Erlaubnispflichtige Tätigkeit als Versicherungsvermittler? (Gruppenversicherung II)
BGH v. 15.12.2022 - I ZR 8/19
Der Sachverhalt:
Die Beklagte beauftragt Werbeunternehmen, im Wege der Haustürwerbung Verbrauchern den Beitritt zu einer Versicherung anzubieten, deren Mitgliedschaft zur Inanspruchnahme verschiedener Leistungen im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigt. Hierzu zählen die Erstattung der Kosten für medizinisch notwendige Heilbehandlungen und Krankentransporte, die Organisation und Durchführung entsprechender Transporte sowie der Betrieb einer telefonisch erreichbaren "Alarmzentrale".
Die versprochenen Leistungen werden aus dem Vermögen der Beklagten direkt und über von der Beklagten an ihre Kunden abgetretene Ansprüche aus einer Gruppenversicherung erbracht. Die Beklagte ist mit der F-AG vertraglich verbunden, die mit ihrem medizinischen Personal und ihrem Fluggerät für die Beklagte einen Teil der Versicherungsleistungen sowie die Organisation der rund um die Uhr besetzten Alarmzentrale erbringt. Hierfür zahlt ihr die Beklagte eine Vergütung. Die Beklagte unterhält als Versicherungsnehmerin eine Gruppenversicherung bei der W. Versicherungs-AG, durch die für Kunden der Beklagten Versicherungsschutz im Rahmen einer Auslandsreisekrankenversicherung sowie einer Auslands- und Inlands-Rückholkosten-Versicherung gewährt wird.
Weder die Beklagte noch die von ihr beauftragten Werbeunternehmen verfügen über eine Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung nach § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO. Die IHK Koblenz hatte der Beklagten im September 2015 mitgeteilt, es handele sich bei dem Geschäftsmodell der Beklagten nicht um eine nach § 34d GewO erlaubnispflichtige Tätigkeit. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist der Auffassung, das Geschäftsmodell der Beklagten stelle weder die Vermittlung von Versicherungen noch den Betrieb eines Versicherungsgeschäfts dar. Der Kläger hielt die Tätigkeit der Beklagten allerdings für wettbewerbswidrig.
Das LG hat der Klage stattgegeben, das OLG hat sie abgewiesen. Der BGH hat die Sache zur Vorabentscheidung beim EuGH vorgelegt. Dieser hat entschieden, dass Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG über Versicherungsvermittlung und Art. 2 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb dahin auszulegen sind, dass unter den Begriff "Versicherungsvermittler" und damit den Begriff "Versicherungsvertreiber" i.S.d. Bestimmungen eine juristische Person fällt, deren Tätigkeit darin besteht, eine freiwillige Mitgliedschaft in einer zuvor von ihr bei einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Gruppenversicherung anzubieten, für die sie von ihren Kunden eine Vergütung erhält und die die Kunden zur Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen namentlich im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigt.
Der BGH hat daraufhin das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Gründe:
Das OLG war der Ansicht, der Unterlassungsanspruch ergebe sich nicht aus § 8 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG i.V.m. § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO. Bei § 34d GewO handele es sich zwar um eine Marktverhaltensregelung. Die Beklagte sei jedoch nicht als Versicherungsvermittlerin i.S.v. § 34d GewO zu qualifizieren. Dies folge zwar nicht schon aus den Stellungnahmen der Behörden. Jedoch könne nur Versicherungsvermittler sein, wer selbst weder Versicherungsnehmer noch Versicherer sei. Dieser Ansicht war allerdings nicht zu folgen.
Die Beklagte hat sich beim Vertrieb von Mitgliedschaften in der von ihr unterhaltenen Gruppenversicherung gem. § 3a UWG unlauter verhalten, weil sie dabei als Versicherungsvermittlerin tätig geworden ist, ohne über die hierfür gem. § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO (aF und nF) erforderliche Erlaubnis der Industrie- und Handelskammer zu verfügen. Dass die Beklagte als Versicherungsvermittlerin i.S.v. § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO tätig geworden ist, ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung dieser Bestimmung. Bei der Auslegung des Begriffs des "Versicherungsvermittlers" und des Begriffs des "Versicherungsvertreibers" i.S.v. Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97, der eine in Art. 2 Nr. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie (EU) 2016/97 angeführte Tätigkeiten ausübt, ist nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmungen zu berücksichtigen, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit ihnen verfolgt werden. Dies führt dazu, dass die Tätigkeit der Beklagten als Versicherungsvermittlung anzusehen ist.
Das Tatbestandsmerkmal der Tätigkeit gegen Vergütung ist im Streitfall als erfüllt anzusehen. Jede Mitgliedschaft eines Kunden der Beklagten, die den Gruppenversicherungsvertrag mit der Versicherungsgesellschaft abgeschlossen hat und in diesem Rahmen Versicherungsbeiträge an sie entrichtet, führt zu einer Zahlung an sie. Damit trägt die Beklagte gegen eine solche Vergütung dazu bei, dass ihre Kunden den Versicherungsschutz erlangen, der in dem von ihr mit einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Vertrag vorgesehen ist. Die Aussicht auf diese Vergütung stellt für die Beklagte ein eigenes wirtschaftliches Interesse dar, das sich von dem Interesse der Mitglieder an der Erlangung des sich aus dem betreffenden Vertrag ergebenden Versicherungsschutzes unterscheidet und geeignet ist, sie zu veranlassen, angesichts der Freiwilligkeit des Beitritts zu diesem Vertrag auf eine große Zahl von Vertragsbeitritten hinzuwirken, wovon im Übrigen hier auch ihr Rückgriff auf Werbeunternehmen zeugt, die den Vertragsbeitritt im Wege der Haustürwerbung anbieten.
