Flugverspätung: Beschädigung des Flugzeugreifens durch Schraube kann Fluggesellschaft von Pflicht zur Ausgleichzahlung befreien
EuGH, C 501/17: Schlussanträge des Generalanwalts vom 22.11.2018Der Kläger buchte einen Flug bei der beklagten Fluggesellschaft Germanwings von Dublin nach Düsseldorf. Dieser Flug verspätete sich um mehr als drei Stunden. Die Beklagte weigerte sich, dem Kläger für die Verspätung Ausgleichsleistungen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (Fluggastrechteverordnung) zu gewähren. Zur Begründung führte sie an, dass bei den Startvorbereitungen für den streitgegenständlichen Flug eine Schraube in einem Reifen des für die Durchführung des Fluges eingesetzten Flugzeugs festgestellt worden sei, die sich auf der Startbahn in Düsseldorf oder der Landebahn des Vorflugs in Dublin in den Reifen gebohrt habe. Aus diesem Grund habe der Reifen ausgetauscht werden müssen, was zu der Verspätung geführt habe.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass es sich bei dem Schadensereignis um einen außergewöhnlichen Umstand handele, aufgrund dessen sie von der Haftung befreit sei. Dementsprechend sei sie nicht zur Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung verpflichtet. Der Kläger begehrt mit seiner Klage gleichwohl Zahlung einer Ausgleichszahlung.
Das mit der Sache befasset LG Köln möchte vom EuGH wissen, ob die Beschädigung eines Flugzeugreifens durch eine auf der Start- oder Landebahn liegende Schraube ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung ist. Nach der Verordnung müssen Fluglinien den Fluggästen bei Annullierung oder großer Verspätung (drei Stunden und mehr) grundsätzlich Ausgleichszahlungen leisten (Art. 5 Abs. 1). Von dieser Verpflichtung kann sich eine Fluglinie befreien, wenn sie nachweisen kann, dass die Annullierung bzw. verspätete Ankunft des Fluges auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Abs. 3).
Die Gründe:
Nach den Schlussanträgen von Generalanwalt Tanchev ist Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung ist dahin auszulegen, dass die Beschädigung eines Flugzeugreifens durch eine auf der Start- oder Landebahn liegende Schraube unter den Begriff "außergewöhnlicher Umstand" i.S.d. Bestimmung fällt.
Auf den Rollbahnen liegende Schrauben sind (ebenso wie ein Vogelschlag) nicht untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden. Im Gegenteil sind Schrauben und andere Fremdkörper auf dem Rollfeld möglichst zu vermeiden, da sie ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen und Flugzeuge mit ihnen nicht in Berührung kommen sollten. Ein solches Vorkommnis ist daher nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der betreffenden Fluglinie. Dass Schrauben, Nägel oder andere Kleinteile auf die Rollbahn geraten, ist außerdem ein beliebig auftretendes Ereignis, das für die Fluglinie schlicht nicht vorhersehbar und innerhalb der betrieblichen Sphäre der Fluglinie von dieser auch nicht beherrschbar ist.
Ein Reifenschaden oder ein anderer technischer Defekt des Fluggeräts, der durch auf dem Rollfeld liegende Kleinteile wie Nägel oder vergleichbare Objekte verursacht worden ist, stellt einen außergewöhnlichen Umstand dar, der die Fluglinie von ihrer Ausgleichspflicht gegenüber den Fluggästen befreien kann. Das LG Köln wird nunmehr zu beurteilen haben, ob Germanwings insbesondere auf technischer und administrativer Ebene in der Lage war, direkt oder indirekt geeignete Vorkehrungen zu treffen, um die Risiken einer Beschädigung von Reifen durch auf dem Rollfeld liegende Fremdkörper zu verringern oder zu beseitigen.
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