Grundsatzurteil: Vorliegen einer Einzelfallausnahme wird formal bestimmt
BGH 25.9.2018, II ZR 190/17Die Beklagte ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft. Nachdem im Mai 2005 über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, beschloss die Hauptversammlung im Mai 2011 unter dem damaligen Alleinvorstand und Aktionär R. u.a. die Fortsetzung der Gesellschaft sowie eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung.
R. besaß laut seiner Stimmrechtsmitteilung aus Dezember 2011 etwa 24 % der Aktien. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens im Wege des Planverfahrens übernahm der Kläger Anfang 2012 fast 36 % der neuen Aktien. Sein Aktienanteil entsprach danach 19,56 % am gezeichneten Kapital. Für diese Aktien gab der Kläger am 23.4.2013 eine Stimmrechtsmitteilung ab. R. wurde zuvor am 10.4.2013 aus wichtigem Grund als Vorstand abberufen und ein neuer Vorstand bestellt. Am 18.2.2014 verfügte R. über 10,89 % der Aktien.
Der Kläger hat mehrere in der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 21.2.2014 gefasste Beschlüsse mit der Begründung angefochten, dass ihm zu Unrecht der Zutritt zur Hauptversammlung verweigert worden sei. Das LG gab der Klage statt, das Berufungsgericht änderte das Urteil ab und wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich die Anfechtungsbefugnis des Klägers nicht verneinen. Anfechtungsbefugt sind nach § 245 Nr. 2 Fall 1 AktG in der Hauptversammlung nicht erschienene Aktionäre, wenn sie zu Unrecht nicht zugelassen worden sind. Der Kläger ist in der Hauptversammlung nicht erschienen. Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass die Beklagte dem Kläger den Zutritt zur Hauptversammlung von Anbeginn an verweigert hat. Dies ist deshalb auch im Revisionsverfahren zu unterstellen.
Doch die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen seine Annahme nicht, dass die Zutrittsverweigerung berechtigt war und der Kläger die Rechte aus seinen Aktien aufgrund eines Meldeverstoßes nach § 21 Abs. 1 WpHG i.V.m. § 28 Abs. 1 WpHG verloren hatte. Von dem Rechtsverlust wird zwar auch das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung erfasst. Zu Unrecht ist das OLG aber davon ausgegangen, dass der Kläger eine Stimmrechtsmitteilung unterlassen habe. Denn die Voraussetzungen einer Zurechnung der Stimmen von R. nach § 22 Abs. 2 S. 1 WpHG aF wegen eines abgestimmten Verhaltens liegen nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor. Den Gründen des Berufungsurteils lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger und R. zu einer Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Beklagten zusammengewirkt haben.
Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Kläger und R. mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Beklagten zusammengewirkt haben. Die Ausführungen des OLG lassen nicht erkennen, dass die vom Kläger und R. angestrebte Neuausrichtung auf den Bereich der erneuerbaren Energien eine bestehende unternehmerische Ausrichtung der Beklagten ändern sollte. Unternehmerische Ausrichtung ist die vom Vorstand aufgrund seiner Leitungsmacht bestimmte Unternehmenspolitik der Gesellschaft. Der Begriff der unternehmerischen Ausrichtung ist gesetzlich nicht definiert. Von der Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten iSd § 22 Abs. 2 S. 2 Fall 2 WpHG aF wird allerdings weder die erstmalige Bestimmung der Unternehmenspolitik noch eine Abrede mit dem Ziel, eine bestehende unternehmerische Ausrichtung und damit die jeweils bestehende Unternehmenspolitik beizubehalten, erfasst.
Das Berufungsgericht hat zu einer zum maßgeblichen Zeitpunkt bestehenden unternehmerischen Ausrichtung der Beklagten keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen. Um zu ermitteln, ob und in welchem Umfang eine Änderung geplant ist, ist aber die bisherige unternehmerische Ausrichtung eines Emittenten mit der von den zusammenwirkenden Personen beabsichtigten unternehmerischen Ausrichtung zu vergleichen. Die erstmalige Bestimmung der unternehmerischen Ausrichtung ist gerade keine Änderung einer bestehenden unternehmerischen Ausrichtung. Wenn die Ankündigung auf der Hauptversammlung über die Neuausrichtung nicht umgesetzt wurde, die Unternehmenspolitik aber auch nicht anderweitig festgelegt wurde, zielte das Zusammenwirken des Klägers mit R. noch auf die erstmalige Neubestimmung der unternehmerischen Ausrichtung nach der wirtschaftlichen Neugründung.
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Auch wenn sich der Kläger und R. über die Ausübung von Stimmrechten verständigt haben sollten (§ 22 Abs. 2 S. 2 Fall 1 WpHG aF), weil sie sich bezüglich der Abwahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und der Wahl neuer Aufsichtsratsmitglieder verständigt haben, handelt es sich aber auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen jedenfalls um eine Vereinbarung in einem Einzelfall, bei der eine Stimmrechtszurechnung nicht stattfindet (§ 22 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 WpHG aF). Die vom BGH bislang offengelassene Frage, wie der Begriff des Einzelfalls in § 22 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 WpHG aF zu bestimmen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet. Der Senat schließt sich allerdings der Auffassung an, wonach das Vorliegen eines Einzelfalls formal zu bestimmen ist.
Linkhinweise:
- Der Volltext ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.