EuGH-Vorlage: Zum Begriff der öffentlichen Wiedergabe hinsichtlich der drahtgebundenen Weitersendung eines durch Rundfunk gesendeten Werks
BGH 8.3.2012, I ZR 44/10Die Klägerin betreibt Breitbandkabelanschlüsse zum Empfang von Fernseh- und Hörfunksignalen im Umkreis von Bernau bei Berlin. Sie betreut über Empfangsanlagen auf privatem Grund etwa 9.000 Wohneinheiten. Dazu unterhält sie zwei Kopfstellen, an denen 200 bzw. mehr als 8.000 Wohneinheiten angeschlossen sind. Die von der Klägerin über Kabel an Endabnehmer im Umkreis von Bernau weiterübertragenen Funksignale können von diesen dort auch drahtlos empfangen werden. Die Beklagte ist die VG Media, die die urheberrechtlichen Leistungsschutzrechte privater Hörfunk- und Fernsehsender aus der analogen und digitalen Weiterleitung der terrestrisch oder satellitengestützt verbreiteten Programme wahrnimmt.
Nachdem die Beklagte angekündigt hatte, ihre Ansprüche notfalls im Rechtswege geltend zu machen, schlossen die Parteien im November 2005/März 2006 rückwirkend zum 1.1.2003 den "Einzelvertrag zum FRK-Gesamtvertrag über die Durchleitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen" unter der aufschiebenden Bedingung einer rechtskräftigen Feststellung der Zahlungsverpflichtung der Klägerin. Die Klägerin zahlte der Beklagten für das Jahr 2003 den geforderten Betrag von rd. 5.200 € unter Vorbehalt. Nach Durchführung des in § 14 Abs. 1 Nr. 1a, § 16 Abs. 1 UrhWG vorgesehenen Verfahrens vor der Schiedsstelle beantragte die Klägerin, festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, mit der Beklagten einen Vertrag zur Abgeltung von Urheberrechtsgebühren für die Kabelweiterleitung abzuschließen und die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.200 € zzgl. Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Umfasst der Begriff der öffentlichen Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft die drahtgebundene Weitersendung eines durch Rundfunk gesendeten Werks, wenn die ursprüngliche Sendung im Sendegebiet auch drahtlos empfangen werden kann, das Werk an die Besitzer von Empfangsgeräten weitergesendet wird, die die Sendung allein oder im privaten bzw. familiären Kreis empfangen, und die Weitersendung durch ein anderes als das ursprüngliche Sendeunternehmen zu Erwerbszwecken vorgenommen wird?
Die Gründe:
Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel war deshalb das Verfahren auszusetzen und gem. Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.
Im Streitfall stellt sich die Frage, ob der Begriff der öffentlichen Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie die drahtgebundene Weitersendung eines durch Rundfunk gesendeten Werkes umfasst, wenn die ursprüngliche Sendung im Sendegebiet auch drahtlos empfangen werden kann, das Werk an die Besitzer von Empfangsgeräten weitergesendet wird, die die Sendung allein oder im privaten bzw. familiären Kreis empfangen, und die Weitersendung durch ein anderes als das ursprüngliche Sendeunternehmen zu Erwerbszwecken vorgenommen wird. Diese Frage erscheint nicht hinreichend geklärt. Der Senat neigt dazu, diese Frage zu bejahen.
Eine öffentliche Wiedergabe setzt nach der Rechtsprechung des EuGH unter Umständen, wie sie den jeweiligen Ausgangsverfahren zugrunde liegen, voraus, dass das durch Rundfunk gesendete Werk für ein neues Publikum übertragen wird, also für ein Publikum, das der Urheber des Werkes nicht berücksichtigte, als er dessen Nutzung zur Wiedergabe zustimmte. Ein Urheber, der die Sendung seines Werkes durch Rundfunk erlaubt, zieht nach Ansicht des EuGH grundsätzlich nur die Besitzer von Empfangsgeräten als Publikum in Betracht, die die Sendung allein oder im privaten bzw. familiären Kreis empfangen. Der Besitzer eines Empfangsgerätes, der - wie etwa der Betreiber eines Hotels - ein zusätzliches Publikum in die Lage versetzt, das Werk anzuhören oder anzusehen, gibt das Werk danach für ein neues Publikum wieder.
Nach diesen Maßstäben könnte eine Kabelweitersendung vorliegend als ein bloßes technisches Mittel zur Gewährleistung oder Verbesserung des Empfangs der ursprünglichen Sendung in ihrem Sendebereich - und nicht als Wiedergabe der Sendung - anzusehen sein, da die Empfänger sich im Sendegebiet aufhalten und das ausgestrahlte Werk dort auch drahtlos empfangen können. Soweit die gesendeten Werke an die Besitzer von Empfangsgeräten übertragen werden, die die Sendung allein oder im privaten bzw. familiären Kreis empfangen, erscheint es darüber hinaus deshalb fraglich, ob eine derartige Kabelweitersendung die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe erfüllt, weil die Werke möglicherweise nicht für ein neues Publikum i.S.d. Rechtsprechung des EuGH wiedergegeben werden.
Nach Auffassung des Senats ist es für den Tatbestand der öffentlichen Wiedergabe ohne Belang, ob die Kabelweiterübertragung einer Rundfunksendung im Versorgungsbereich des ursprünglichen Sendeunternehmens stattfindet. Wird ein durch Rundfunk gesendetes Werk von einem anderen als dem ursprünglichen Sendeunternehmen zu Erwerbszwecken über Kabel weiterübertragen, liegt darin nach Ansicht des Senats vielmehr auch dann eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie, wenn die ursprüngliche Sendung im Sendegebiet auch drahtlos empfangen werden kann und das Werk an die Besitzer von Empfangsgeräten weiterübertragen wird, die die Sendung allein oder im privaten bzw. familiären Kreis empfangen.
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