EuGH-Schlussantrag zur Zuständigkeit nationaler Gerichte für Klagen juristischer Personen wegen Online-Verleumdung
EuGH-Generalanwalt, 13.7.2017, Rs C-194/16Klägerin ist eine estnische Gesellschaft mit Sitz in Tallinn, die ihre Geschäfte größtenteils in Schweden tätigt. Eine schwedische Handelsvereinigung nahm die Klägerin wegen "Täuschung und betrügerischer Handlungen" in eine schwarze Liste auf. Dies hatte mehr als 1000 Kommentare im Internet zur Folge.
Daraufhin erhob die Klägerin Klage vor einem estnischen Gericht und begehrte die Anordnung der Entfernung sowohl der Eintragung in der schwarzen Liste als auch der Kommentare. Daneben machte sie einen Schadensersatz wegen Geschäftsschädigung geltend.
Der oberste Gerichtshof Estlands legte im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens dem EuGH die Frage vor, ob estnische Gerichte nach der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (VO EU Nr. 1215/2012) überhaupt für die Entscheidung der Sache zuständig sind.
Die Klägerin vertritt die Rechtsauffassung, sie habe vor dem zuständigen Gericht geklagt. Sie beruft sich auf eine besondere Zuständigkeitsregel, nach welcher neben der Grundregel der Klageerhebung am Wohnsitz des Beklagten auch an dem Ort geklagt werden kann, an dem ein schädigendes Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Daneben ist sie der Meinung, eine bestehende Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf natürliche Personen könne auch auf sie als juristische Person angewandt werden. Die Rechtsprechung besagt, der Ort, an dem ein schädigendes Ereignis für eine natürliche Person eintritt, sei der, an welchem sich der "Mittelpunkt der Interessen" dieser Person befindet. Da sich die Interessen der Klägerin auf Estland konzentrierten, seien auch estnische Gerichte für Ihre Klage zuständig.
Der Vorschlag des EuGH-Generalanwalts:
Nach Ansicht des Generalanwalts Bobek kann eine juristische Person, die sich gegen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Äußerungen im Internet wendet, vor einem Gericht des Mitgliedstaats klagen, in welchem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet. Dieses Gericht sei dann vollumfänglich und hinsichtlich aller geltend gemachten Ansprüche zuständig.
Persönlichkeitsrecht juristischer Personen
Das Persönlichkeitsrecht juristischer Personen sei anzuerkennen und werde sowohl durch Grundrechte als auch durch einfache Gesetze geschützt. Daher müsse es auch für Klagen gegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen aus "unerlaubter Handlung" unionsrechtliche Regeln geben, um ein für die Entscheidung zuständiges Gericht zu bestimmen.
Zuständigkeitsregeln
Es gebe keinen Grund, Zuständigkeitsregeln in Bezug auf natürliche und juristische Personen unterschiedlich anzuwenden, so dass auch für eine juristische Person der Ort eines schädigenden Ereignisses nach dem Mittelpunkt ihrer Interessen bestimmt werden kann.
Schadensort
Der Ort, an dem durch Verleumdung im Internet ein schädigendes Ereignis eintritt, sei wahrscheinlich der, an welchem der Geltungsanspruch der betroffenen Person am meisten beeinträchtigt werde. Dies sei grundsätzlich der Mittelpunkt der Streitigkeit und dieser befände sich wahrscheinlich am Mittelpunkt der Interessen der natürlichen oder juristischen Person.
Zum Mittelpunkt der Interessen einer juristischen Person führt der Generalanwalt aus, dieser orientiere sich an deren hauptsächlicher gewerblicher Tätigkeit, die sich u.a. durch den Umsatz und die Zahl der Kunden und beruflichen Kontakte bemessen lasse. Auch der Sitz könne einbezogen werden, sei aber nicht ausschlaggebend, wenn die juristische Person im Sitz-Staat nicht beruflich aktiv sei. Zudem könne eine juristische Person auch mehrere Mittelpunkte der Interessen haben, es liege dann bei ihr, an welchem dieser Orte sie Klage erhebe.
Linkhinweise:
Die Pressemitteilung zu den Schlussanträgen des Generalanwalts ist auf den Webseiten des EuGH veröffentlicht.
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