03.04.2020

Gaspreiserhöhungen zur Kompensation des Anstiegs der eigenen Bezugskosten des Grundversorgers

Die direkte Information der Gaskunden über eine Tariferhöhung, mit der der Grundversorger lediglich den Anstieg seiner eigenen Bezugskosten abwälzt, ist eine Voraussetzung für die Gültigkeit der Erhöhung. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Kunden den Vertrag jederzeit kündigen können und über angemessene Rechtsbehelfe verfügen, um Ersatz für den Schaden zu erhalten, der ggf. durch das Unterbleiben einer persönlichen Mitteilung der Änderungen entstanden ist.

EuGH v. 2.4.2020 - C-765/18
Der Sachverhalt:
Die klagenden Stadtwerke Neuwied sind ein als privatrechtliche GmbH organisierter Erdgasversorger. Als Kommunalunternehmen, das Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zugunsten einer öffentlichen Körperschaft erbringt, unterliegen sie staatlicher Aufsicht. Ihr einziger Gesellschafter ist die Stadt Neuwied. Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage von dem beklagten Gaskunden (mit Grundversorgungsvertrag) vor dem LG Koblenz Zahlung von Rückständen, die mit Tarifanpassungen zwischen 2005 und 2011 zusammenhängen.

Diese Tarifanpassungen entsprachen dem Anstieg der Bezugskosten von Erdgas. Der Kunde wurde nicht persönlich über diese Anpassungen informiert. Die Klägerin veröffentlichte ihre Preise und ihre allgemeinen Tarife sowie die Vertragsanpassungen jedoch auf ihrer Internetseite. Die Tariferhöhungen wurden zudem in der regionalen Presse veröffentlicht. Der Beklagte macht geltend, dass die Erhöhungen des Gaspreises unwirksam seien.

Das mit der Sache befasste LG ersucht den EuGH vor diesem Hintergrund um Auslegung der Erdgasbinnenmarktrichtlinie 2003/55/EG. Es möchte insbesondere wissen, ob die direkte Information des Kunden über die Tariferhöhung eine Voraussetzung für die Gültigkeit der Erhöhung ist.

Die Gründe:
Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55/EG ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, dass Tarifänderungen, die den Kunden nicht persönlich mitgeteilt worden sind, von einem Gasversorger letzter Instanz nur zu dem Zweck vorgenommen werden, den Anstieg der Bezugskosten von Erdgas ohne Gewinnerzielungsabsicht abzuwälzen, die Einhaltung der in diesen Bestimmungen genannten Transparenz- und Informationspflichten durch den Versorger keine Voraussetzung für die Gültigkeit der betreffenden Tarifänderungen ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die Kunden den Vertrag jederzeit kündigen können und über angemessene Rechtsbehelfe verfügen, um Ersatz für den Schaden zu erhalten, der ggf. durch das Unterbleiben einer persönlichen Mitteilung der Änderungen entstanden ist.

In dem Fall, dass die Tarifänderungen des Gasversorgers lediglich den Anstieg der Bezugskosten von Gas auf den Preis der Dienstleistung abwälzen, ohne dass der Versorger einen Gewinn zu erzielen beabsichtigt, kann die Ungültigkeit dieser Änderungen wegen unterbliebener persönlicher Mitteilung an die Kunden die wirtschaftlichen Interessen des Gasversorgers ernsthaft gefährden.

Demzufolge kann die Gültigkeit der Tariferhöhung, die der Umwälzung des Anstiegs der Bezugskosten von Gas entspricht, nicht von der persönlichen Information der Kunden abhängen, da der Versorger die Versorgungssicherheit seiner Kunden zu gewährleisten hat. Andernfalls könnte das vom Gasversorger getragene wirtschaftliche Risiko sowohl die Verwirklichung des mit der Richtlinie 2003/55 verfolgten Ziels der Versorgungssicherheit in Frage stellen als auch die wirtschaftlichen Interessen dieses Versorgers unverhältnismäßig beeinträchtigen.

Da das Unterbleiben einer persönlichen Mitteilung der Tarifänderungen selbst in einer solchen Situation gleichwohl eine Beeinträchtigung des Verbraucherschutzes darstellt, ist allerdings zum einen erforderlich, dass die Kunden eines solchen Versorgers den Vertrag jederzeit kündigen können, und zum anderen, dass dem Kunden, da die Gasversorgung zu einem Tarif durchgeführt wird, von dem er vor seinem Inkrafttreten nicht Kenntnis nehmen konnte, angemessene Rechtsbehelfe offenstehen, damit er Ersatz für den Schaden verlangen kann, der ggf. entstanden ist, weil er nicht die Möglichkeit hatte, rechtzeitig sein Recht auszuüben, den Versorger zu wechseln, um einen günstigeren Tarif zu erhalten. Das LG wird diese Punkte zu überprüfen haben.
EuGH online
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