Geschützte Ursprungsbezeichnungen: Wiedergabe des charakteristischen Erscheinungsbilds eines Erzeugnisses
EuGH v. 17.12.2020 - C-490/19
Der Sachverhalt:
Der "Morbier" ist ein Käse, der im Jura-Massiv (Frankreich) hergestellt wird und seit Dezember 2000 eine geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) trägt. Er ist durch einen schwarzen Streifen gekennzeichnet, der den Käse horizontal in zwei Hälften teilt. Dieser schwarze Streifen, der ursprünglich aus einer Kohleschicht bestand und heutzutage aus pflanzlicher Kohle besteht, wird in der Beschreibung des Erzeugnisses, die in der Spezifikation der g.U. enthalten ist, ausdrücklich genannt. Die Société Fromagère du Livradois SAS, die Morbier-Käse seit 1979 herstellt, ist nicht in dem geografischen Gebiet ansässig, dem die Bezeichnung Morbier vorbehalten ist. Seit Ablauf eines Übergangszeitraums verwendet sie daher für ihren Käse die Bezeichnung "Montboissié du Haut Livradois".
2013 verklagte der berufsübergreifende Verband zur Verteidigung des Morbier-Käses die Société Fromagère du Livradois vor dem Gericht erster Instanz in Paris. Nach Ansicht des Verbands verletzt die Société Fromagère du Livradois die g.U. und begeht dadurch unlautere und rufausnutzende Handlungen, dass sie einen Käse herstelle und vertreibe, der das äußere Erscheinungsbild, u.a. den schwarzen Streifen, des unter die g.U. Morbier fallenden Erzeugnisses übernehme. Seine Klage wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht Paris bestätigte diese Abweisung. Nach Ansicht dieses Gerichts sollen mit einer g.U. nicht das Erscheinungsbild eines Erzeugnisses oder dessen Eigenschaften geschützt werden, sondern sein Name, so dass sie nicht verbiete, ein Erzeugnis nach denselben Techniken herzustellen. Der Verband legte daraufhin gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim Kassationsgerichtshof ein.
Unter diesen Umständen ersucht der Kassationsgerichtshof den EuGH um Auslegung der jeweiligen Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 und der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012, die den Schutz eingetragener Namen betreffen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Übernahme der physischen Merkmale eines von einer g.U. geschützten Erzeugnisses ohne Verwendung des eingetragenen Namens eine Praktik darstellen kann, die geeignet ist, den Verbraucher in Bezug auf den tatsächlichen Ursprung des Erzeugnisses irrezuführen, was von Art. 13 Abs. 1 Buchst. d der genannten Verordnungen verboten wird. Der EuGH hat damit zum ersten Mal die Gelegenheit, diese Art. 13 Abs. 1 Buchst. d auszulegen.
Die Gründe:
Die Art. 13 Abs. 1 Buchst. d der Verordnungen Nr. 510/2006 und 1151/2012 verbieten nicht nur die Verwendung eines eingetragenen Namens durch einen Dritten. Die Art. 13 Abs. 1 Buchst. d dieser beiden Verordnungen verbieten die Wiedergabe der Form oder des Erscheinungsbilds, die bzw. das für ein Erzeugnis charakteristisch ist, das von einem eingetragenen Namen erfasst wird, wenn diese Wiedergabe den Verbraucher zu der Annahme veranlassen kann, dass das fragliche Erzeugnis von diesem eingetragenen Namen erfasst wird. Insoweit ist zu prüfen, ob diese Wiedergabe den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen europäischen Verbraucher irreführen kann, und dabei sind alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, einschließlich der Modalitäten, unter denen die betreffenden Erzeugnisse der Öffentlichkeit angeboten und vermarktet werden, sowie des tatsächlichen Kontexts.
Die Art. 13 Abs. 1 der Verordnungen Nrn. 510/2006 und 1151/2012 enthalten eine abgestufte Aufzählung verbotener Verhaltensweisen und verbieten nicht lediglich die Verwendung des eingetragenen Namens selbst. Obwohl die Art. 13 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnungen nicht spezifisch die verbotenen Verhaltensweisen festlegen, erfassen sie somit weitgehend alle Verhaltensweisen, die nicht durch die Art. 13 Abs. 1 Buchst. a bis c verboten werden und dazu führen können, den Verbraucher in Bezug auf den tatsächlichen Ursprung des betreffenden Erzeugnisses irrezuführen.
