04.04.2011

Finanzierungsberatung als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Ratsuchenden

Der Vorschlag eines Finanzierungsberaters, beim Kauf eines Hauses fehlendes Eigenkapital durch den Erwerb einer weiteren, voll finanzierten Immobilie (hier: Eigentumswohnung) zu ersetzen, kann sittenwidrig sein. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Erwerber nur über ein begrenztes monatliches Einkommen verfügen (hier: 2.400 €).

OLG Nürnberg 23.3.2011, 2 U 417/10
Der Sachverhalt:
Das klagende Ehepaar beabsichtigten, für sich und die zwei kleinen Kinder ein Reihenhaus zu erwerben. Allerdings besaßen die Kläger kein Eigenkapital und das monatliche Familieneinkommen war mit ca. 2.400 € nicht sehr hoch bemessen. Die in geschäftlichen Dingen unerfahrenen Kläger wandten sich an die Finanzberaterin B, die einen Kostenaufwand von 216.000 € für das Reihenhaus errechnete und zwei Darlehen über insgesamt 171.000 € vermittelte. Zusammen mit einem weiteren Kredit über 45.000 €, den ihnen ein anderer Finanzberater andiente, hätte dies für den geplanten Hauskauf ausgereicht.

Allerdings erklärte B nun, nachdem sie weitere Gespräche geführt habe, die Kläger müssten entgegen der ursprünglichen Annahme nun doch eigenes Kapital nachweisen, um von den Banken überhaupt als kreditwürdig angesehen zu werden. Dies sei aber im Ergebnis kein Problem, denn für den Eigenkapitalnachweis sei der zusätzliche Kauf einer Eigentumswohnung geradezu ideal. Da B - neben ihrer Tätigkeit als Finanzberaterin - zusammen mit ihrem Ehemann für die beklagte Liegenschaftsgesellschaft Immobilien vermittelte, hatte sie schnell eine Eigentumswohnung zur Hand, die sie den Klägern zum - ebenfalls voll finanzierten - Kauf für 129.000 € anbot.

Nach Ausräumung ursprünglicher Bedenken der Kläger schlossen die Parteien im November 2006 einen Kaufvertrag über die Eigentumswohnung, die die Kläger ab 1.1.2007 vermieten konnten. Kurz darauf gerieten die Kläger in finanzielle Schwierigkeiten: insbes. die Finanzierung der Eigentumswohnung, die weniger Miete abwarf, als für sie an die Bank monatlich zu zahlen war, wurde notleidend. Als dann in der Wohnung auch noch Schimmel entdeckt wurde, fochten die Kläger den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an und klagten auf Rückgängigmachung des Kaufvertrags über die Eigentumswohnung und Ersatz der hierfür getätigten Aufwendungen.

Das LG wies die Klage ab. Es sei nicht zu erkennen, dass die beklagte Vermittlungsgesellschaft Mängel der Wohnung arglistig verschwiegen hätte, bzw. dass ihre Aufklärung und Finanzierungsberatung unzureichend gewesen seien. Das OLG gab der Klage statt, nachdem sich erst im Berufungsverfahren herausgestellt hatte, dass die Kläger die Eigentumswohnung ausschließlich deshalb erworben hatten, um "Eigenkapital" für den angestrebten Kauf des Reihenhauses zu generieren, und dass die Beklagte selbst gerade einmal fünf Tage vor dem Notartermin mit den Klägern die für 129.000 € veräußerte Eigentumswohnung im Wege der Zwangsversteigerung zum Preis von 49.000 € erworben hatte.

Die Gründe:
Die Kläger haben Anspruch auf Rückgängigmachung des Kaufvertrags über die Eigentumswohnung und Ersatz der hierfür getätigten Aufwendungen.

Das Verhalten der Beklagten ist als "vorsätzliche sittenwidrige Schädigung" zu werten. Die Empfehlung der B, das für den Erwerb eines Hauses fehlende Eigenkapital durch den gleichzeitigen Ankauf einer ebenfalls voll fremdfinanzierten Eigentumswohnung zu generieren, ist grotesk. Nach Auffassung des Senats hätte keine seriös arbeitende Bank in Kenntnis der wahren Verhältnisse der Kläger diesen gleichzeitigen Ankauf zweier Objekte finanziert.

B schlich sich unter dem Deckmantel, trotz fehlenden Eigenkapitals eine Möglichkeit für den Erwerb eines Eigenheims gefunden zu haben, in das Vertrauen der Kläger ein. Die damit einhergehende Existenzgefährdung der Kläger war ihr völlig gleichgültig. Ihr und ihrem Ehemann, mit dem sie arbeitsteilig die Ersteigerung und den sofortigen Weiterverkauf der Eigentumswohnung betrieben hat, ging es ausschließlich um Gewinnmaximierung.

Ein derartiges Geschäftsgebaren verstößt "massiv gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden". Das Verhalten ihrer Mitarbeiter muss sich die beklagte Gesellschaft zurechnen lassen. Sie hat nunmehr die Wohnung zurückzunehmen und rd. 140.000 € an die Kläger zu leisten.

OLG Nürnberg PM Nr. 13 vom 1.4.2011
Zurück