvenzverwalters begründen. Maßgeblich ist, ob ein Sachverhalt vorliegt, der bei unvoreingenommener, lebensnaher Betrachtungsweise die ernstliche Besorgnis rechtfertigen kann, dass der Verwalter an seiner Amtsführung verhindert ist. Ob der Verwalter tatsächlich nicht unabhängig ist, ist demgegenüber nicht entscheidend. Der Insolvenzverwalter handelt pflichtwidrig, wenn er die Insolvenzgläubiger in ihrer Entscheidung über die Zusammensetzung des endgültigen Gläubigerausschusses zu beeinflussen versucht.
Gemessen hieran hat die Entscheidung des LG, die eine fehlende Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters allein mit dessen Schreiben vom 28.9.2021 begründet, keinen Bestand.
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§ 59 Entlassung des Insolvenzverwalters
Riedel in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Rechtsprechung:
Kein Beschwerderecht des einzelnen Insolvenzgläubiger gegen die Ablehnung des Insolvenzgerichts zur Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters
LG Oldenburg vom 01.12.2022 - 4 T 435/22
ZIP 2024, 253
ZIP0063737
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Der weitere Beteiligte zu 1) wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Amt als Insolvenzverwalter in dem auf Eigenantrag vom 19.5.2021 mit Beschluss des AG Leipzig vom 31.8.2021 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Die Schuldnerin ist Teil einer Unternehmensgruppe, die überwiegend Privatanlegern die Zeichnung von Nachrangdarlehen anbot. Der weitere Beteiligte zu 2) hatte der Schuldnerin ein Nachrangdarlehen gewährt.
Das AG setzte mit Beschluss vom 21.5.2021 einen vorläufigen Gläubigerausschuss im Eröffnungsverfahren ein, der neben Rechtsanwalt M. aus zwei weiteren Mitgliedern bestand. Auf Vorschlag dieses Gläubigerausschusses wurde der Beteiligte zu 1) mit Beschluss vom 10.6.2021 zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin durch Beschluss vom 31.8.2021 ernannte das AG den Beteiligten zu 1) (Insolvenzverwalter) zum Insolvenzverwalter und setzte einen vorläufigen Gläubigerausschuss bestehend aus Rechtsanwalt M. und zwei weiteren Mitgliedern ein.
In der Zeit zwischen dem 10.6. und dem 21.9.2021 zeigten neben den Instanzbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) vier weitere Rechtsanwaltskanzleien die Vertretung von Anlegern der Schuldnerin an; die Rechtsanwaltskanzleien m. und B. bekundeten zugleich ihr Interesse daran, Mitglied im vorläufigen oder endgültigen Gläubigerausschuss in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zu werden. Mit Schreiben vom 28.9.2021 wies der Insolvenzverwalter alle Gläubiger der Schuldnerin auf die Möglichkeit hin, sich in der bevorstehenden ersten Gläubigerversammlung durch einen von zwei nachfolgend benannten Rechtsanwälten kostenlos vertreten zu lassen, falls der betreffende Gläubiger noch nicht anwaltlich vertreten oder an einer eigenen Terminswahrnehmung gehindert sei. Dem Schreiben waren vorformulierte Stimmrechtsvollmachten für Rechtsanwalt Prof. Dr. S. und für Rechtsanwalt M. beigefügt. Der Beteiligte zu 2) beantragte, den Beteiligten zu 1) aus seinem Amt als Insolvenzverwalter zu entlassen.
Das AG wies den Antrag zurück. Auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2) entschied das LG, dass der Insolvenzverwalter aus seinem Amt zu entlassen sei und übertrug die Anordnung der Entlassung dem AG. Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO kann das Insolvenzgericht den Verwalter aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. Die Entlassung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Verwalters, des Gläubigerausschusses und der Gläubigerversammlung erfolgen. § 59 Abs. 1 Satz 2, 3 InsO in der gem. Art. 103m Satz 1 EGInsO seit dem 1.1.2021 geltenden und im Streitfall anwendbaren Fassung sieht nunmehr auch eine Entlassung des Insolvenzverwalters auf Antrag des Schuldners oder eines einzelnen Insolvenzgläubigers vor. Der Schuldner und der einzelne Gläubiger können eine Entlassung des Insolvenzverwalters nur innerhalb von sechs Monaten nach dessen Bestellung beantragen und ihren Antrag nur auf eine fehlende Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters stützen. Insoweit handelt es sich nach der gesetzlichen Systematik um einen Unterfall des wichtigen Grundes i.S.d. § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO.
Ein Insolvenzgläubiger kann seinen Antrag auf Entlassung des Insolvenzverwalters aus dem Amt wegen fehlender Unabhängigkeit auch auf Umstände oder Verhaltensweisen des Insolvenzverwalters stützen, die erst nach dessen Bestellung eingetreten sind. Eine Beschränkung des Antragsrechts des Gläubigers oder Schuldners auf Umstände oder Verhaltensweisen aus der Zeit vor der Bestellung des Insolvenzverwalters ergibt sich weder aus dem Wortlaut oder der Entstehungsgeschichte der Norm noch aus ihrem Sinn und Zweck.
Pflichtverletzungen des Insolvenzverwalters führen nicht stets dazu, dass zugleich seine Unabhängigkeit beeinträchtigt ist. Begeht der Insolvenzverwalter Pflichtverletzungen, können diese zwar unter dem Gesichtspunkt des wichtigen Grundes zur Entlassung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO führen. Insoweit besteht jedoch kein Antragsrecht eines Insolvenzgläubigers, das dieser im Wege der sofortigen Beschwerde nach § 59 Abs. 2 Satz 2 InsO weiterverfolgen könnte. Lediglich wenn aufgrund der Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters zugleich seine fehlende Unabhängigkeit zu Tage tritt, kann ein Antragsrecht eines Insolvenzgläubigers nach § 59 Abs. 1 Satz 3 InsO in Frage kommen. Ein Beschwerderecht steht einem Insolvenzgläubiger nur für seinen Antrag zu, den Insolvenzverwalter wegen fehlender Unabhängigkeit aus seinem Amt zu entlassen.
Die erforderliche Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters fehlt nicht erst dann, wenn seine Abhängigkeit von den Interessen des Schuldners oder der Gläubiger positiv feststeht. Wegen der überragenden Bedeutung der Person des Insolvenzverwalters für die ordnungsgemäße Abwicklung des Insolvenzverfahrens und seiner den Interessen sowohl der Gläubiger wie auch des Schuldners verpflichteten Stellung, ist eine Belassung im Amt bereits dann ausgeschlossen, wenn objektive Umstände vorliegen, die aus der Sicht eines vernünftigen Gläubigers oder Schuldners berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit oder Unparteilichkeit der Person des Insolvenzverwalters begründen. Maßgeblich ist, ob ein Sachverhalt vorliegt, der bei unvoreingenommener, lebensnaher Betrachtungsweise die ernstliche Besorgnis rechtfertigen kann, dass der Verwalter an seiner Amtsführung verhindert ist. Ob der Verwalter tatsächlich nicht unabhängig ist, ist demgegenüber nicht entscheidend. Der Insolvenzverwalter handelt pflichtwidrig, wenn er die Insolvenzgläubiger in ihrer Entscheidung über die Zusammensetzung des endgültigen Gläubigerausschusses zu beeinflussen versucht.
Gemessen hieran hat die Entscheidung des LG, die eine fehlende Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters allein mit dessen Schreiben vom 28.9.2021 begründet, keinen Bestand.
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