Für den Wettbewerb schädliche Vereinbarungen zwischen Kfz-Werkstätten und Versicherern über die Preise für Reparaturen sind unzulässig
EuGH 14.3.2013, C-32/11Die ungarischen Versicherer - u. a. Allianz Hungária und Generali-Providencia - vereinbaren einmal jährlich mit den Kfz-Vertragshändlern oder mit deren nationaler Vereinigung die Bedingungen und Tarife für Reparaturen von Schäden an versicherten Fahrzeugen, die der Versicherer regulieren muss. Die Werkstätten der Vertragshändler können dadurch im Schadensfall unmittelbar Reparaturen gemäß diesen Bedingungen und Tarifen vornehmen.
Die Vertragshändler unterhalten dabei eine zweifache Beziehung zu den Versicherern: Zum einen reparieren sie im Schadensfall die versicherten Fahrzeuge auf Rechnung der Versicherer, zum anderen handeln sie als deren Agenten und bieten ihren Kunden beim Verkauf oder bei der Reparatur von Fahrzeugen Kfz-Versicherungen an. Nach den Vereinbarungen zwischen den Versicherern und den Vertragshändlern erhöht sich der Stundensatz der Vertragshändler für die Reparatur beschädigter Fahrzeuge nach Maßgabe der Zahl oder des Prozentsatzes der für die Versicherungsgesellschaft verkauften Versicherungsverträge.
Das ungarische Kartellamt war der Auffassung, dass die fraglichen Vereinbarungen die Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Kfz-Versicherungsverträge und auf dem Markt für Kfz-Reparaturen bezweckten, verbot das wettbewerbswidrige Verhalten und verhängte Geldbußen gegen die betroffenen Unternehmen. Der in der Rechtsmittelinstanz mit der Sache befasste Oberste Gerichtshof in Ungarn möchte vom EuGH wissen, ob die fraglichen Vereinbarungen die Verhinderung, die Einschränkung oder die Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken.
Die Gründe:
Grundsätzlich gilt, dass Vereinbarungen, die schon ihrer Natur nach schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs sind, verboten sind, ohne dass es einer Prüfung ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb bedarf. Die vorliegend untersuchten Vereinbarungen verbinden zwei grundsätzlich voneinander unabhängige Tätigkeiten miteinander, nämlich die Dienstleistung der Kfz-Reparatur und die Vermittlung von Kfz-Versicherungen. Die Herstellung einer solchen Verbindung bedeutet nicht automatisch, dass die betreffenden Vereinbarungen eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken. Sie kann jedoch einen wichtigen Aspekt bei der Beurteilung der Frage darstellen, ob diese Vereinbarungen ihrer Natur nach schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs sind.
Zwar handelt es sich im vorliegenden Fall um vertikale Vereinbarungen - also um solche zwischen nicht miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen -. Gleichwohl können derartige Vereinbarungen eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken. Im Streitfall ist der Zweck der beanstandeten Vereinbarungen im Hinblick auf die beiden betroffenen Märkte zu beurteilen. Es wird Sache des ungarischen Gerichts sein, zu prüfen, ob die vertikalen Vereinbarungen unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs, in dem sie stehen, eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem Markt für Kfz-Versicherungen erkennen lassen, um die Feststellung zu gestatten, dass sie eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken.
Dies wäre etwa der Fall, wenn die Rolle, die das nationale Recht den als Versicherungsagenten oder -makler tätig werdenden Vertragshändlern zuweist, deren Unabhängigkeit von den Versicherungsgesellschaften erfordert. Außerdem würde der wettbewerbswidrige Zweck der Vereinbarungen auch dann feststehen, wenn der Wettbewerb auf dem Markt für Kfz-Versicherungen infolge des Abschlusses dieser Vereinbarungen wahrscheinlich beseitigt oder erheblich geschwächt werden wird.
Darüber hinaus muss das ungarische Gericht bei der Beurteilung des Zwecks der Vereinbarungen in Bezug auf den Markt für Kfz-Reparaturen berücksichtigen, dass die Vereinbarungen offenbar auf der Grundlage der "Preisempfehlungen" geschlossen wurden, die in den von der nationalen Vereinigung der Kfz-Vertragshändler getroffenen Entscheidungen enthalten sind. Sollte es feststellen, dass diese es bezweckten, durch die Vereinheitlichung der Stundensätze für die Kfz-Reparatur den Wettbewerb zu beschränken, und dass die Versicherungsgesellschaften diese Entscheidungen durch die beanstandeten vertikalen Vereinbarungen bewusst gebilligt haben, was vermutet werden kann, wenn sie unmittelbar eine Vereinbarung mit der Vereinigung der Kfz-Vertragshändler getroffen haben, so würde die Rechtswidrigkeit der Entscheidungen die Rechtswidrigkeit der Vereinbarungen nach sich ziehen.
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