07.08.2023

Filmberichterstattung über eine längst vergangene Kindesentführung kann unzulässig sein

Eine Straftat (hier: eine Kindesentführung im Jahr 1981) gehört zwar zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Dennoch überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Medien nicht diejenigen der damaligen Opfer, wenn es denen um den Schutz davor geht, dass ihre Bildnisse Jahrzehnte nach der Entführung dazu verwendet werden, sie in sehr persönlicher Weise in ihrer Opferrolle darzustellen.

BGH v. 6.6.2023 - VI ZR 309/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hat die beklagte Rundfunkanstalt auf Unterlassung von Teilen einer Filmberichterstattung (Wiedergabe von drei Lichtbildern, eines Briefs und des Audio-Mitschnitts eines Telefongesprächs) in Anspruch genommen. Sie war im Jahr 1981 als Achtjährige entführt und etwa fünf Monate später nach Zahlung eines Lösegelds freigelassen worden. Der Journalist T. hatte damals gemeinsam mit F. während der Entführung der Klägerin zwischen deren Eltern und den Entführern vermittelt. Die Tat ist nicht aufgeklärt worden und mittlerweile verjährt.

Die Beklagte sendete in ihrem Programm u.a. am 25.2.2018 den Filmbeitrag "Entführte Kinder - Die Fälle K. und v. G." und hielt diesen im Internet zum Abruf bereit. Im Mittelpunkt des Beitrags stand der Journalist T., der erstmals öffentlich seine Erinnerungen an diese und an eine andere Kindesentführung schilderte. Im Filmbeitrag wurden zwei Fotos der Klägerin gezeigt, die einige Wochen vor der Entführung gemacht und den Ermittlungsbehörden übergeben worden waren. Sie dienten während der Entführung zur öffentlichen Suche nach der Klägerin. Auf einem weiteren im Filmbeitrag gezeigten Bild war die Klägerin gemeinsam mit ihrer Mutter auf der Titelseite einer Illustrierten zu sehen. Dieses Foto war nach der Freilassung der Klägerin aufgenommen worden. Außerdem wurde ein von der Klägerin während ihrer Entführung geschriebener Brief und der Audio-Mitschnitt eines ebenfalls während der Entführung geführten Telefongesprächs wiedergegeben.

Das LG hat der Unterlassungsklage teilweise stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG die Klage insgesamt abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und der Klage vollumfänglich stattgegeben.

Gründe:
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche hinsichtlich der Wiedergabe der beiden vor ihrer Entführung aufgenommenen Fotos und des nach ihrer Entführung aufgenommenen Fotos auf dem Titelblatt der Illustrierten sowie des von ihr während der Entführung geschriebenen Briefes und des von ihr während der Entführung geführten Telefonats zu.

Hinsichtlich der Wiedergabe der Fotos hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht am eigenen Bild wird schon dann beeinträchtigt, wenn der Abgebildete begründeten Anlass hat, anzunehmen, er könne identifiziert werden. Ebenso wenig wird verlangt, dass schon der nur flüchtige Betrachter den Abgebildeten auf dem Bild erkennen kann; es genügt die Erkennbarkeit durch einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis. Entscheidend ist der Zweck des § 22 KUG, die Persönlichkeit davor zu schützen, gegen ihren Willen in Gestalt der Abbildung für andere verfügbar zu werden. Es lag auch keine fortgeltenden Einwilligungen der Eltern der Klägerin vor, weil diese während der Entführung die zwei Fotos an die Ermittlungsbehörden übergaben und nach der Entführung mit der Verwendung eines Fotos für den Artikel in der Illustrierten einverstanden waren.

Die Beklagte durfte in ihrem Beitrag die Fotos der Klägerin nicht gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG verbreiten. Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Es gehört zwar zum Kern der Freiheit der Medien, dass diese innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzen, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden können, was öffentliches Interesse beansprucht. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Medienerzeugnis bebildert wird. Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Es bedarf einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen.

Zwar besteht im Ausgangspunkt ein nicht unerhebliches Berichterstattungsinteresse. Denn eine Straftat gehört zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Dennoch überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Beklagten nicht diejenigen der Klägerin. Denn diese wandte sich vorliegend nicht generell dagegen, durch die Berichterstattung als Opfer einer Straftat identifiziert werden zu können. Es geht ihr vielmehr um den Schutz davor, dass ihre Bildnisse Jahrzehnte nach der Entführung dazu verwendet werden, sie in sehr persönlicher Weise in ihrer Opferrolle darzustellen.

Während die im Filmbeitrag der Beklagten behandelten Themen auch heute noch von Interesse sind und der Filmbeitrag zudem einen aktuellen Bezug herstellt (erstmalige Äußerung des T.), hat das öffentliche Interesse gerade an der Person der Klägerin und erst recht an ihrer sehr individualisierten und persönlichen Darstellung erheblich an Bedeutung verloren. Seit der Entführung der Klägerin sind bis zur Veröffentlichung des Films 35 Jahre und bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht 40 Jahre vergangen. Weder aus dem Kontext des Filmbeitrags der Beklagten noch aus sonstigen Feststellungen ergibt sich eine gleichwohl fortdauernde Bedeutung gerade der Person und vor allem der Persönlichkeit der Klägerin.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Postmortales Persönlichkeitsrecht: Unzutreffenden Wiedergabe von - angeblichen - Äußerungen eines Verstorbenen (Kohl-Protokolle)
BGH vom 29.11.2021 - VI ZR 248/18

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