22.05.2024

Gehörsverletzung: Fehlende Berücksichtigung des Vortrags zum Verständnis des Verkäufers vom Inhalt einer Mängelrüge

Der BGH hat sich vorliegend mit der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) bei fehlender Berücksichtigung des Vortrags zum Verständnis des Verkäufers vom Inhalt einer Mängelrüge i.S.d. § 377 HGB befasst.

BGH v. 23.4.2024 - VIII ZR 35/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin bezog von der beklagten Zwischenhändlerin Rohware für die Herstellung von Fertiglebensmitteln. Die Beklagte lieferte am 2. und 21.8. am 20.9.2017 insgesamt rund 15 t tiefgekühlte, in Scheiben geschnittene Jalapeños (Paprikaschoten) an die Klägerin. Während der Weiterverarbeitung zu Chili-Cheese-Nuggets fiel bei der Klägerin kurz vor Abschluss der Produktion am 13.10.2017 ein scharfkantiges Kunststoffteil zwischen einigen Jalapeños-Scheiben auf. Am selben Tag teilte sie der Beklagten in einem Telefonat mit, dass "in der gelieferten Ware Fremdkörper enthalten" seien und die Ware deshalb nicht verkehrsfähig sei. Zudem übersandte sie der Beklagten Fotos per E-Mail. Im Text der Nachricht vom selben Tag heißt es unter dem Betreff "Fremdkörper": "anbei die Fotos zur Fremdkörper-Reklamation. Bitte geben Sie mir dazu ein kurzes Feedback". Die beigefügten Fotos zeigen ein schwarzes Plastikteil zwischen tiefgefrorenen Jalapeños-Scheiben, einen Paketaufkleber für einen 10 kg-Karton mit den Angaben "GE805", Produktionsdatum 8.11.2016, Mindesthaltbarkeitsdatum 8.11.2018 und einer "Lot Nr. M2261108" sowie einen Schein über die Tiefkühleinlagerung von 7.280 kg mit Einlagerdatum 20.9.2017, Mindesthaltbarkeitsdatum 8.11.2018 und Chargennummer 201709020- 1701655.

Die Klägerin sperrte die bereits produzierten und noch bei ihr befindlichen Teilmengen für den Verkauf und rief die schon ausgelieferten Nuggets zurück. Eine von ihr veranlasste Untersuchung der restlichen Rohware bei einem Drittunternehmen ergab das Vorhandensein weiterer Fremdkörper. Mit E-Mail vom 16.10.2017 bestätigte die Beklagte den Eingang der Reklamation und kündigte eine Reaktion an. Bei einer kurz danach stattfindenden Krisensitzung besprachen die Parteien den Sachverhalt und die Möglichkeit der kurzfristigen Bereitstellung anderer Jalapeños-Rohware. Am 26.10.2017 teilte die Beklagte unter Bezugnahme auf die "Reklamation der von uns gelieferten GE805 - Jalapeños grün in Scheiben" in einer E-Mail an die Klägerin mit, dass sie nach Rücksprache mit ihrem Lieferanten einen Fremdkörperbefund nicht ausschließen könne. Mit der Klage verlangte die Klägerin zuletzt Ersatz des Warenwerts der bereits produzierten Nuggets und der Kosten für die sachverständige Untersuchung des Kunststoffteils sowie für die Einlagerung und Vernichtung der produzierten Ware.

Das LG gab der Klage statt; das KG wies sie ab. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das das Urteil des KG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das KG hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es hat deren Vorbringen in einem zentralen Punkt - der Frage einer ordnungsgemäßen Mangelanzeige gem. § 377 Abs. 1, 3 HGB - gehörswidrig übergangen.

Nach dem Rechtsstandpunkt des KG war es für das Vorliegen einer hinreichend bestimmten Mängelrüge im Oktober 2017 entscheidend, ob die Beklagte als Verkäuferin aufgrund der ihr seitens der Klägerin bis zum 17.10.2017 überlassenen Informationen das Vorhandensein des behaupteten Mangels der gelieferten Rohware prüfen, diesbezügliche eigene Nachforschungen anstellen und ihre eigene Lieferantin in Anspruch nehmen konnte. Das KG hat dementsprechend bei seiner Würdigung maßgeblich auf die Verständnismöglichkeit der Beklagten als Empfängerin der Rüge abgestellt.

In diesem Zusammenhang kam dem Vortrag der Klägerin entscheidende Bedeutung zu, wonach die Beklagte mit der als Anlage eingereichten E-Mail vom 26.10.2017 über die aufgrund der Beanstandung von ihr zwischenzeitlich ergriffenen Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung des beanstandeten Fremdkörperbefunds berichtet hat. Darin teilt die Beklagte mit, dass sie aufgrund der Reklamation zu den gelieferten "GE805 - Jalapeños" ihren Lieferanten kontaktiert und von diesem eine - erste, aus ihrer Sicht nicht ausreichende - Stellungnahme zur angezeigten Verunreinigung erhalten habe. Sie habe dem Produzenten deshalb für eine substantiellere Stellungnahme Proben des Fremdkörpers zur Analyse überlassen und sich im Falle einer wiederum nicht zufriedenstellenden Antwort die Beauftragung eigener Untersuchungen vorbehalten. Ferner werde sie ihren gesamten Lagerbestand bei demselben Unternehmen wie die Klägerin scannen lassen und bitte zudem um Mitteilung des der Klägerin vorliegenden Befundes. Schließlich hat die Beklagte erklärt, dass sie einen Eintrag weiterer Fremdkörper in den Lieferungen (Folgechargen) nicht ausschließen könne.

Auf dieses zentrale Vorbringen zum (tatsächlichen) Verständnis der Beklagten hinsichtlich der ihr übermittelten Informationen sowie zu den von ihr auf dieser Grundlage veranlassten Untersuchungen, Nachforschungen und möglichen Abhilfen ist das KG nicht eingegangen. Vielmehr hat es seine Würdigung, wonach für den Empfänger einer solchen Mängelrüge nicht erkennbar sei, was der Käufer konkret beanstande, allein auf allgemeine Erwägungen zu einem möglichen Aussagegehalt der den Lichtbildern entnehmbaren Informationen gestützt, ohne sich hierbei (erkennbar) mit dem seitens der Klägerin konkret gehaltenen Vortrag zum tatsächlichen Verständnishorizont der Beklagten auseinanderzusetzen. Soweit es dabei darauf verwiesen hat, dass die Beklagte bei der Inanspruchnahme ihres Lieferanten und bei der eigenen Nachforschung vom Umfang der Mängelanzeige abhängig sei und - im Allgemeinen - die Möglichkeit zur Untersuchung und Nachforschung durch den Verkäufer der Grund für das rechtliche Bestimmtheitserfordernis sei, lassen diese vorrangig abstrakt gehaltenen Aussagen darauf schließen, dass das KG das Klägervorbringen zu den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls gehörswidrig übergangen hat. Setzt sich ein Gericht mit einem Parteivortrag nicht inhaltlich auseinander, sondern mit Leerformeln über diesen hinweg, ist das im Hinblick auf die Anforderungen aus dem Verfahrensgrundrecht nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht anders zu behandeln als ein kommentarloses Übergehen des Vortrags.

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Kommentierung | HGB
§ 377 Untersuchungs- und Rügepflicht
Steimle/Dornieden in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 6. Aufl.
6. Aufl./Lfg. 09.2023

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