06.07.2018

Ermittler dürfen beschlagnahmte VW-Unterlagen zum Diesel-Skandal auswerten

Die Anordnung der Durchsuchung des Münchener Büros der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day und die Bestätigung der Sicherstellung der dort aufgefunden Unterlagen zum Zwecke der Durchsicht sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Volkswagen AG dadurch weder in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Im Hinblick auf die Durchsuchung besteht zudem kein Rechtsschutzbedürfnis. Die Kanzlei Jones Day ist nicht grundrechtsberechtigt und deshalb nicht beschwerdeberechtigt; eine Beschwerdebefugnis der dort tätigen Rechtsanwälte ist nicht ersichtlich.

BVerfG 27.6.2018, 2 BvR 1405/17 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Volkswagen AG hatte im September 2015 anlässlich eines in den USA geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Abgasmanipulationen an Dieselfahrzeugen die internationale Rechtsanwaltskanzlei Jones Day mit internen Ermittlungen, rechtlicher Beratung und der Vertretung gegenüber den US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden beauftragt. Infolgedessen sichteten die Rechtsanwälte von Jones Day innerhalb des VW-Konzerns eine Vielzahl von Dokumente und führten konzernweit Befragungen von Mitarbeitern durch. Mit dem Mandat waren auch Rechtsanwälte aus dem Münchener Büro der Kanzlei befasst.

Wegen der Vorgänge im Zusammenhang mit 3,0 Liter-Dieselmotoren der Audi AG, einer Tochter der Volkswagen AG, die der Kanzlei Jones Day selbst kein Mandat erteilt hatte, ermittelt die Staatsanwaltschaft München II wegen des Verdachts des Betruges und strafbarer Werbung. Die Ermittlungen richteten sich zunächst gegen Unbekannt und seit Ende Juni 2017 gegen mehrere konkrete Beschuldigte. Am 29.6.2017 leitete die Staatsanwaltschaft München II auch ein Bußgeldverfahren gem. § 30 OWiG gegen die Audi AG selbst ein. Ein weiteres Ermittlungsverfahren betreffend einen 2,0 Liter-Dieselmotor der Beschwerdeführerin wird von der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen mehrere Beschuldigte geführt.

Am 6.3.2017 ordnete das AG München auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der Münchener Geschäftsräume der Kanzlei Jones Day an. Bei der Durchsuchung am 15.3.2017 wurden zahlreiche Aktenordner sowie ein umfangreicher Bestand an elektronischen Daten mit den Ergebnissen der internen Ermittlungen sichergestellt. Das AG München bestätigte die Sicherstellung. Die nachfolgenden Beschwerden waren erfolglos. Hiergegen wandten sich die Volkswagen AG und die Anwaltskanzlei Jones Day mit jeweils einer auf die Durchsuchungsanordnung und einer auf die Bestätigung der Sicherstellung bezogenen Verfassungsbeschwerde sowie drei Rechtsanwälte der Kanzlei mit einer gegen beide Maßnahmen gerichteten Verfassungsbeschwerde. Das BVerfG nahm diese allerdings nicht zur Entscheidung an.

Die Gründe:
Die Anordnung der Durchsuchung des Münchener Büros der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day und die Bestätigung der Sicherstellung der dort aufgefunden Unterlagen zum Zwecke der Durchsicht sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Volkswagen AG ist durch die Sicherstellung weder in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Im Hinblick auf die Durchsuchung besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Die Rechtsanwaltskanzlei Jones Day ist nicht grundrechtsberechtigt und deshalb nicht beschwerdeberechtigt; eine Beschwerdebefugnis der dort tätigen Rechtsanwälte ist nicht ersichtlich.

