04.10.2018

Generalanwalt schätzt EZB-Anleihekäufe als rechtmäßig ein

Generalanwalt Wathelet schlägt dem EuGH vor, zu entscheiden, dass der Beschluss der EZB über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten gültig ist. Er ist der Ansicht, das Programm verstoße nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung und gehe nicht über das Mandat der EZB hinaus.

EuGH, C-493/17: Schlussanträge des Generalanwalts vom 4.10.2018
Der Sachverhalt:

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte im März 2015 ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten aufgelegt (Public sector asset purchase programme, im Folgenden: PSPP). Dabei handelt es sich um eines der vier Teilprogramme des erweiterten Programms zum Ankauf von Wertpapieren (Expanded Asset Purchase Programme, im Folgenden: APP), das im Januar 2015 von der EZB angekündigt wurde und allgemein "quantitative Lockerung" (quantitative easing) genannt wird. Gegenüber den anderen drei Teilprogrammen des APP, die den Ankauf von Anleihen des privaten Sektors betreffen, ist das PSPP subsidiär.

Mit dem APP und somit dem PSPP soll der Deflationsgefahr in der Eurozone begegnet und dadurch die Preisstabilität gewährleistet werden. Ein umfangreicher Ankauf von Wertpapieren einschließlich Anleihen des öffentlichen Sektors soll eine Lockerung der monetären und finanziellen Bedingungen bewirken, um es Unternehmen und Privathaushalten zu ermöglichen, kostengünstigere Finanzierungen zu erhalten. Dies hat im Grundsatz zur Folge, die Investitionen und den Verbrauch anzuregen, was dazu beiträgt, die Inflationsrate wieder auf das angestrebte Niveau von unter, aber nahe 2 % zurückkehren zu lassen.

Das PSPP wurde in einem Kontext aufgelegt, in dem die Leitzinsen der EZB ihre Untergrenze erreicht und die Programme zum Ankauf von Anleihen des privaten Sektors unzureichende Wirkung zur Erreichung dieser Ziele gezeigt hatten. Die einzige Wertpapierklasse, die aufgrund ihres bereits vorhandenen Marktvolumens als geeignet angesehen wurde, das für das Schließen der Inflationslücke zusätzlich erforderliche Kaufvolumen bereitzustellen, waren Anleihen des öffentlichen Sektors.

Mehrere Gruppen von Privatpersonen aus Deutschland haben vor dem BVerfG Verfassungsbeschwerden gegen verschiedene Beschlüsse der EZB zum APP, gegen die Mitwirkung der Deutschen Bundesbank an der Umsetzung dieser Beschlüsse oder ihre behauptete Untätigkeit im Hinblick auf diese sowie die behauptete Untätigkeit der Bundesregierung und des Deutschen Bundestags im Hinblick auf diese Mitwirkung und auf diese Beschlüsse eingelegt. Sie waren der Ansicht, das PSPP verstoße gegen das Verbot der monetären Finanzierung der Mitgliedstaaten und den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Außerdem verletzten die Beschlüsse zum PSPP das im Grundgesetz niedergelegte Demokratieprinzip und beeinträchtigten dadurch die deutsche Verfassungsidentität.

Das BVerfG führte aus, falls der Beschluss der EZB zum PSPP gegen das Verbot der monetären Finanzierung verstoße oder über das Mandat der EZB hinausgehe, müsse es eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Überschreitung der Kompetenzen der EZB feststellen und folglich den Anträgen des Ausgangsverfahrens stattgeben. Dies gelte auch, falls die sich aus diesem Beschluss ergebende Verlustverteilung das Budgetrecht des Deutschen Bundestages beeinträchtige. Unter diesen Umständen hat das BVerfG beschlossen, den EuGH um Vorabentscheidung zu ersuchen.

Der Generalanwalt Melchior Wathelet schlägt dem EuGH vor, dem BVerfG zu antworten, dass die Prüfung des Beschlusses der EZB zum PSPP4 (im Folgenden: PSPP-Beschluss) nichts ergeben hat, was seine Gültigkeit beeinträchtigen könnte.

Die Gründe:

Der PSPP-Beschluss steht nicht im Widerspruch zum Verbot der monetären Finanzierung. Zum einen nämlich verleiht das PSPP dem Tätigwerden des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) nicht die gleiche Wirkung wie ein unmittelbarer Erwerb von Staatsanleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten; zum anderen ist es nicht geeignet, den Mitgliedstaaten den Anreiz zur Verfolgung einer gesunden Haushaltspolitik zu nehmen.

