Gericht muss bei abschließender Beurteilung einer vom Vorstandsmitglied einer AG erstellten Ertragsprognose eigene Sachkunde darlegen
BGH 22.2.2011, II ZR 146/09Die Klägerin ist eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Alleinaktionärin ist die R-GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die Gesellschafter dieser GmbH, darunter vormals auch der Beklagte, sind überwiegend zugleich Gesellschafter der R-P-Pool-GbR und Mitglieder des Vorstands der Klägerin. Der Beklagte übernahm im Jahr 2000 die Leitung einer Niederlassung der Klägerin.
Im Oktober 2002 legte er den Voll- und Spartenpartnern eine Planung für eine Erweiterung der Niederlassung vor. Das Personal sollte von 11 auf 38 Mitarbeiter erhöht und die Bürofläche von 280 auf 825 qm erweitert werden. Das neue Büro war mit Zustimmung des Partnerausschusses der Pool-GbR bereits angemietet worden. Nachdem der Beklagte damit begonnen hatte, auch das Personal entsprechend seiner Planung aufzustocken, zeigte sich im Sommer 2003, dass die Umsatzprognosen nicht zu realisieren waren. Der Beklagte wurde im Dezember 2003 - aus anderen Gründen - unter fristloser Kündigung seines Anstellungsvertrages abberufen. Die Niederlassung wurde im Jahr 2004 geschlossen.
Seine gegen die Abberufung und die Kündigung gerichtete Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. In dem vorliegenden Verfahren verlangt die Klägerin von dem Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung seiner Vorstandspflichten im Zusammenhang mit der Erweiterung der Niederlassung. Die Klägerin hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 820.000 € zu verurteilen.
Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Die Revision rügt zu Recht, dass das OLG ohne Unterstützung durch einen Sachverständigen eine Pflichtverletzung des Beklagten festgestellt hat, ohne diese Feststellung schlüssig zu begründen und ohne darzulegen, dass es die dafür erforderliche Sachkunde besitzt.
Richtig ist noch der Ausgangspunkt des OLG, nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG treffe die Gesellschaft die Darlegungs- und Beweislast für einen Schaden und dessen Verursachung durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Vorstandsmitglieds. Das Vorstandsmitglied hat dagegen darzulegen und zu beweisen, dass es seine Pflichten nicht verletzt hat. Vorliegend hat das OLG den Gegenvortrag des Beklagten zu Unrecht als unerheblich angesehen. Da es bei der dem Beklagten zur Last gelegten Pflichtverletzung um eine unternehmerische Entscheidung geht, die nicht allein deshalb pflichtwidrig ist, weil sie nicht den erstrebten Erfolg hatte, ist der Beklagte gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG schon dann entlastet, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.
Der Umsatz der Niederlassung war von 588.000 € im Jahr 2000 auf rd. 2 Mio. € im Jahr 2002 gestiegen. Dass bei dieser Sachlage schon aufgrund der bereits erfolgten Umsatzzuwächse ein erhöhter Personalbedarf und im Gefolge auch ein erhöhter Raumbedarf bestand, liegt nahe. Allerdings hat der Beklagte entgegen den Auflagen des OLG weder seine schriftliche Umsatzplanung für 2003 vorgelegt noch deren Inhalt vorgetragen. Er hat aber eine Umsatzplanung für das Jahr 2004 vorgelegt und unter Beweisantritt behauptet, eine ebensolche für das Jahr 2003 erstellt und den Partnern überlassen zu haben. Außerdem hat er schriftliche "Umsatz-Budgets" mit Schätzungen der "Honorarumsätze" der einzelnen Mitarbeiter für die Jahre 2003, 2004 und 2005 vorgelegt.
Das OLG differenziert nicht zwischen den Jahren 2003, 2004 und 2005, sondern hält den Vortrag des Beklagten insgesamt für unsubstanziert. Das ist fehlerhaft. Es hätte jedenfalls darlegen müssen, ob es angesichts der Umsatzprognose für 2004 auf die Zahlen für 2003 überhaupt noch ankommt. Ggf. hätte es durch Zeugenvernehmung aufklären müssen, ob der Beklagte auch für 2003 eine solche Prognose erstellt und vorgelegt hat. Solche Überlegungen drängen sich hier schon deshalb auf, weil der Beklagte seine Ertragsprognose vor den Partnern - sämtlich Wirtschaftsprüfer - begründet, im Zweifel also eine detaillierte Planung erstellt hat.
Weiter beanstandet das OLG, der Beklagte habe bei der Kosten-Nutzen-Analyse nicht die "branchenüblichen Techniken" angewandt. Damit nimmt es - was die Revision zu Recht rügt - einen wirtschaftlichen Sachverstand für sich in Anspruch, der ihm nicht ohne weiteres zukommt. Es hätte darlegen müssen, dass es eigene Sachkunde auf dem Gebiet der Unternehmensplanung besitzt und deswegen in der Lage ist, die streitigen Fragen abschließend zu beurteilen. Dazu enthält das Berufungsurteil keine Ausführungen. Das OLG durfte deshalb nicht das Fehlen branchentypischer Techniken feststellen, ohne zuvor einen Sachverständigen gehört zu haben.
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