I. Verfassungsbeschwerden der Volkswagen AG gegen den Durchsuchungsbeschluss des AG und die nachfolgende Beschwerdeentscheidung des LG München I ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Denn von dem mit der Durchsuchung verbundenen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 GG ist die Beschwerdeführerin nicht unmittelbar betroffen, weil nicht ihre Geschäftsräume, sondern die Kanzleiräume ihrer Rechtsanwälte durchsucht wurden. Soweit der Durchsuchungsbeschluss zunächst die Grundlage für die Sichtung der bei der Durchsuchung aufgefundenen Papiere und Dateien gem. § 110 StPO bildete, ist er durch die die Sicherstellung bestätigenden Beschlüsse, die als Grundlage des Sichtungsverfahrens an seine Stelle getreten sind, prozessual überholt.

Es verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht, dass die Fachgerichte mit der h.M. § 160a Abs. 1 S. 1 StPO, nach dem eine Ermittlungsmaßnahme unzulässig ist, die sich gegen einen Rechtsanwalt richtet und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde, über die dieser das Zeugnis verweigern dürfte, im Bereich der Beschlagnahme (§ 94 StPO) bzw. der dieser vorausgehenden Sicherstellung zur Durchsicht nicht für anwendbar gehalten haben. Von Verfassungs wegen ist es nicht geboten, den absoluten Schutz des § 160a Abs. 1 S. 1 StPO auf den Bereich der Durchsuchungen einschließlich der vorläufigen Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht und auf Beschlagnahmen von Mandantenunterlagen eines Rechtsanwalts auszudehnen. Derartige absolute Verbote können nur in engen Ausnahmefällen zum Tragen kommen, etwa wenn eine Ermittlungsmaßnahme mit einem Eingriff in den Schutzbereich der Menschenwürde verbunden wäre, die jeder Abwägung von vornherein unzugänglich ist. Dies traf hier aber nicht zu.

Soweit die Fachgerichte davon ausgegangen sind, § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO begründe ebenso wie § 97 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 StPO ein Beschlagnahmeverbot nur im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen einem Berufsgeheimnisträger und dem im konkreten Ermittlungsverfahren Beschuldigten, ist Verfassungsrecht ebenfalls nicht verletzt. Ein solches Verständnis steht nämlich im Einklang mit dem Wortlaut, der Systematik, der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Norm und ist nicht willkürlich. Eine erweiternde Auslegung von § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO, nach der der Beschlagnahmeschutz unabhängig von einem Berufsgeheimnisträger-Beschuldigten-Verhältnis besteht, ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Gegen die Annahme der Fachgerichte, der Beschwerdeführerin komme eine Beschuldigtenstellung oder eine beschuldigtenähnliche Stellung i.S.v. § 97 Abs. 1 StPO nicht zu, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.

II. Die Verfassungsbeschwerden der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day, die in der Rechtsform einer Partnership nach dem Recht des US-Bundesstaats Ohio organisiert ist, sind mangels Beschwerdeberechtigung der Beschwerdeführerin unzulässig. Schließlich ist sie nicht Trägerin von Grundrechten, da sie keine inländische juristische Person i.S.v. Art. 19 Abs. 3 GG ist. Auf der Grundlage ihres Vorbringens kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich ihr Hauptverwaltungssitz in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU befindet.

III. Die Verfassungsbeschwerde der Rechtsanwälte der Kanzlei Jones Day ist unzulässig, weil eine Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer nicht ersichtlich ist. Aus ihrem Vortrag ergibt sich nicht, dass sie durch die Durchsuchungsanordnung und durch die Bestätigung der Sicherstellung in eigenen Grundrechten verletzt wurden. Die Beschwerdeführer sind im Hinblick auf die Räume des Münchener Standorts nicht Träger des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG. Bei Geschäftsräumen kommt der Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG nämlich regelmäßig nur dem Unternehmer als Nutzungsberechtigtem zugute, nicht aber den einzelnen Arbeitnehmern. Ein Beschwerdeführer ist zwar Partner der Kanzlei. Das Nutzungsrecht steht den Partnern aber nur gemeinschaftlich zu. Es kann deshalb auch nur von den Gesellschaftern gemeinschaftlich oder, soweit ihre Rechtsfähigkeit anerkannt ist, von der Gesellschaft als solcher geltend gemacht werden.

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BVerfG PM Nr. 57 vom 6.7.2018
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