Gewerkschaftsausschluss muss in angemessener Zeit nach Kenntnis der Gründe beschlossen werden
OLG Frankfurt a.M. 20.8.2018, 4 U 234/17Der Kläger war Mitglied in der beklagten Gewerkschaft und seit 2012 einer ihrer zwei stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Im September 2015 schloss die Beklagte den Kläger aus der Gewerkschaft wegen "nachhaltig und schwerwiegend schädigenden Verhaltens" aus. Die Beklagte warf dem Kläger u.a. vor, Beiträge nicht oder nicht korrekt gezahlt, auf einer sog. "freien Liste" bei der Betriebsratswahl kandidiert sowie sich im März 2015 kritisch gegenüber einer Zeitung zum Tarifkonflikt der Beklagten mit der Deutschen Bahn geäußert zu haben.
Zwischenzeitlich hat der Kläger seine Mitgliedschaft in der beklagten Gewerkschaft selbst gekündigt. Mit seiner Klage begehrt der Kläger festzustellen, dass der Beschluss über seinen Gewerkschaftsausschluss unwirksam sei.
Das LG gab der Klage antragsgemäß statt. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Die Gründe:
Der Beschluss über den Ausschluss des Klägers ist unwirksam.
Keiner der von der Beklagten angeführten Gründe ist (noch) geeignet, den Ausschluss zu rechtfertigen. Die Beklagte kann grundsätzlich ein Mitglied nur aus wichtigem Grund ausschließen. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter der Abwägung der beiderseitigen Interessen (muss) eine Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft des Klägers unzumutbar sein. Dabei darf der Ausschluss nur innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntnis der Gründe erfolgen. Mit einem längeren Abwarten gibt der Kündigungsberechtigte hingegen zu erkennen, dass ihm die Fortsetzung der Mitgliedschaft trotz des Grundes nicht unzumutbar ist.
Im Streitfall liegen alle von der Beklagten angegebenen Gründe bereits so weit zurück, dass sie die Unzumutbarkeit der fortbestehenden Mitgliedschaft nicht belegen können. Die behaupteten Beitragsrückstände beziehen sich auf die Jahre 2012-2014 und eignen sich ohnehin nur in gravierenden Fällen zur Begründung eines Ausschlusses. Die Kandidatur auf einer "freien Liste" betrifft die Betriebsratswahl vor etwa anderthalb Jahren. Eine angemessene Reaktionszeit ist auch insoweit abgelaufen.
Schließlich kann die Beklagte im September 2015 die Unzumutbarkeit der weiteren Mitgliedschaft des Klägers auch nicht mehr auf seine kritischen Äußerungen in einer Zeitung im März 2015 stützen. Die in der Zeitung wiedergegebene Kritik des Klägers an dem Verhalten der Beklagten im Tarifkonflikt kann allerdings grundsätzlich als wichtiger Grund für einen Ausschluss in Betracht gezogen werden. Der Kläger hat den mehrfachen massiven Streik der Lokführer als "falsch und schädlich für Deutschlands älteste Gewerkschaft" bezeichnet. Unter dem Gesichtspunkt der Koalitionsfreiheit ist jedoch für die beklagte Gewerkschaft die Solidarität ihrer Mitglieder und ein geschlossenes Auftreten nach außen von besonderer Bedeutung. Nach der Interessenlage der Beklagten lag es daher zur Vermeidung weiterer Beeinträchtigungen und eines Ansehensverlustes nahe, auf diese Äußerungen möglichst umgehend mit einem Ausschluss zu reagieren.
Tatsächlich hat die Beklagte jedoch nahezu sechs Monate abgewartet. Damit hat sie deutlich gemacht, dass ihr eine weitere Hinnahme der Mitgliedschaft nicht unzumutbar war. Es ist zwar "politisch" nachvollziehbar, dass die Beklagte bei einem Ausschluss des Klägers noch während des Arbeitskampfes Sorge vor einem "Aufschrei der Öffentlichkeit" hatte. Dennoch hat die Beklagte mit der Hinnahme der Aussagen über rund ein halbes Jahr nach außen zu erkennen gegeben, dass diese Äußerungen auch unter Berücksichtigung ihrer öffentlichen Wirkung kein dringendes Bedürfnis für einen Ausschluss begründeten.