Die grundsätzliche Rechtmäßigkeit eines Ankaufs von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten durch das ESZB lässt sich nicht bestreiten (Unter Verweis auf das Urteil Gauweiler u.a. zum von der EZB im September 2012 angekündigten OMT-Programm). Die Gültigkeit eines Programms wie des PSPP hängt von den Garantien ab, mit denen es versehen ist. Zur angeblich gleichen Wirkung des PSPP wie ein unmittelbarer Erwerb von Staatsanleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten kann festgestellt werden, dass das PSPP hinreichende Garantien bietet, um zu verhindern, dass die Emissionsbedingungen für Staatsanleihen durch die Gewissheit verfälscht werden, dass diese Anleihen nach ihrer Ausgabe durch das ESZB erworben werden, und somit zu verhindern, dass die auf den Märkten für Staatsanleihen tätigen Wirtschaftsteilnehmer faktisch als Mittelpersonen des ESZB für den unmittelbaren Erwerb der Anleihen agieren.

Zu den behaupteten negativen Auswirkungen eines Programms wie des PSPP auf den Anreiz, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen, werden diese bereits durch die für das ESZB bestehende Möglichkeit beschränkt, die erworbenen Anleihen jederzeit wieder zu verkaufen. Verfolgt ein Emittent von Staatsanleihen zudem keine gesunde Haushaltspolitik mehr, laufen die begebenen Anleihen Gefahr, das vom PSPP verlangte Kreditqualitätsrating zu verlieren. Außerdem richtet sich die Verteilung der Ankäufe auf die öffentlichen Emittenten aller Mitgliedstaaten der Eurozone nach einem objektiven und von der Wirtschaftslage oder ihrer Haushaltspolitik unabhängigen Kriterium, nämlich nach dem Schlüssel für die Kapitalzeichnung der EZB.

Folglich kann das PSPP nicht als ein Mechanismus zur Unterstützung von Staaten aufgefasst werden, die sich in Finanzierungsschwierigkeiten befinden. Da die Risikoteilung im Rahmen des PSPP beschränkt ist, sind es schließlich für 80 % der PSPP-Ankäufe die örtlichen Steuerzahler oder die anderen Gläubiger der öffentlichen Anleihen, die mögliche Verluste zu tragen und für die Rekapitalisierung der betroffenen Zentralbank aufzukommen haben. Während es im Jahr 2011 noch 24 Staaten waren gegen den ein Verfahren wegen übermäßigen Defizits anhängig war, ist es zurzeit nur noch Spanien. Diese objektive Lage deutet darauf hin, dass die Mitgliedstaaten der Eurozone eine gesunde Haushaltspolitik verfolgen.

Hinsichtlich der Frage, ob das PSPP im Hinblick auf seinen Umfang, die Dauer seines Vollzugs und die sich daraus ergebenden Folgen über das Mandat der EZB hinausgeht, so verfolgt das PSPP ein währungspolitisches Ziel durch den Einsatz von Instrumenten, die zu dieser Politik gehören. Die EZB hat weder bei der Festlegung der Ziele des Programms noch bei der Wahl der einzusetzenden Instrumente einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen. Auch hat sie weder ihre Befugnisse missbraucht noch offensichtlich die Grenzen ihres Ermessens überschritten. Mögliche mittelbare Auswirkungen können nicht bedeuten, dass ein Programm der EZB notwendigerweise als eine wirtschaftspolitische Maßnahme einzustufen ist, da sich aus dem Vertrag selbst ergibt, dass das ESZB ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union unterstützt.

Letztlich ist das PSPP  Erreichung seines Ziels ebenso geeignet wie erforderlich (andere, ebenso wirksame währungspolitische Maßnahmen hat die EZB nämlich bereits ausgeschöpft) und geht nicht offensichtlich über das für die Erreichung des Ziels Erforderliche hinaus. Das ESZB hat die verschiedenen bestehenden Interessen in einer Weise gegeneinander abgewogen, die verhindert, dass sich bei der Durchführung des PSPP Nachteile ergeben, die offensichtlich außer Verhältnis zu dessen Zielen stehen.

Linkhinweis:

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EuGH Pressemitteilung vom 4.10.2018
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