Hinsichtlich der Frage, ob die Wiedergabe der Form oder des Erscheinungsbilds eines Erzeugnisses, das von einem eingetragenen Namen erfasst wird, eine solche Praktik darstellen kann, die geeignet ist, den Verbraucher irrezuführen, ist festzustellen, dass der Gegenstand des von den Verordnungen Nrn. 510/2006 und 1151/2012 vorgesehenen Schutzes zwar der eingetragene Name und nicht das mit ihm benannte Erzeugnis ist. Der Zweck dieses Schutzes besteht deshalb nicht darin, die Verwendung von Herstellungstechniken oder die Wiedergabe einer oder mehrerer charakteristischer Eigenschaften, die in der Spezifikation eines Erzeugnisses genannt werden, das von einem eingetragenen Namen erfasst wird, deshalb zu verbieten, weil sie in dieser Spezifikation aufgeführt sind.
Geschützte Ursprungsbezeichnungen werden allerdings insoweit geschützt, als sie ein Erzeugnis bezeichnen, das eine bestimmte Güte oder bestimmte Eigenschaft aufweist. Somit sind die geschützte Ursprungsbezeichnung und das von ihr erfasste Erzeugnis eng miteinander verbunden. Daher ist nicht auszuschließen, dass die Wiedergabe der Form oder des Erscheinungsbilds eines Erzeugnisses, das von einem eingetragenen Namen geschützt wird, ohne dass dieser Name auf dem fraglichen Erzeugnis oder auf seiner äußeren Verpackung erscheint, in den Anwendungsbereich der Art. 13 Abs. 1 Buchst. d fallen kann. Dies ist dann der Fall, wenn diese Wiedergabe geeignet ist, den Verbraucher in Bezug auf den tatsächlichen Ursprung des fraglichen Erzeugnisses irrezuführen.
Für die Beurteilung, ob dies der Fall ist, ist u.a. zu prüfen, ob ein Bestandteil des Erscheinungsbildes des Erzeugnisses, das von dem eingetragenen Namen erfasst wird, eine besonders unterscheidungskräftige Referenzeigenschaft dieses Erzeugnisses darstellt, so dass dessen Wiedergabe in Verbindung mit allen maßgeblichen Umständen des Einzelfalls den Verbraucher zu der Annahme veranlassen kann, dass das Erzeugnis, das diese Wiedergabe enthält, von diesem eingetragenen Namen erfasst wird.
EuGH PM Nr. 168 vom 17.12.2020
Der "Morbier" ist ein Käse, der im Jura-Massiv (Frankreich) hergestellt wird und seit Dezember 2000 eine geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) trägt. Er ist durch einen schwarzen Streifen gekennzeichnet, der den Käse horizontal in zwei Hälften teilt. Dieser schwarze Streifen, der ursprünglich aus einer Kohleschicht bestand und heutzutage aus pflanzlicher Kohle besteht, wird in der Beschreibung des Erzeugnisses, die in der Spezifikation der g.U. enthalten ist, ausdrücklich genannt. Die Société Fromagère du Livradois SAS, die Morbier-Käse seit 1979 herstellt, ist nicht in dem geografischen Gebiet ansässig, dem die Bezeichnung Morbier vorbehalten ist. Seit Ablauf eines Übergangszeitraums verwendet sie daher für ihren Käse die Bezeichnung "Montboissié du Haut Livradois".
2013 verklagte der berufsübergreifende Verband zur Verteidigung des Morbier-Käses die Société Fromagère du Livradois vor dem Gericht erster Instanz in Paris. Nach Ansicht des Verbands verletzt die Société Fromagère du Livradois die g.U. und begeht dadurch unlautere und rufausnutzende Handlungen, dass sie einen Käse herstelle und vertreibe, der das äußere Erscheinungsbild, u.a. den schwarzen Streifen, des unter die g.U. Morbier fallenden Erzeugnisses übernehme. Seine Klage wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht Paris bestätigte diese Abweisung. Nach Ansicht dieses Gerichts sollen mit einer g.U. nicht das Erscheinungsbild eines Erzeugnisses oder dessen Eigenschaften geschützt werden, sondern sein Name, so dass sie nicht verbiete, ein Erzeugnis nach denselben Techniken herzustellen. Der Verband legte daraufhin gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim Kassationsgerichtshof ein.
