19.11.2012

Generalanwalt: Kein Schadensersatz für Systran wegen Unzuständigkeit des EuG

Generalanwalt Cruz Villalón schlägt dem EuGH vor, das Urteil des EuG aufzuheben, mit dem die Kommission verurteilt wurde, an Systran einen Pauschalbetrag von 12 Mio. € als Ersatz für den Systran entstandenen materiellen Schaden zu zahlen. Das EuG hätte seine Zuständigkeit verneinen und die Parteien auffordern müssen, die zuständigen nationalen Gerichte anzurufen, die in den zwischen der Systran-Gruppe und der Kommission geschlossenen aufeinander folgenden Verträgen einvernehmlich bestimmt worden waren.

EuGH 15.11.2012, C-103/11 P - Schlussanträge des Generalanwalts
Der Sachverhalt:
Im Dezember 1975 schloss die EU-Kommission mit der amerikanischen Gesellschaft WTC einen Vertrag über die Entwicklung der maschinellen Übersetzungssoftware (Englisch-Französisch) "Systran". Die Beziehungen zwischen der Kommission und WTC (jetzt Systran SA) mündeten in der Realisierung des Übersetzungssystems "EC-Systran Mainframe", das aus einem Kern, Sprachroutinen und Wörterbüchern für neun Sprachenpaare der EU bestand. Im August 1987 schlossen Systran und die Kommission einen "Vertrag über Zusammenarbeit", der u.a. die gemeinsame Organisation der Weiterentwicklung und Verbesserung des Übersetzungssystems Systran zum Gegenstand hatte.

Die Kommission kündigte diesen Vertrag im Dezember 1991. Im Dezember 1997 schlossen Systran und die Kommission den ersten von vier aufeinanderfolgenden Umstellungsverträgen, um die Software EC-Systran Mainframe in den Umgebungen Unix und Windows laufen zu lassen. Im Oktober 2003 veröffentlichte die Kommission eine Ausschreibung für die Wartung und Verbesserung ihres maschinellen Übersetzungssystems. Daraufhin teilte Systran der Kommission mit, dass die beabsichtigten Arbeiten ihre Rechte des geistigen Eigentums verletzen könnten. Systran stellte klar, dass sie sich unter diesen Umständen nicht am Ausschreibungsverfahren beteiligen könne.

Die Kommission vertrat die Auffassung, dass die Rechte des geistigen Eigentums von Systran nicht verletzt würden. Auf die Ausschreibung hin wurden zwei der acht zu der Ausschreibung gehörenden Lose an eine belgische Gesellschaft vergeben. Da die Systran-Gruppe der Ansicht war, dass die Kommission nach der Erteilung des Zuschlags das Know-how von Systran rechtswidrig an einen Dritten weitergegeben und dadurch, dass der Zuschlagsempfänger unerlaubte Entwicklungen der Version EC-Systran Unix vorgenommen habe, eine Rechtsverletzung begangen habe, erhob sie Schadensersatzklage gegen die Kommission.

Das EuG gab der Klage teilweise statt und erkannte an, dass das Verhalten der Kommission Systran einen materiellen Schaden aufgrund des Wertverlusts ihrer immateriellen Vermögensgegenstände (d.h. des Wertverlusts ihrer Rechte des geistigen Eigentums), den es pauschal mit 12 Mio. Euro bewertete, und einen mit 1.000 € bewerteten immateriellen Schaden verursacht habe. Hiergegen legte die Kommission Rechtsmittel zum EuGH ein. Der Generalanwalt hielt hierzu nun seine Schlussanträge.

Die Gründe:
Der Generalanwalt schlägt dem EuGH vor, das Urteil des EuG aufzuheben, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden und die von Systran und ihrer Tochtergesellschaft erhobene Klage aus außervertraglicher Haftung für unzulässig zu erklären. Hilfsweise schlägt er dem EuGH vor, das Urteil des EuG aufzuheben und die Rechtssache an dieses zurückzuverweisen.

Nach Auffassung des Generalanwalts ist dieser Rechtsstreit entsprechend den genannten Verträgen und dem auf diese anzuwendenden Recht in erster Linie von den zuständigen nationalen Gerichten zu prüfen und ggf. zu entscheiden. Das EuG hat sich zu Unrecht für zuständig erklärt, über die Klage auf Ersatz des Systran durch das Verhalten der Kommission angeblich entstandenen Schadens zu entscheiden. Daher schlägt der Generalanwalt dem EuGH vor, festzustellen, dass das EuG seine Zuständigkeit verneinen und die Parteien auffordern musste, die einvernehmlich bestimmten zuständigen nationalen Gerichte anzurufen, damit diese in Anwendung der Verträge und des auf die Verträge anzuwendenden Rechts soweit erforderlich über den Umfang ihrer jeweiligen Rechte und Pflichten entscheiden und sich zum Vorliegen etwaiger Vertragsverstöße sowie zur möglichen vertraglichen Haftung der Union äußern.

Sollte der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts jedoch nicht folgen und feststellen, dass das EuG zuständig war, schlägt der Generalanwalt dem EuGH vor, bestimmten von der Kommission geltend gemachten Rügen stattzugeben und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen. Es handelt sich insbes. um das Argument, dass das EuG einen Fehler begangen habe, indem es entschieden habe, dass die Richtlinie über das Urheberrecht in Bezug auf nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers bedürfender Handlungen nur auf die Arbeiten angewandt werden könne, die vom rechtmäßigen Erwerber dieses Programms ausgeführt würden, nicht aber auf die Arbeiten, die von diesem Erwerber an einen dritten Erwerber vergeben würden (Art. 5).

Die Kommission macht auch zu Recht geltend, das EuG habe dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass es auf das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs geschlossen habe, ohne geprüft zu haben, ob sich Systran in angemessener Form um die Verhinderung oder Begrenzung ihres Schadens bemüht habe. Weiter stellt der Generalanwalt fest, dass die verschiedenen vom EuG herangezogenen Faktoren es diesem nicht erlaubten, das Bestehen eines hinreichend direkten und unmittelbaren Zusammenhangs von Ursache und Wirkung zwischen dem beanstandeten Verhalten der Kommission und den verschiedenen Komponenten des von den betroffenen Gesellschaften geltend gemachten Schadens festzustellen. Schließlich ist die Rüge der Kommission, mit der ein Begründungsmangel im Zusammenhang mit der Bewertung des ergänzenden Betrags mit 5 Mio. € geltend gemacht wird, seiner Ansicht nach ebenfalls begründet.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Schlussanträge klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 145 vom 15.11.2012
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