In situ generierter Stickstoff zur Schädlingsbekämpfung stellt Biozidprodukt dar
BGH v. 10.11.2022 - I ZR 16/22
Der Sachverhalt:
Die beiden in Österreich ansässigen Parteien bieten auch in Deutschland u.a. für Museen und andere kulturelle Einrichtungen Leistungen zur Schädlingsbekämpfung an. So bietet die Beklagte im Internet ein als Stickstoffbehandlung, Stickstoffbegasung oder Behandlung in sauerstoffarmer Atmosphäre bezeichnetes Verfahren an und führt. Dabei wird eine abgeschlossene Einhausung in Form eines Zelts aus luftdicht verschweißten Bahnen um das zu behandelnde Objekt aufgebaut. Mit dem Stickstoffgenerator entzieht sie der natürlich vorkommenden Luft unter Einsatz von Aktivkohle den Sauerstoff und stellt den annähernd reinen Stickstoff zur weiteren Verwendung bereit. Der Generator saugt auch Außenluft an und lässt den hieraus gewonnenen Stickstoff in das Zelt ein
Über eine behördliche Zulassung des vom Generator bereitgestellten Stickstoffs für die Verwendung als Biozidprodukt nach der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (BiozidVO) verfügt die Beklagte nicht. Nach erfolgloser Abmahnung im März 2018 hatte die Klägerin eine einstweilige Verfügung des LG, die dieses nach Widerspruch der Beklagten bestätigte, erwirkt. Nach erfolgloser Berufung der Beklagten forderte die Klägerin die Beklagte im Juni 2019 erfolglos zur Abgabe einer Abschlusserklärung und zur Auskunftserteilung auf. Daraufhin nahm sie die Beklagte gerichtlich u.a. auf Unterlassung in Anspruch.
Das LG hat der Klage stattgegeben. OLG und BGH haben die Entscheidung weitestgehend bestätigt.
Gründe:
Der Klägerin steht nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, §§ 3, 3a UWG, Art. 17 Abs. 1 BiozidVO ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UWG kann, wer eine nach § 3 UWG oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Unterlassungsanspruch besteht nach § 8 Abs. 1 Satz 2 UWG bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung droht. Soweit der Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr gestützt wird, ist er nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten sowohl nach dem zum Zeitpunkt seiner Vornahme geltenden Recht wettbewerbswidrig war als auch nach dem zur Zeit der Revisionsentscheidung geltenden Recht wettbewerbswidrig ist.
Vor Verkündung des Berufungsurteils ist die in § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG geregelte Anspruchsberechtigung der Mitbewerber mit Wirkung vom 1.12.2021 neu gefasst worden (Art. 9 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020; UWG n.F.). Die Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG stehen nunmehr nicht mehr - wie noch unter § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG a.F. - jedem Mitbewerber zu, sondern nur dem Mitbewerber, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Eine Übergangsregelung sieht das Gesetz hierfür nicht vor. Die Definition des Mitbewerbers ist inhaltlich unverändert geblieben.
Die Klägerin ist als Mitbewerberin der Beklagten nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG a.F. und n.F. anspruchsberechtigt. Nach § 3 Abs. 1 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig. Mit Recht haben die Vorinstanzen angenommen, dass die Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 BiozidVO eine Marktverhaltensregelung i.S.d. § 3a UWG darstellt und ein lauterkeitsrechtliches Vorgehen gegen eine Verletzung dieser Vorschrift möglich ist. Unabhängig davon, dass hier weder festgestellt noch ersichtlich ist, dass die Beklagte ihre Leistungen auch gegenüber Verbrauchern anbietet, steht die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern der Verfolgung eines Verstoßes gegen Art. 17 Abs. 1 BiozidVO unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gem. § 3a UWG nicht entgegen.
Der von der Beklagten bei ihrem Schädlingsbekämpfungsverfahren aus der Außenluft generierte Stickstoff ist ein Biozidprodukt und unterliegt daher grundsätzlich der Zulassungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 BiozidVO. Der Ausdruck Biozidprodukt bezeichnet nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, zweiter Gedankenstrich BiozidVO auch jeglichen Stoff (ebenso jegliches Gemisch), der aus Stoffen oder Gemischen erzeugt wird, die selbst nicht unter den ersten Gedankenstrich fallen, und der dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen. Das Berufungsgericht hatte ausgeführt, jedenfalls der von der Beklagten bei ihrem Schädlingsbekämpfungsverfahren mittels eines Generators in situ aus der Außenluft hergestellte und sodann von außen in die Einhausung eingelassene Stickstoff sei ein Biozidprodukt i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, zweiter Gedankenstrich BiozidVO. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Zwar liefert der vom Berufungsgericht in Bezug genommene Bewertungsbericht zu Stickstoff vom 28.11.2008, der in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 89/2009/EG und in Erwägungsgrund 5 der BiozidVO erwähnt wird, keinen unmittelbaren Beleg für die Einordnung von Stickstoff als Biozidprodukt. Gleichwohl wird die Sichtweise des Berufungsgerichts durch die Entstehungsgeschichte der Biozidverordnung gestützt.
