Höchstbetragsbürgschaft: Tatbestandsmerkmal der Kenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann bei Umzug des Schuldners entfallen
OLG Brandenburg v. 14.6.2023 - 4 U 93/22
Der Sachverhalt:
Die klagende Bank hat den Beklagten aus einer Höchstbetragsbürgschaft vom 4.4.2012 auf Zahlung von 308.394 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Hauptschuldnerin war die ("Firma") GmbH & Co KG, der die Klägerin einen Kontokorrentkredit von bis zu 500.000 € gewährt hatte. Der Beklagte war Geschäftsführer der Komplementärin der Hauptschuldnerin und hatte sich für dieses Darlehen bis zu einer Höhe von 400.000 € selbstschuldnerisch verbürgt. In den AGB der Klägerin zum Bürgschaftsvertrag wurde die Verjährungsfrist wie folgt geregelt:
"Die gesetzliche Verjährungsfrist für die Ansprüche aus dieser Bürgschaft wird auf 5 Jahre verlängert."
Neben der Bürgschaft war das Darlehen mit weiteren Sicherungsmitteln abgesichert: einer Höchstbetragsbürgschaft der ("Name Nachname") über 675.000 €, der Verpfändung eines Kontoguthabens sowie mit drei Buchgrundschulden im Nominalwert von insgesamt 784.606 €. Nachdem die Hauptschuldnerin im Jahr 2015 in Insolvenz geriet, kündigte die Klägerin das zum damaligen Zeitpunkt mit 337.024,71 € valutierende Darlehen und forderte den Beklagten mit Schreiben vom 24.9.2015 zur Zahlung bis zum 2.11.2015 auf.
Der Beklagte zog 2018 in die Schweiz, was die Klägerin nicht wusste. Die von ihr im Oktober 2018 und November 2019 beantragten Mahnbescheide konnten deshalb nicht zugestellt werden. Adressermittlungen, u.a. bei der Mutter des Beklagten und durch einen Dienstleister, blieben ohne Erfolg. Bereits mit der beim LG am 3.3.2020 eingegangenen Klage hat die Klägerin die öffentliche Zustellung der Klage beantragt. Nach einem Dezernatswechsel wurde die Klägerin mit Verfügung vom 21.5.2021 darauf hingewiesen, dass die öffentliche Zustellung mangels richterlicher Anordnung nicht wirksam sei. Die Zustellung (u.a.) der Klageschrift über die schweizerischen Behörden wurde sodann veranlasst und am 2.12.2021 durch Übergabe an den Beklagten vollzogen.
Der Beklagte war der Ansicht, er hafte nicht aus der Bürgschaft, weil er seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Komplementärin bereits zum 31.12.2013 gekündigt habe. Die Bürgschaft sei wegen Übersicherung sittenwidrig; jedenfalls sei die Forderung verjährt. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Forderung sei verjährt. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten gem. §§ 765 Abs. 1, 488 Abs. 1 S. 2 BGB einen Zahlungsanspruch in der geltend gemachten Höhe. Der Zahlungsanspruch ergab sich aus dem Bürgschaftsvertrag. Dieser war weder wirksam widerrufen noch gekündigt worden; auch war er nicht wegen Übersicherung sittenwidrig.
Ein wirksamer Widerruf der auf den Bürgschaftsvertrag gerichteten Willenserklärung des Beklagten lag nicht vor. Es fehlte bereits an einer Darlegung der vom Beklagten behaupteten "Haustürsituation" i.S.d. § 312b BGB a.F. Die Darlegungs- und Beweislast trägt insofern nach allgemeinen Grundsätzen der Verbraucher und wäre im vorliegenden Fall der Beklagte. Dieser hatte den Bürgschaftsvertrag auch nicht wirksam gekündigt. Zwar war im Bürgschaftsvertrag die Möglichkeit einer Kündigung vorgesehen; eine solche ließ jedoch den Bestand der bis zur Kündigung aufgelaufenen Bürgschaftsverpflichtung unberührt. Die Behauptung des Beklagten, er habe seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Komplementärin zum 31.12.2013 gekündigt, war für das hier in Rede stehende Vertragsverhältnis nicht relevant. Die Beendigung der Stellung des Beklagten als Geschäftsführer der Komplementärin ließ die Wirksamkeit der Bürgschaft grundsätzlich unangetastet.
