25.04.2023

Gleichbehandlungsgrundsatz: Teilweise erfüllte Insolvenzforderung begründet nicht Erwartung auf vollständige Befriedigung

Die allein auf die teilweise Erfüllung gestützte Erwartung, der Insolvenzverwalter werde auch die restliche Insolvenzforderung vollständig befriedigen, genügt nicht, um den das Insolvenzrecht beherrschenden Gleichbehandlungsgrundsatz hinter die Individualinteressen einzelner Gläubiger zurücktreten zu lassen.

BGH v. 9.3.2023 - IX ZR 150/21
Der Sachverhalt:
Im April 2019 buchte der Kläger bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen je einen Flug von Frankfurt a.M. nach Kapstadt in Südafrika und von Kapstadt nach Frankfurt a.M. Er bezahlte den Flugpreis. Der Hinflug sollte am 10.3.2020 stattfinden, der Rückflug am 22.3.2020.

Am 1.12.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb danach fort. Am 10.3.2020 beförderte sie den Kläger, wie im April 2019 gebucht, nach Kapstadt. Der Rückflug von Kapstadt nach Frankfurt a.M. am 22.3.2020 wurde hingegen wegen der Corona-Pandemie von der Beklagten annulliert. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten wurde, nachdem ein Insolvenzplan zustande gekommen war, mit Beschluss vom 26.11.2020 aufgehoben. Der Kläger verlangt, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, Erstattung des auf den Rückflug entfallenden Teils der Flugscheinkosten nebst Zinsen.

Das AG gab der Klage statt; das LG wies sie ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach Art. 5 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 lit. a FluggastrechteVO sind für sich genommen erfüllt. Der Rückflug ist annulliert worden. Der Erstattungsanspruch des Klägers ist jedoch keine Masseverbindlichkeit, sondern eine Insolvenzforderung, die gem. § 254 Abs. 1, § 254b InsO nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nur nach Maßgabe des Insolvenzplans geltend gemacht werden kann.

Die Fortsetzung des Flugbetriebs wertete die Insolvenzforderung des Klägers weder für sich genommen noch i.V.m. etwaigen Erklärungen der Beklagten, der Flugbetrieb werde fortgesetzt, zu Masseforderungen auf. Durch das genannte Verhalten sind der Beklagten keine Masseverbindlichkeiten in sonstiger Weise durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet worden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 InsO). Die Beklagte mag andere Fluggäste, deren Beförderungsansprüche insolvenzbedingt nicht durchsetzbar waren, anstandslos befördert haben. Aus dem Verhalten gegenüber Dritten folgte jedoch keine Selbstbindung der Beklagten gegenüber dem Kläger.

Der Umstand, dass die Beklagte den Hinflug ausgeführt hat, nicht aber den Rückflug, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Die Erfüllung einer Insolvenzforderung aus der Masse führt nicht zu einer Aufwertung der Insolvenzforderung zu einer Masseforderung. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Konkurs- und zur Vergleichsordnung kann der Verwalter vielmehr Zahlungen, die er an einen Insolvenzgläubiger in der Annahme leistet, eine Masseverbindlichkeit zu erfüllen, nach § 812 BGB als rechtsgrundlos zurückfordern. Erfüllt der Verwalter wissentlich eine Insolvenzforderung, ist eine Rückforderung gem. § 814 BGB ausgeschlossen; an der auf § 38 InsO beruhenden Einordnung der Forderung als Insolvenzforderung ändert sich jedoch nichts. Gleiches gilt für die Erfüllung von Ansprüchen, die nicht auf Geld gerichtet sind.

Die teilweise Erfüllung einer Insolvenzforderung lässt nicht nur die Rechtsnatur des erfüllten Teils der Forderung unberührt, sondern wirkt sich auch nicht auf den nicht erfüllten Teil der Forderung aus. Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Kläger mag auf die Erfüllung seiner Beförderungsansprüche vertraut haben. Das allein reicht jedoch für eine Aufwertung einer Insolvenzforderung zu einer Masseverbindlichkeit nicht aus. Die Einordnung einer Forderung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit betrifft nicht nur den jeweiligen Insolvenzgläubiger, sondern auch die übrigen Insolvenzgläubiger, deren Quoten sich entsprechend erhöhen oder verringern. Die allein auf die teilweise Erfüllung gestützte Erwartung, der Insolvenzverwalter werde auch die restliche Insolvenzforderung vollständig befriedigen, genügt nicht, um den das Insolvenzrecht beherrschenden Gleichbehandlungsgrundsatz hinter die Individualinteressen einzelner Gläubiger zurücktreten zu lassen.

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Aufsatz:
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Holger Altmeppen, ZIP 2023, 721
ZIP0053823

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