04.06.2013

Erneute Entscheidung im Verfahren gegen Daimler AG wegen verspäteter Veröffentlichung von Insiderinformation

Bei einem zeitlich gestreckten Vorgang wie der Herbeiführung eines Aufsichtsratsbeschlusses über den Wechsel im Amt des Vorstandsvorsitzenden kann jeder Zwischenschritt, auch bereits die Kundgabe der Absicht des amtierenden Vorstandsvorsitzenden gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden, vor Ablauf der Amtszeit aus dem Amt zu scheiden, eine Insiderinformation i.S.v. § 13 Abs. 1 S. 1 WpHG sein. Hierbei reicht es, wenn nach den Regeln der allgemeinen Erfahrung eher mit dem Eintritt des künftigen Umstands als mit seinem Ausbleiben zu rechnen ist.

BGH 23.4.2013, II ZB 7/09
Der Sachverhalt:
Am 17.5.2005 hatte der damalige Vorstandsvorsitzende von Daimler Prof. Schrempp mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper seine Absicht erörtert, zum Ende des Jahres 2005 von seinem Amt zurückzutreten. Daraufhin informierte Schrempp weitere Mitarbeiter über seine Pläne und besprach sie mit dem Vorsitzenden des Konzern- und Gesamtbetriebsrats. Am 27.7.2005 beschloss der Präsidialausschuss von Daimler nach 17.00 Uhr, dem Aufsichtsrat am Folgetag vorzuschlagen, dem vorzeitigen Ausscheiden Schrempps zum Jahresende zuzustimmen. Der Aufsichtsrat fasste am 28.7.2005 gegen 9.50 Uhr einen entsprechenden Beschluss. Hiervon informierte Daimler die Geschäftsführungen der Börsen und der BaFin. Um 10.32 Uhr wurde die Ad-hoc-Mitteilung in der DGAP veröffentlicht.

Mehrere Anleger, die Aktien der Musterbeklagten vor diesem Zeitpunkt verkauft hatten, haben wie der Musterkläger Klage gegen die Musterbeklagte erhoben. Sie waren der Ansicht, eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation über das Ausscheiden von Schrempp habe spätestens im Mai 2005 seit dem Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper vorgelegen. Nach dem 17.5.2005, aber vor der Ad-hoc-Mitteilung über das Ausscheiden am 28.7.2005 seien Aktien der Musterbeklagten zu einem Kurs von 31,85 € bzw. 36,50 € verkauft worden. Da der Kurs der Daimler-Aktien nach der Ad-hoc-Mitteilung noch am selben Tag auf 40,40 € und in der Folgezeit auf 42,95 € angestiegen sei, habe das Unterlassen der rechtzeitigen Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung zu einem entsprechenden Veräußerungsschaden geführt, den die Musterbeklagte zu ersetzen habe.

Das OLG hatte in einem ersten Musterentscheid festgestellt, dass durch die Vorgänge im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ausscheiden Schrempps eine Insiderinformation i.S.d. § 37 b Abs. 1 WpHG erst aufgrund der Entscheidung des Aufsichtsrats am 28.7.2005 um ca. 9.50 Uhr entstanden sei und die Musterbeklagte diese unverzüglich veröffentlicht habe. In einem ersten Rechtsbeschwerdeverfahren hob der BGH im Februar 2008 den Musterentscheid auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück (Beschl. v. 25.2.2008, Az.: II ZB 9/07).

Das OLG stellte daraufhin in einem zweiten Musterentscheid fest, dass frühestens am 27.7.2005 mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats der Musterbeklagten nach 17.00 Uhr eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation über die Zustimmung des Aufsichtsrats zum einvernehmlichen Rücktritt zum Jahresende entstanden sei. Denn auch bei gestreckten Vorgängen komme es nicht darauf an, ob bereits Zwischenschritte - wie hier etwa die Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper im Mai 2005 oder des Nachfolgers Dr. Zetsche im Juni 2005 über die Rücktrittsabsichten Schrempps - den Kurs der Aktie beeinflussen könnten; maßgeblich sei vielmehr, ob das künftige Ereignis, das das OLG hier im Beschluss des Aufsichtsrats vom 28.7.2005 gesehen hat, hinreichend wahrscheinlich sei.

Der BGH setzte das zweite Rechtsbeschwerdeverfahren aus  und legte dem EuGH Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2003/6/EG vom 28.1.2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauchs-Richtlinie) und der zu deren Durchführung erlassenen Richtlinie 2003/124/EG vom 22.12.2003 (Durchführungs-Richtlinie) zur Vorabentscheidung vor (Beschl. vom 22.11.2010, Az.: II ZB 7/09). Der EuGH hat mit Urteil vom 28.6.2012 (C-19/11) entschieden, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht nur dieser Umstand oder dieses Ereignis präzise Informationen i.S.v. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/EG, Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG sein können, sondern auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte dieses Vorgangs.

Infolgedessen hat der BGH nun den weiteren Beschluss des OLG, wonach in der Zeit vom 17.5.2005 bis zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats der Musterbeklagten am 28.7.2005 keine Insiderinformation des Inhalts entstanden ist, dass Prof. Schrempp gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden die einseitige Amtsniederlegung erklärt hat, aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Die Gründe:
Das OLG muss im weiteren Verfahren die nach dem EuGH-Urteil erforderlichen Tatsachenfeststellungen treffen.

Bereits das Gespräch zwischen Schrempp und dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper am 17.5.2005 über seine Absicht, zum Ende des Jahres 2005 von seinem Amt im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat zurückzutreten, sowie alle weiteren Zwischenschritte kommen als veröffentlichungspflichtige Informationen über einen bereits eingetretenen Umstand in Betracht. Insoweit bedarf es weiterer tatrichterlicher Feststellungen, ob diese Umstände konkrete Informationen i.S.v. § 13 Abs. 1 S. 1 WpHG waren (Kursspezifität) und ob sie geeignet waren, im Fall ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsenkurs der Aktien der Musterbeklagten erheblich zu beeinflussen (Kursrelevanz).

Weiter kann ab Mitte Mai 2005 eine Insiderinformation über einen in Zukunft eintretenden Umstand entstanden sein, dass der Aufsichtsrat dem Ausscheiden von Schrempp zum Jahresende zustimmen werde oder dass Schrempp zum Jahresende ausscheiden werde. Auch dazu bedarf es weiterer tatrichterlicher Feststellungen, ob der Umstand aus damaliger Sicht in Zukunft hinreichend wahrscheinlich eintreten werde. Aufgrund der Entscheidung des EuGH wird in Abweichung von der Entscheidung im ersten Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr eine hohe Wahrscheinlichkeit verlangt. Vielmehr muss nach den Regeln allgemeiner Erfahrung eher mit dem Eintreten des Ereignisses oder Umstands als mit seinem Ausbleiben zu rechnen sein. In diese grundsätzlich dem Tatrichter obliegende Beurteilung sind alle tatsächlichen Umstände des jeweiligen Falles einzubeziehen.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
  • Für den Volltext des Beschlusses klicken Sie bitte hier (pdf-Dokument).
BGH PM Nr. 95 vom 4.6.2013
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