Erweiterung des Gegenstandes eines Kapitalanleger-Musterverfahrens nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem OLG möglich
BGH 20.1.2015, II ZB 11/14Der Musterkläger machte als Aktionär der Musterbeklagten zu 1) Schadensersatzansprüche wegen der Verbreitung fehlerhafter Kennzahlen aus Jahresabschlüssen geltend. Der Musterbeklagte zu 2) war Mitglied, zeitweise auch Vorsitzender des Vorstands der beklagten AG. Beim LG waren mehrere vergleichbare Verfahren gegen die Musterbeklagten anhängig. Dem zugrunde lag die bilanzielle Behandlung der Erträge aus Factoring- und Rückversicherungsgeschäften bei zwei Tochtergesellschaften.
Das LG hatte im Jahr 2008 eine Entscheidung des OLG nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz herbeigeführt. Das OLG hat dann aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24.9.2012, in der es u.a. rechtliche Hinweise zur Reichweite des Vorlagebeschlusses erteilte, beiden Seiten die Möglichkeit zur Stellungnahme bis zum 29.10.2012 eingeräumt und den Verkündungstermin auf den 16.11.2012 bestimmt. Es gab den Feststellungsanträgen mit Musterentscheid (OLG Karlsruhe - 17 Kap 1/09) teilweise statt und wies sie im Übrigen zurück. Die gegen die Zurückweisung der weitergehenden Anträge gerichtete Rechtsbeschwerde des Musterklägers und weiterer Beigeladener blieb vor dem BGH erfolglos (Beschl. v. 1.7.2014, Az.: II ZB 29/12).
Am 15.11.2012 - einen Tag vor Verkündung des Musterentscheids des OLG - hatte der Musterkläger beim LG beantragt, den Vorlagebeschluss zu ergänzen. Das LG wies den Antrag als unzulässig zurück und führte u.a. aus, dass er nicht "bis zum Abschluss des Musterverfahrens" i.S.d. § 13 Abs. 1 KapMuG in der bis zum 31.10.2012 geltenden Fassung (a.F.) gestellt worden sei; jedenfalls hätte er innerhalb der vom OLG gesetzten Frist bis zum 29.10.2012 gestellt werden müssen.
Das LG half der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde des Musterklägers nicht ab. Das OLG wies die sofortige Beschwerde als unbegründet zurück und auch die Rechtsbeschwerde des Musterklägers vor dem BGH blieb erfolglos.
Gründe:
Die Parteien durften den Gegenstand des Musterverfahrens nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung i.S.v. § 14 Abs. 1 S. 1 KapMuG a.F. erweitern. Zwar ist die in § 13 Abs. 1 KapMuG a.F. enthaltene Bestimmung, dass ergänzende Musterfeststellungsanträge "bis zum Abschluss des Musterverfahrens" gestellt werden müssten, ihrem Wortlaut nach nicht eindeutig. Für diese Auslegung sprechen aber die Gesetzesmaterialien, der systematische Zusammenhang und der Sinn und Zweck des § 13 Abs. 1 KapMuG a.F.
Die Begründung zum Regierungsentwurf des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes a.F. geht ausdrücklich davon aus, dass Erweiterungen des Verfahrensgegenstands des Musterverfahrens nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung möglich seien. Dieser Befund wird bestätigt durch die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 15 KapMuG, der die Wendung "bis zum Abschluss des Musterverfahrens" nicht mehr enthält. Darin wird vielmehr ausgeführt, dass Erweiterungsanträge vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu stellen seien und allenfalls eine Wiedereröffnung nach § 156 ZPO in Betracht komme.
Es sprach auch nichts für die Auffassung des Musterklägers, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung "bis zum Abschluss des Musterverfahrens" den Zeitpunkt des Erlasses des Musterentscheids gemeint haben könnte oder sogar erst den des Eintritts der Rechtskraft. Nach den ZPO-Vorschriften ist die Erhebung einer neuen Klageforderung oder einer Klageerweiterung durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz unzulässig, weil Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen. Hätte der Gesetzgeber von den allgemein anerkannten Grundsätzen abweichen wollen, obwohl er noch in der Begründung des Regierungsentwurfs eben hiervon ausgegangen war, wären entsprechende Ausführungen zu erwarten gewesen.
Auch die Sperrwirkung des § 5 KapMuG a.F. spricht für kein anderes Ergebnis. Zwar ist es richtig, dass die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens in allen gem. § 7 KapMuG a.F. auszusetzenden Verfahren mit Erlass des Vorlagebeschlusses unzulässig ist. Hieraus lässt sich aber auch mit Blick auf die Gebote der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs nicht schließen, dass mit dem Begriff "Abschluss des Musterverfahrens" i.S.d. § 13 KapMuG a.F. der Eintritt der Bindungswirkung gem. § 16 KapMuG a.F. gemeint sein müsse, um es den Parteien zu ermöglichen, bis dahin - unter Umständen also sogar während eines laufenden Rechtsbeschwerdeverfahrens gegen den Musterentscheid - eine Erweiterung des Gegenstands des Musterverfahrens zu erwirken. Letztlich würde das Ziel des Musterverfahrens, den Rechtsschutz des Einzelnen in sog. "Streuschadenfällen" effektiver zu gestalten, konterkariert, wenn ein Teil des Musterverfahrens noch beim OLG und ein anderer Teil bereits beim BGH anhängig wären.
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