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BGH online
Die beiden in Österreich ansässigen Parteien bieten auch in Deutschland u.a. für Museen und andere kulturelle Einrichtungen Leistungen zur Schädlingsbekämpfung an. So bietet die Beklagte im Internet ein als Stickstoffbehandlung, Stickstoffbegasung oder Behandlung in sauerstoffarmer Atmosphäre bezeichnetes Verfahren an und führt. Dabei wird eine abgeschlossene Einhausung in Form eines Zelts aus luftdicht verschweißten Bahnen um das zu behandelnde Objekt aufgebaut. Mit dem Stickstoffgenerator entzieht sie der natürlich vorkommenden Luft unter Einsatz von Aktivkohle den Sauerstoff und stellt den annähernd reinen Stickstoff zur weiteren Verwendung bereit. Der Generator saugt auch Außenluft an und lässt den hieraus gewonnenen Stickstoff in das Zelt ein
Über eine behördliche Zulassung des vom Generator bereitgestellten Stickstoffs für die Verwendung als Biozidprodukt nach der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (BiozidVO) verfügt die Beklagte nicht. Nach erfolgloser Abmahnung im März 2018 hatte die Klägerin eine einstweilige Verfügung des LG, die dieses nach Widerspruch der Beklagten bestätigte, erwirkt. Nach erfolgloser Berufung der Beklagten forderte die Klägerin die Beklagte im Juni 2019 erfolglos zur Abgabe einer Abschlusserklärung und zur Auskunftserteilung auf. Daraufhin nahm sie die Beklagte gerichtlich u.a. auf Unterlassung in Anspruch.
Das LG hat der Klage stattgegeben. OLG und BGH haben die Entscheidung weitestgehend bestätigt.
Gründe:
Der Klägerin steht nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, §§ 3, 3a UWG, Art. 17 Abs. 1 BiozidVO ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UWG kann, wer eine nach § 3 UWG oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Unterlassungsanspruch besteht nach § 8 Abs. 1 Satz 2 UWG bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung droht. Soweit der Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr gestützt wird, ist er nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten sowohl nach dem zum Zeitpunkt seiner Vornahme geltenden Recht wettbewerbswidrig war als auch nach dem zur Zeit der Revisionsentscheidung geltenden Recht wettbewerbswidrig ist.
Vor Verkündung des Berufungsurteils ist die in § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG geregelte Anspruchsberechtigung der Mitbewerber mit Wirkung vom 1.12.2021 neu gefasst worden (Art. 9 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020; UWG n.F.). Die Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG stehen nunmehr nicht mehr - wie noch unter § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG a.F. - jedem Mitbewerber zu, sondern nur dem Mitbewerber, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Eine Übergangsregelung sieht das Gesetz hierfür nicht vor. Die Definition des Mitbewerbers ist inhaltlich unverändert geblieben.
Die Klägerin ist als Mitbewerberin der Beklagten nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG a.F. und n.F. anspruchsberechtigt. Nach § 3 Abs. 1 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig. Mit Recht haben die Vorinstanzen angenommen, dass die Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 BiozidVO eine Marktverhaltensregelung i.S.d. § 3a UWG darstellt und ein lauterkeitsrechtliches Vorgehen gegen eine Verletzung dieser Vorschrift möglich ist. Unabhängig davon, dass hier weder festgestellt noch ersichtlich ist, dass die Beklagte ihre Leistungen auch gegenüber Verbrauchern anbietet, steht die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern der Verfolgung eines Verstoßes gegen Art. 17 Abs. 1 BiozidVO unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gem. § 3a UWG nicht entgegen.
Der von der Beklagten bei ihrem Schädlingsbekämpfungsverfahren aus der Außenluft generierte Stickstoff ist ein Biozidprodukt und unterliegt daher grundsätzlich der Zulassungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 BiozidVO. Der Ausdruck Biozidprodukt bezeichnet nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, zweiter Gedankenstrich BiozidVO auch jeglichen Stoff (ebenso jegliches Gemisch), der aus Stoffen oder Gemischen erzeugt wird, die selbst nicht unter den ersten Gedankenstrich fallen, und der dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen. Das Berufungsgericht hatte ausgeführt, jedenfalls der von der Beklagten bei ihrem Schädlingsbekämpfungsverfahren mittels eines Generators in situ aus der Außenluft hergestellte und sodann von außen in die Einhausung eingelassene Stickstoff sei ein Biozidprodukt i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, zweiter Gedankenstrich BiozidVO. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Zwar liefert der vom Berufungsgericht in Bezug genommene Bewertungsbericht zu Stickstoff vom 28.11.2008, der in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 89/2009/EG und in Erwägungsgrund 5 der BiozidVO erwähnt wird, keinen unmittelbaren Beleg für die Einordnung von Stickstoff als Biozidprodukt. Gleichwohl wird die Sichtweise des Berufungsgerichts durch die Entstehungsgeschichte der Biozidverordnung gestützt.
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