Unter diesen Umständen ersucht der Kassationsgerichtshof den EuGH um Auslegung der jeweiligen Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 und der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012, die den Schutz eingetragener Namen betreffen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Übernahme der physischen Merkmale eines von einer g.U. geschützten Erzeugnisses ohne Verwendung des eingetragenen Namens eine Praktik darstellen kann, die geeignet ist, den Verbraucher in Bezug auf den tatsächlichen Ursprung des Erzeugnisses irrezuführen, was von Art. 13 Abs. 1 Buchst. d der genannten Verordnungen verboten wird. Der EuGH hat damit zum ersten Mal die Gelegenheit, diese Art. 13 Abs. 1 Buchst. d auszulegen.
Die Gründe:
Die Art. 13 Abs. 1 Buchst. d der Verordnungen Nr. 510/2006 und 1151/2012 verbieten nicht nur die Verwendung eines eingetragenen Namens durch einen Dritten. Die Art. 13 Abs. 1 Buchst. d dieser beiden Verordnungen verbieten die Wiedergabe der Form oder des Erscheinungsbilds, die bzw. das für ein Erzeugnis charakteristisch ist, das von einem eingetragenen Namen erfasst wird, wenn diese Wiedergabe den Verbraucher zu der Annahme veranlassen kann, dass das fragliche Erzeugnis von diesem eingetragenen Namen erfasst wird. Insoweit ist zu prüfen, ob diese Wiedergabe den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen europäischen Verbraucher irreführen kann, und dabei sind alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, einschließlich der Modalitäten, unter denen die betreffenden Erzeugnisse der Öffentlichkeit angeboten und vermarktet werden, sowie des tatsächlichen Kontexts.
Die Art. 13 Abs. 1 der Verordnungen Nrn. 510/2006 und 1151/2012 enthalten eine abgestufte Aufzählung verbotener Verhaltensweisen und verbieten nicht lediglich die Verwendung des eingetragenen Namens selbst. Obwohl die Art. 13 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnungen nicht spezifisch die verbotenen Verhaltensweisen festlegen, erfassen sie somit weitgehend alle Verhaltensweisen, die nicht durch die Art. 13 Abs. 1 Buchst. a bis c verboten werden und dazu führen können, den Verbraucher in Bezug auf den tatsächlichen Ursprung des betreffenden Erzeugnisses irrezuführen.
Hinsichtlich der Frage, ob die Wiedergabe der Form oder des Erscheinungsbilds eines Erzeugnisses, das von einem eingetragenen Namen erfasst wird, eine solche Praktik darstellen kann, die geeignet ist, den Verbraucher irrezuführen, ist festzustellen, dass der Gegenstand des von den Verordnungen Nrn. 510/2006 und 1151/2012 vorgesehenen Schutzes zwar der eingetragene Name und nicht das mit ihm benannte Erzeugnis ist. Der Zweck dieses Schutzes besteht deshalb nicht darin, die Verwendung von Herstellungstechniken oder die Wiedergabe einer oder mehrerer charakteristischer Eigenschaften, die in der Spezifikation eines Erzeugnisses genannt werden, das von einem eingetragenen Namen erfasst wird, deshalb zu verbieten, weil sie in dieser Spezifikation aufgeführt sind.
Geschützte Ursprungsbezeichnungen werden allerdings insoweit geschützt, als sie ein Erzeugnis bezeichnen, das eine bestimmte Güte oder bestimmte Eigenschaft aufweist. Somit sind die geschützte Ursprungsbezeichnung und das von ihr erfasste Erzeugnis eng miteinander verbunden. Daher ist nicht auszuschließen, dass die Wiedergabe der Form oder des Erscheinungsbilds eines Erzeugnisses, das von einem eingetragenen Namen geschützt wird, ohne dass dieser Name auf dem fraglichen Erzeugnis oder auf seiner äußeren Verpackung erscheint, in den Anwendungsbereich der Art. 13 Abs. 1 Buchst. d fallen kann. Dies ist dann der Fall, wenn diese Wiedergabe geeignet ist, den Verbraucher in Bezug auf den tatsächlichen Ursprung des fraglichen Erzeugnisses irrezuführen.
Für die Beurteilung, ob dies der Fall ist, ist u.a. zu prüfen, ob ein Bestandteil des Erscheinungsbildes des Erzeugnisses, das von dem eingetragenen Namen erfasst wird, eine besonders unterscheidungskräftige Referenzeigenschaft dieses Erzeugnisses darstellt, so dass dessen Wiedergabe in Verbindung mit allen maßgeblichen Umständen des Einzelfalls den Verbraucher zu der Annahme veranlassen kann, dass das Erzeugnis, das diese Wiedergabe enthält, von diesem eingetragenen Namen erfasst wird.