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Die Beklagte beauftragt Werbeunternehmen, im Wege der Haustürwerbung Verbrauchern den Beitritt zu einer Versicherung anzubieten, deren Mitgliedschaft zur Inanspruchnahme verschiedener Leistungen im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigt. Hierzu zählen die Erstattung der Kosten für medizinisch notwendige Heilbehandlungen und Krankentransporte, die Organisation und Durchführung entsprechender Transporte sowie der Betrieb einer telefonisch erreichbaren "Alarmzentrale".
Die versprochenen Leistungen werden aus dem Vermögen der Beklagten direkt und über von der Beklagten an ihre Kunden abgetretene Ansprüche aus einer Gruppenversicherung erbracht. Die Beklagte ist mit der F-AG vertraglich verbunden, die mit ihrem medizinischen Personal und ihrem Fluggerät für die Beklagte einen Teil der Versicherungsleistungen sowie die Organisation der rund um die Uhr besetzten Alarmzentrale erbringt. Hierfür zahlt ihr die Beklagte eine Vergütung. Die Beklagte unterhält als Versicherungsnehmerin eine Gruppenversicherung bei der W. Versicherungs-AG, durch die für Kunden der Beklagten Versicherungsschutz im Rahmen einer Auslandsreisekrankenversicherung sowie einer Auslands- und Inlands-Rückholkosten-Versicherung gewährt wird.
Weder die Beklagte noch die von ihr beauftragten Werbeunternehmen verfügen über eine Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung nach § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO. Die IHK Koblenz hatte der Beklagten im September 2015 mitgeteilt, es handele sich bei dem Geschäftsmodell der Beklagten nicht um eine nach § 34d GewO erlaubnispflichtige Tätigkeit. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist der Auffassung, das Geschäftsmodell der Beklagten stelle weder die Vermittlung von Versicherungen noch den Betrieb eines Versicherungsgeschäfts dar. Der Kläger hielt die Tätigkeit der Beklagten allerdings für wettbewerbswidrig.
Das LG hat der Klage stattgegeben, das OLG hat sie abgewiesen. Der BGH hat die Sache zur Vorabentscheidung beim EuGH vorgelegt. Dieser hat entschieden, dass Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG über Versicherungsvermittlung und Art. 2 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 über Versicherungsvertrieb dahin auszulegen sind, dass unter den Begriff "Versicherungsvermittler" und damit den Begriff "Versicherungsvertreiber" i.S.d. Bestimmungen eine juristische Person fällt, deren Tätigkeit darin besteht, eine freiwillige Mitgliedschaft in einer zuvor von ihr bei einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Gruppenversicherung anzubieten, für die sie von ihren Kunden eine Vergütung erhält und die die Kunden zur Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen namentlich im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls im Ausland berechtigt.
Der BGH hat daraufhin das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Gründe:
Das OLG war der Ansicht, der Unterlassungsanspruch ergebe sich nicht aus § 8 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG i.V.m. § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO. Bei § 34d GewO handele es sich zwar um eine Marktverhaltensregelung. Die Beklagte sei jedoch nicht als Versicherungsvermittlerin i.S.v. § 34d GewO zu qualifizieren. Dies folge zwar nicht schon aus den Stellungnahmen der Behörden. Jedoch könne nur Versicherungsvermittler sein, wer selbst weder Versicherungsnehmer noch Versicherer sei. Dieser Ansicht war allerdings nicht zu folgen.
Die Beklagte hat sich beim Vertrieb von Mitgliedschaften in der von ihr unterhaltenen Gruppenversicherung gem. § 3a UWG unlauter verhalten, weil sie dabei als Versicherungsvermittlerin tätig geworden ist, ohne über die hierfür gem. § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO (aF und nF) erforderliche Erlaubnis der Industrie- und Handelskammer zu verfügen. Dass die Beklagte als Versicherungsvermittlerin i.S.v. § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO tätig geworden ist, ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung dieser Bestimmung. Bei der Auslegung des Begriffs des "Versicherungsvermittlers" und des Begriffs des "Versicherungsvertreibers" i.S.v. Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97, der eine in Art. 2 Nr. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie (EU) 2016/97 angeführte Tätigkeiten ausübt, ist nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmungen zu berücksichtigen, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit ihnen verfolgt werden. Dies führt dazu, dass die Tätigkeit der Beklagten als Versicherungsvermittlung anzusehen ist.
Das Tatbestandsmerkmal der Tätigkeit gegen Vergütung ist im Streitfall als erfüllt anzusehen. Jede Mitgliedschaft eines Kunden der Beklagten, die den Gruppenversicherungsvertrag mit der Versicherungsgesellschaft abgeschlossen hat und in diesem Rahmen Versicherungsbeiträge an sie entrichtet, führt zu einer Zahlung an sie. Damit trägt die Beklagte gegen eine solche Vergütung dazu bei, dass ihre Kunden den Versicherungsschutz erlangen, der in dem von ihr mit einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Vertrag vorgesehen ist. Die Aussicht auf diese Vergütung stellt für die Beklagte ein eigenes wirtschaftliches Interesse dar, das sich von dem Interesse der Mitglieder an der Erlangung des sich aus dem betreffenden Vertrag ergebenden Versicherungsschutzes unterscheidet und geeignet ist, sie zu veranlassen, angesichts der Freiwilligkeit des Beitritts zu diesem Vertrag auf eine große Zahl von Vertragsbeitritten hinzuwirken, wovon im Übrigen hier auch ihr Rückgriff auf Werbeunternehmen zeugt, die den Vertragsbeitritt im Wege der Haustürwerbung anbieten.
Aufsatz
Das "klimaneutrale" Produkt - eine Verbrauchertäuschung?
Verena Hoene, IPRB 2022, 209
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