Identifizierende Verdachtsberichterstattung nur bei vorheriger Konfrontation des Betroffenen zulässig
OLG Frankfurt a.M. v. 8.5.2024 - 16 U 33/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Profi-Fußballer und wurde in die deutsche Fußballnationalmannschaft berufen. Er wendet sich gegen Aussagen in einem Artikel in einem Nachrichtenmagazin der Beklagten. Das LG hatte dem Eilantrag nur zu einem geringen Teil stattgegeben und ihn im Übrigen abgewiesen.
Die Berufung des Klägers hatte vor dem für Presserecht zuständigen 16. Zivilsenat des OLG zum überwiegenden Teil Erfolg. Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Gründe:
Zu Recht wendet sich der Kläger gegen in dem Artikel enthaltene Verdachtsäußerungen, die in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht eingreifen. Da es an einer ausreichenden Anhörung und Möglichkeit zur Stellungnahme zu den wesentlichen den Verdacht stützenden Indizien vor der Veröffentlichung gemangelt hat, kann er Unterlassung verlangen.
Maßgeblich für die Frage, ob Unterlassung verlangt werden kann, ist die Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers einerseits und dem Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit der Beklagten andererseits. Bei dem Artikel handelt es sich um eine Verdachtsberichterstattung über Zweifel und Gerüchte am tatsächlichen Alter des Klägers. Es wird der Verdacht geschildert, dass der Kläger tatsächlich älter als angegeben ist und andere leibliche Eltern hat. Diese Schilderungen sind geeignet, sich erheblich auf das Ansehen des über den Artikel identifizierbaren Klägers auszuwirken. Sie haben zudem eine erhebliche Breitenwirkung.
Demgegenüber hat aber auch das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse hier ein großes Gewicht. Die Berichterstattung leistete einen Beitrag zu einer Diskussion von öffentlichem Interesse, denn das Alter eines Fußballprofis ist ein erhebliches Kriterium bei dessen Marktwert.
Das für eine zulässige identifizierende Verdachtsberichterstattung erforderliche Mindestmaß an Beweistatsachen hat hier zwar vorgelegen. Auch erfolgt durch den Bericht keine unzulässige Vorverurteilung. Der Vorrang des Informationsinteresses besteht aber darüber hinaus nur, wenn dem Betroffenen vorab ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Daran fehlt es hier. Die Möglichkeit zur Stellungnahme hat u.a. den Zweck, dass der Autor seine Recherchen und Ergebnisse kritisch hinterfragt und gegebenenfalls Nachermittlungen anstellen kann.
Der Betroffene ist mit dem wesentlichen Kern der Vorwürfe, Anknüpfungstatsachen und Argumenten zu konfrontieren. Wird wesentlich auf ein vermeintliches Indiz abgestellt, muss auch dazu die Sichtweise des Betroffenen eingeholt werden. Die Beklagte stützt hier ihren Verdacht u.a. auf eigene Recherchen, insbesondere Gespräche mit angeblichen Angehörigen. Aus diesen leitet sie wesentliche Anhaltspunkte für den geäußerten Verdacht her. Sie hätte dem Kläger deshalb auch hierzu die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen müssen. Das Benennen des Kernverdachts allein ist nicht ausreichend gewesen. Da die Konfrontation mit den Vorwürfen inhaltlich unzureichend war, hätte die konkrete Berichterstattung in einem für den durchschnittlichen Leser wesentlichen Punkt anders ausfallen können, wenn eine Stellungnahme des Verfügungsklägers eingeholt und berücksichtigt worden wäre.
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OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 24 vom 8.5.2024
Der Kläger ist Profi-Fußballer und wurde in die deutsche Fußballnationalmannschaft berufen. Er wendet sich gegen Aussagen in einem Artikel in einem Nachrichtenmagazin der Beklagten. Das LG hatte dem Eilantrag nur zu einem geringen Teil stattgegeben und ihn im Übrigen abgewiesen.
Die Berufung des Klägers hatte vor dem für Presserecht zuständigen 16. Zivilsenat des OLG zum überwiegenden Teil Erfolg. Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Gründe:
Zu Recht wendet sich der Kläger gegen in dem Artikel enthaltene Verdachtsäußerungen, die in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht eingreifen. Da es an einer ausreichenden Anhörung und Möglichkeit zur Stellungnahme zu den wesentlichen den Verdacht stützenden Indizien vor der Veröffentlichung gemangelt hat, kann er Unterlassung verlangen.
Maßgeblich für die Frage, ob Unterlassung verlangt werden kann, ist die Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers einerseits und dem Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit der Beklagten andererseits. Bei dem Artikel handelt es sich um eine Verdachtsberichterstattung über Zweifel und Gerüchte am tatsächlichen Alter des Klägers. Es wird der Verdacht geschildert, dass der Kläger tatsächlich älter als angegeben ist und andere leibliche Eltern hat. Diese Schilderungen sind geeignet, sich erheblich auf das Ansehen des über den Artikel identifizierbaren Klägers auszuwirken. Sie haben zudem eine erhebliche Breitenwirkung.
Demgegenüber hat aber auch das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse hier ein großes Gewicht. Die Berichterstattung leistete einen Beitrag zu einer Diskussion von öffentlichem Interesse, denn das Alter eines Fußballprofis ist ein erhebliches Kriterium bei dessen Marktwert.
Das für eine zulässige identifizierende Verdachtsberichterstattung erforderliche Mindestmaß an Beweistatsachen hat hier zwar vorgelegen. Auch erfolgt durch den Bericht keine unzulässige Vorverurteilung. Der Vorrang des Informationsinteresses besteht aber darüber hinaus nur, wenn dem Betroffenen vorab ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Daran fehlt es hier. Die Möglichkeit zur Stellungnahme hat u.a. den Zweck, dass der Autor seine Recherchen und Ergebnisse kritisch hinterfragt und gegebenenfalls Nachermittlungen anstellen kann.
Der Betroffene ist mit dem wesentlichen Kern der Vorwürfe, Anknüpfungstatsachen und Argumenten zu konfrontieren. Wird wesentlich auf ein vermeintliches Indiz abgestellt, muss auch dazu die Sichtweise des Betroffenen eingeholt werden. Die Beklagte stützt hier ihren Verdacht u.a. auf eigene Recherchen, insbesondere Gespräche mit angeblichen Angehörigen. Aus diesen leitet sie wesentliche Anhaltspunkte für den geäußerten Verdacht her. Sie hätte dem Kläger deshalb auch hierzu die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen müssen. Das Benennen des Kernverdachts allein ist nicht ausreichend gewesen. Da die Konfrontation mit den Vorwürfen inhaltlich unzureichend war, hätte die konkrete Berichterstattung in einem für den durchschnittlichen Leser wesentlichen Punkt anders ausfallen können, wenn eine Stellungnahme des Verfügungsklägers eingeholt und berücksichtigt worden wäre.
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