Insolvenz einer KG: Notwendigkeit der Reisekosten eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts
BGH 27.2.2018, II ZB 23/16Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der M-GmbH & Co. KG (Schuldnerin) mit Sitz in Hamburg. Er nahm den Beklagten als Kommanditisten der Schuldnerin auf die Rückzahlung von Ausschüttungen i.H.v. rd. 5.400 € vor dem LG Frankenthal in Anspruch. Er ließ sich durch eine in Berlin und Münster ansässige Rechtsanwaltskanzlei vertreten, wobei der Prozessbevollmächtigte zur mündlichen Verhandlung am 15.1.2015 aus Berlin anreiste. Das LG erließ am 27.1.2016 ein Anerkenntnisurteil, nach dem der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Neben dem Beklagten nahm der Kläger im gesamten Bundesgebiet weit mehr als 100 Kommanditisten auf die Rückzahlung von Ausschüttungen gerichtlich in Anspruch.
Im Kostenfestsetzungsverfahren verlangte der zum Vorsteuerabzug berechtigte Kläger die Festsetzung von Kosten i.H.v. rd. 1.900 € (brutto), darunter Fahrtkosten (Nr. 7004 VV RVG) i.H.v. rd. 195 € (netto), Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) i.H.v. 40 € (netto) und Übernachtungskosten (Nr. 7006 VV RVG) i.H.v. rd. 74 € (netto). Im Hinblick auf eine vom Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16.1.2015 vor dem LG Mainz wahrgenommene Verhandlung, brachte er Übernachtungskosten, die Kosten für eine Flugreise von Berlin nach Frankfurt und zurück sowie für eine Bahnfahrt von Frankenthal nach Mainz nur hälftig in Ansatz. Eine vom Kläger vorgelegte Vergleichsberechnung für eine Reise von Berlin oder Hamburg nach Frankenthal und zurück ergab jeweils höhere Kosten.
Das LG setzte die vom Beklagten zu erstattenden Kosten auf 1.070 € fest. Es hielt u.a. die Fahrt- und Übernachtungskosten sowie das Tage- und Abwesenheitsgeld i.H.v. rd. 310 € (netto) nicht für erstattungsfähig, weil es dem Kläger als Insolvenzverwalter zuzumuten sei, einen Prozessbevollmächtigten am Ort des Prozessgerichts zu beauftragen. Daneben hielt es mit Blick auf die Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers die Mehrwertsteuer nicht für erstattungsfähig. Die gegen die Nichtfestsetzung der Fahrt- und Übernachtungskosten sowie des Tage- und Abwesenheitsgelds gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers führte zur Festsetzung weiterer Kosten i.H.v. rd. 310 € geführt.
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Gem. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO sind Reisekosten eines Rechtsanwalts der obsiegenden Partei, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, nur insoweit zu erstatten, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war.
Die Zuziehung eines in der Nähe des eigenen Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei ist im Regelfall eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung. Dieser Grundsatz erfährt eine Ausnahme, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird. Hieran anknüpfend nimmt der BGH an, dass ein als Rechtsanwalt zugelassener Insolvenzverwalter ohne weiteres im Stande ist, einen am Prozessgericht tätigen Rechtsanwalt sachgerecht über den Gegenstand des jeweiligen Verfahrens zu unterrichten.
Dies schließt auf den Einzelfall bezogene Erwägungen zur sachlichen Rechtfertigung der Beauftragung eines nicht am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts indes nicht aus, etwa, wenn sich diese aus der Komplexität der jeweiligen Rechtstreitigkeit ergibt oder weil mehrere gleich gelagerte Rechtstreitigkeiten bei verschiedenen Gerichten zu führen sind und die Partei aus diesem Grund die Wahrnehmung ihrer Belange durch einen Rechtsanwalt als sachdienlich ansehen kann. Das OLG hat hiervon ausgehend die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten ohne Rechtsfehler bejaht. Es entspricht auch bezogen auf den jeweiligen Einzelfall bei der gebotenen typisierenden Betrachtung einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, die Geltendmachung rechtlich gleichgelagerter Ansprüche auf Rückzahlung von Ausschüttungen in einer Publikumskommanditgesellschaft vor verschieden Gerichten in die Hände eines Rechtsanwalts zu geben, damit dieser einen Gesamtüberblick über die Verfahren gewinnen und ggf. auf Entwicklungen in Parallelverfahren reagieren kann.
Dies gilt in besonderem Maße für Fälle, in denen ein Insolvenzverwalter Ansprüche gem. § 171 Abs. 2 HGB gegen Kommanditisten verfolgt, weil der jeweilige Anspruch des Insolvenzverwalters davon abhängt, dass die jeweilige Zahlung noch zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger benötigt wird, denen die Kommanditisten nach §§ 128, 171, 172 HGB haften. Das OLG hat zutreffend angenommen, dass eine vernünftig handelnde Partei um dieser Vorteile willen im wohlverstandenen eigenen Interesse etwaige durch die Beauftragung nur eines Rechtsanwalts entstehende Mehrkosten in Kauf nehmen würde. Die geltend gemachten Kosten liegen auch unter den fiktiven Kosten, die im Falle der Beauftragung eines am Geschäftssitz des Klägers ansässigen Rechtsanwalts entstanden wären.
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