Die Bürgschaftsforderung war letztlich nicht verjährt. Zwar kann eine Verlängerung der Verjährungsfrist bei Bürgschaften auf fünf Jahre in AGB als maßvoll und wirksam angesehen werden, wenn sie zugleich die kenntnisunabhängige Verjährung erfasst und insofern den Bürgen begünstigt. Einer endgültigen Klärung bedurfte diese Rechtsfrage hier allerdings nicht, da die Bürgschaftsforderung auch nach der Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht verjährt war. Die Verjährungsfrist begann hier erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Klägerin die Wohnadresse des Beklagten mit gerichtlicher Verfügung vom 11.5.2020 bekannt gegeben worden war, d.h. mit dem Schluss des Jahres 2020. Denn erst mit der gerichtlichen Verfügung hatte die Klägerin die für den Fristbeginn erforderliche Kenntnis von der Person des Schuldners.
Verliert der Gläubiger seine Kenntnis von der aktuellen Anschrift des Schuldners, weil dieser zwischenzeitlich umzieht, ohne seine neue Anschrift mitzuteilen, entfällt das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Maßgeblich ist insoweit die Kenntnis des Gläubigers von der "richtigen" (= aktuellen) Adresse des Schuldners. Der Auffassung, wonach der Wegfall der Kenntnis von der aktuellen Schuldneranschrift nach § 206 BGB zu behandeln sei, war nicht zu folgen. Denn ob dem Gläubiger die Anschrift des Schuldners bereits bei Entstehung des Anspruchs unbekannt ist oder der Gläubiger diese Kenntnis später - z.B. wegen eines unbekannt gebliebenen Umzugs des Schuldners - wieder verliert, ist von zufälligen Umständen außerhalb der Sphäre des Gläubigers abhängig, die eine rechtlich unterschiedliche Behandlung nicht zu rechtfertigen vermögen.
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Landesrecht Brandenburg
Die klagende Bank hat den Beklagten aus einer Höchstbetragsbürgschaft vom 4.4.2012 auf Zahlung von 308.394 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Hauptschuldnerin war die ("Firma") GmbH & Co KG, der die Klägerin einen Kontokorrentkredit von bis zu 500.000 € gewährt hatte. Der Beklagte war Geschäftsführer der Komplementärin der Hauptschuldnerin und hatte sich für dieses Darlehen bis zu einer Höhe von 400.000 € selbstschuldnerisch verbürgt. In den AGB der Klägerin zum Bürgschaftsvertrag wurde die Verjährungsfrist wie folgt geregelt:
"Die gesetzliche Verjährungsfrist für die Ansprüche aus dieser Bürgschaft wird auf 5 Jahre verlängert."
Neben der Bürgschaft war das Darlehen mit weiteren Sicherungsmitteln abgesichert: einer Höchstbetragsbürgschaft der ("Name Nachname") über 675.000 €, der Verpfändung eines Kontoguthabens sowie mit drei Buchgrundschulden im Nominalwert von insgesamt 784.606 €. Nachdem die Hauptschuldnerin im Jahr 2015 in Insolvenz geriet, kündigte die Klägerin das zum damaligen Zeitpunkt mit 337.024,71 € valutierende Darlehen und forderte den Beklagten mit Schreiben vom 24.9.2015 zur Zahlung bis zum 2.11.2015 auf.
Der Beklagte zog 2018 in die Schweiz, was die Klägerin nicht wusste. Die von ihr im Oktober 2018 und November 2019 beantragten Mahnbescheide konnten deshalb nicht zugestellt werden. Adressermittlungen, u.a. bei der Mutter des Beklagten und durch einen Dienstleister, blieben ohne Erfolg. Bereits mit der beim LG am 3.3.2020 eingegangenen Klage hat die Klägerin die öffentliche Zustellung der Klage beantragt. Nach einem Dezernatswechsel wurde die Klägerin mit Verfügung vom 21.5.2021 darauf hingewiesen, dass die öffentliche Zustellung mangels richterlicher Anordnung nicht wirksam sei. Die Zustellung (u.a.) der Klageschrift über die schweizerischen Behörden wurde sodann veranlasst und am 2.12.2021 durch Übergabe an den Beklagten vollzogen.
