EuGH bestätigt teilweise Nichtigerklärung der Kommissions-Entscheidung über die aufgrund der Finanzkrise an ING geleisteten Beihilfen
EuGH 3.4.2014, C-224/12 PDie ING Groep NV ist ein Finanzinstitut mit Gesellschaftssitz in Amsterdam. Wegen der weltweiten Finanzkrise erließen die Niederlande Beihilfemaßnahmen zugunsten von ING. In diesem Zusammenhang wurde das Kapital von ING im Wege der Schaffung von 1 Mrd. Wertpapieren erhöht. Diese Wertpapiere, die weder ein Stimmrecht noch einen Dividendenanspruch gewährten und in vollem Umfang von den Niederlanden zum Ausgabepreis von 10 € pro Wertpapier gezeichnet wurden, ermöglichten ING, ihr Grundkapital um 10 Mrd. € zu erhöhen. Als zweite Beihilfemaßnahme wurde ein Cashflow-Swap bzgl. wertgeminderter Aktiva vorgenommen, der ein Portfolio betraf, das durch in den USA gewährte Hypothekendarlehen besichert war und dessen Wert beträchtlich gesunken war.
In den Jahren 2008 und 2009 wurden diese Beihilfemaßnahmen vorläufig von der Kommission mit der Auflage genehmigt, dass die niederländischen Behörden einen Umstrukturierungsplan vorlegen. Im Mai 2009 wurde dieser Plan der Kommission übermittelt. Nach mehrmonatigen Gesprächen mit der Kommission wurde im Oktober 2009 ein revidierter Umstrukturierungsplan vorgelegt, der u.a. eine Änderung der Rückzahlungsbedingungen für die Kapitalzuführung enthielt. Im November 2009 erließ die Kommission die streitige Entscheidung. Die Kommission erklärte den Umstrukturierungsplan zwar für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar, vertrat aber die Auffassung, dass die Änderung der Rückzahlungsbedingungen eine "zusätzliche Beihilfe i.H.v. 2 Mrd. €" nach sich ziehe.
Das EuG gab der von den Niederlanden und ING eingelegten Klage teilweise statt. Es erklärte die streitige Entscheidung teilweise für nichtig und vertrat u.a. die Auffassung, dass die Kommission verpflichtet gewesen sei, die wirtschaftliche Vernünftigkeit der Änderung der Rückzahlungsbedingungen anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers zu prüfen. Dieses Kriterium setzt zur Bestimmung des gewährten Vorteils im Fall einer Kapitalzuführung voraus, dass der Unterschied zwischen den Bedingungen, zu denen der Staat die Kapitalzuführung gewährt hat, und den Bedingungen, zu denen ein privater Kapitalgeber dies getan hätte, berücksichtigt wird.
Das Rechtsmittel der Kommission hatte vor dem EuGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das Kriterium des privaten Kapitalgebers gehört zu den Faktoren, die die Kommission berücksichtigen muss, um das Vorliegen einer Beihilfe festzustellen. Dabei ist es unerheblich, dass ein privater Kapitalgeber kaum in der Lage wäre, ING eine staatliche Beihilfe zu gewähren. Ist erkennbar, dass eine Anwendung des Kriteriums möglich ist, hat die Kommission daher den betroffenen Mitgliedstaat um alle einschlägigen Informationen zu ersuchen, um überprüfen zu können, ob die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit und Anwendung dieses Kriteriums erfüllt sind. Entscheidend ist, ob die Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung der Kapitalzuführung nach dem Kriterium der wirtschaftlichen Vernunft erfolgt.
Die Kommission macht ferner geltend, selbst wenn sie die geänderten Rückzahlungsbedingungen zu Unrecht als staatliche Beihilfe angesehen oder den Beihilfebetrag in der streitigen Entscheidung falsch beziffert haben sollte, sei das EuG nicht berechtigt gewesen, den Teil der Entscheidung, der sich darauf beziehe, insgesamt für nichtig zu erklären. Nach Ansicht der Kommission verstößt diese Nichtigerklärung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die streitige Entscheidung nicht zwischen den verschiedenen Elementen der Beihilfe unterscheide und die Einstufung der Kapitalzuführung und der Entlastungsmaßnahme für wertgeminderte Aktiva als staatliche Beihilfe vom Gericht nicht beanstandet worden sei.
Der EuGH weist auch dieses Vorbringen zurück. Das EuG hat festgestellt, dass sich die in der streitigen Entscheidung genannte Beihilfe von 17 Mrd. € wie folgt zusammensetzt: 1) aus dem Betrag der Beihilfe der Kapitalzuführung (10 Mrd. €), 2) aus dem Betrag der Beihilfe der Änderung der Rückzahlungsbedingungen (etwa 2 Mrd. €) und 3) aus dem Betrag der Beihilfe der Entlastungsmaßnahme für wertgeminderte Aktiva (5 Mrd. €). Das EuG ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass die zusätzliche Beihilfe, d.h. jene Beihilfe, die der Änderung der Rückzahlungsbedingungen entspricht, ein konstitutives Element der "Umstrukturierungsbeihilfe" darstellt.
Linkhinweis:
Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.