16.08.2017

EuGH-Vorlage zum Anleihenkaufprogramm der EZB

Das BVerfG hat die Verfahren zum Anleihenkaufprogramm der EZB ausgesetzt und dem EuGH hierzu Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das BVerfG möchte wissen, ob dieses Programm (PSPP) der EZB zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors mit dem GG vereinbar ist, da nach Auffassung des Senats gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die dem Anleihenkaufprogramm zugrundeliegenden Beschlüsse gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstoßen sowie über das Mandat der Europäischen Zentralbank für die Währungspolitik hinausgehen und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreifen.

BVerfG 18.7.2017, 2 BvR 859/15 u.a.
Der Sachverhalt:
Das PSPP (Public Sector Purchase Programme) ist Teil des Expanded Asset Purchase Programme (EAPP), eines Rahmenprogramms der EZB zum Ankauf von Vermögenswerten. Das PSPP macht den weitaus größten Anteil des Gesamtvolumens des EAPP aus. Im Mai 2017 erreichte das EAPP ein Gesamtvolumen von rd. 1,86 Mrd. €; hiervon entfielen allein rd. 1.53 Mrd. € auf das PSPP.

Die Beschwerdeführer machen mit ihren Verfassungsbeschwerden geltend, dass das Europäische System der Zentralbanken mit dem von ihm aufgelegten Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EUV i.V.m. Art. 119, 127 ff. AEUV) verstoße. Deshalb dürfe die Deutsche Bundesbank an diesem Programm nicht mitwirken und seien der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung verpflichtet, geeignete Maßnahmen gegen das Programm zu ergreifen.

Das BVerfG setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH hinsichtlich der Frage, ob das PSPP der EZB zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors mit dem GG vereinbar ist, mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Der Senat beantragte die Durchführung des beschleunigten Verfahrens gem. Art. 105 der Verfahrensordnung des EuGH, weil die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

Die Gründe:
Es bestehen Zweifel, ob der PSPP-Beschluss mit dem Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung vereinbar ist.

Art. 123 Abs. 1 AEUV verbietet es der EZB und den Zentralbanken der Mitgliedstaaten, Schuldtitel unmittelbar von Einrichtungen der EU und den Mitgliedstaaten zu erwerben. Auch Ankäufe am Sekundärmarkt dürfen nicht eingesetzt werden, um das mit Art. 123 AEUV verfolgte Ziel zu umgehen. Ein Programm, das den Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt zum Gegenstand hat, muss daher mit hinreichenden Garantien versehen sein, um eine Beachtung des Verbots monetärer Staatsfinanzierung wirksam zu gewährleisten. Das PSPP betrifft Anleihen von Staaten, staatlichen Unternehmen und anderen staatlichen Einrichtungen sowie von europäischen Institutionen. Diese Anleihen werden zwar ausschließlich auf dem Sekundärmarkt erworben. Für einen Verstoß des PSPP-Beschlusses gegen Art. 123 AEUV spricht jedoch, dass Einzelheiten der Ankäufe in einer Art und Weise angekündigt werden, die auf den Märkten die faktische Gewissheit begründen könnten, dass das Eurosystem emittierte Staatsanleihen auch erwerben wird, dass die Einhaltung bestimmter Mindestfristen zwischen der Ausgabe eines Schuldtitels auf dem Primärmarkt und seinem Ankauf auf dem Sekundärmarkt nicht nachprüfbar ist, dass erworbene Anleihen bislang durchwegs bis zur Endfälligkeit gehalten werden und dass darüber hinaus Anleihen erworben werden, die von vornherein eine negative Rendite aufweisen.

Der PSPP-Beschluss könnte darüber hinaus vom Mandat der EZB nicht gedeckt sein. Die Währungspolitik ist insbesondere von der primär den Mitgliedstaaten zustehenden Wirtschaftspolitik abzugrenzen. Der PSPP-Beschluss könnte sich auf der Grundlage einer Gesamtschau der maßgeblichen Abgrenzungskriterien nicht mehr als währungspolitische, sondern als überwiegend wirtschaftspolitische Maßnahme darstellen. Zwar hat das PSPP eine erklärte währungspolitische Zielsetzung und bedient sich zur Verfolgung dieses Ziels geldpolitischer Mittel; jedoch sind die wirtschaftspolitischen Auswirkungen aufgrund des Volumens des PSPP und der damit verbundenen Voraussehbarkeit des Ankaufs von Staatsanleihen bereits unmittelbar im Programm selbst angelegt. Damit könnte sich das PSPP in Bezug auf die ihm zugrundeliegende währungspolitische Zielsetzung als unverhältnismäßig erweisen. Zudem lassen die Beschlüsse, die die Grundlage des Programms bilden, eine nachvollziehbare Begründung vermissen, die es erlauben würde, während des mehrere Jahre umfassenden Vollzugs der Beschlüsse die fortdauernde Erforderlichkeit des Programms laufend zu überprüfen.

Ob auf der Basis der Risikoteilung zwischen der EZB und der Bundesbank das durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Budgetrecht des Deutschen Bundestages und dessen haushaltspolitische Gesamtverantwortung durch den PSPP-Beschluss oder seine Umsetzung im Hinblick auf mögliche Verluste der Bundesbank berührt werden können, ist derzeit nicht sicher absehbar. Eine unbegrenzte Risikoteilung innerhalb des Eurosystems und daraus resultierende Risiken für die Gewinn- und Verlustrechnung der nationalen Zentralbanken würde eine Verletzung der Verfassungsidentität i.S.v. Art. 79 Abs. 3 GG bedeuten, wenn sie eine Rekapitalisierung der nationalen Zentralbanken mit Haushaltsmitteln in einem Umfang erforderlich machen könnten, wie sie der Senat in seiner Rechtsprechung zu EFSF und ESM an die Zustimmung des Deutschen Bundestages gebunden hat. Für den Erfolg der Verfassungsbeschwerden kommt es mithin darauf an, ob eine solche Risikoteilung nach dem Primärrecht ausgeschlossen werden kann.

Die Beschlussfassung des EZB-Rats über Art und Umfang der Risikoteilung zwischen den Mitgliedern des Europäischen Systems der Zentralbanken ist primärrechtlich kaum determiniert. Das könnte eine Änderung der Regelungen zur Risikoteilung innerhalb des Eurosystems durch den EZB-Rat ermöglichen, aus der sich Risiken für die Gewinn- und Verlustrechnung der nationalen Zentralbanken und darüber hinaus für die haushaltspolitische Gesamtverantwortung der nationalen Parlamente ergeben könnten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine unbegrenzte Risikoverteilung bei Ausfällen von Anleihen der Zentralregierungen und ihnen gleich gestellter Emittenten zwischen den nationalen Zentralbanken des Eurosystems gegen Art. 123 und Art. 125 AEUV sowie gegen Art. 4 Abs. 2 EUV (i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG) verstieße.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BVerfG PM Nr. 70 vom 15.8.2017
Zurück