Der Beklagte war der Ansicht, er hafte nicht aus der Bürgschaft, weil er seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Komplementärin bereits zum 31.12.2013 gekündigt habe. Die Bürgschaft sei wegen Übersicherung sittenwidrig; jedenfalls sei die Forderung verjährt. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Forderung sei verjährt. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten gem. §§ 765 Abs. 1, 488 Abs. 1 S. 2 BGB einen Zahlungsanspruch in der geltend gemachten Höhe. Der Zahlungsanspruch ergab sich aus dem Bürgschaftsvertrag. Dieser war weder wirksam widerrufen noch gekündigt worden; auch war er nicht wegen Übersicherung sittenwidrig.
Ein wirksamer Widerruf der auf den Bürgschaftsvertrag gerichteten Willenserklärung des Beklagten lag nicht vor. Es fehlte bereits an einer Darlegung der vom Beklagten behaupteten "Haustürsituation" i.S.d. § 312b BGB a.F. Die Darlegungs- und Beweislast trägt insofern nach allgemeinen Grundsätzen der Verbraucher und wäre im vorliegenden Fall der Beklagte. Dieser hatte den Bürgschaftsvertrag auch nicht wirksam gekündigt. Zwar war im Bürgschaftsvertrag die Möglichkeit einer Kündigung vorgesehen; eine solche ließ jedoch den Bestand der bis zur Kündigung aufgelaufenen Bürgschaftsverpflichtung unberührt. Die Behauptung des Beklagten, er habe seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Komplementärin zum 31.12.2013 gekündigt, war für das hier in Rede stehende Vertragsverhältnis nicht relevant. Die Beendigung der Stellung des Beklagten als Geschäftsführer der Komplementärin ließ die Wirksamkeit der Bürgschaft grundsätzlich unangetastet.
Die Bürgschaftsforderung war letztlich nicht verjährt. Zwar kann eine Verlängerung der Verjährungsfrist bei Bürgschaften auf fünf Jahre in AGB als maßvoll und wirksam angesehen werden, wenn sie zugleich die kenntnisunabhängige Verjährung erfasst und insofern den Bürgen begünstigt. Einer endgültigen Klärung bedurfte diese Rechtsfrage hier allerdings nicht, da die Bürgschaftsforderung auch nach der Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht verjährt war. Die Verjährungsfrist begann hier erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Klägerin die Wohnadresse des Beklagten mit gerichtlicher Verfügung vom 11.5.2020 bekannt gegeben worden war, d.h. mit dem Schluss des Jahres 2020. Denn erst mit der gerichtlichen Verfügung hatte die Klägerin die für den Fristbeginn erforderliche Kenntnis von der Person des Schuldners.
Verliert der Gläubiger seine Kenntnis von der aktuellen Anschrift des Schuldners, weil dieser zwischenzeitlich umzieht, ohne seine neue Anschrift mitzuteilen, entfällt das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Maßgeblich ist insoweit die Kenntnis des Gläubigers von der "richtigen" (= aktuellen) Adresse des Schuldners. Der Auffassung, wonach der Wegfall der Kenntnis von der aktuellen Schuldneranschrift nach § 206 BGB zu behandeln sei, war nicht zu folgen. Denn ob dem Gläubiger die Anschrift des Schuldners bereits bei Entstehung des Anspruchs unbekannt ist oder der Gläubiger diese Kenntnis später - z.B. wegen eines unbekannt gebliebenen Umzugs des Schuldners - wieder verliert, ist von zufälligen Umständen außerhalb der Sphäre des Gläubigers abhängig, die eine rechtlich unterschiedliche Behandlung nicht zu rechtfertigen vermögen.
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