Irreführung durch Anlocken
OLG Frankfurt a.M. 19.9.2013, 6 U 183/12Die Klägerin ist ein Spezial-Chemie-Konzern und Herstellerin eines chemischen Mittels zur Kaltentkeimung von alkoholfreien und von sog. Mischgetränken. Ihr Produkt ist das einzige chemische Kaltentkeimungsmittel dieser Art auf dem Markt. Vergleichbar sind allenfalls die chemischen Zusätze Sorbat und Benzoat, die als sog. Konservierungsmittel verstanden werden. Die Beklagte vertreibt einen sog. "Reinraum" zur sterilen Abfüllung von Getränken. Sie bewirbt ihr Produkt u.a. mit dem im Internet veröffentlichten Werbeprospekt "REINRAUM RICHTIG! Ohne Kaltentkeimungs- und Konservierungsstoffe".
Die Klägerin warf der Beklagten vor, in diesem Prospekt mehrere wettbewerbswidrige Behauptungen aufgestellt zu haben, wegen derer sie Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz verlangte. Die Klägerin beanstandete, dass die Beklagte so tue, als ob der "Reinraum" die richtige Methode und die chemische Kaltentkeimung die falsche Methode sei. Zum anderen täusche die Beklagte die Werbeempfänger darüber, dass auch bei Einsatz ihres "Reinraums" gegebenenfalls Kaltentkeimungsmittel oder Konservierungsstoffe eingesetzt werden müssten um die Keimbelastung aus dem Getränk zu beseitigen.
Das LG wies die Klage ab. Die Äußerungen würden von dem angesprochenen Fachpublikum richtig verstanden. Der Fachmann setze namentlich die wiederholte Auslobung "Ohne Kaltentkeimungsmittel" in den Kontext eines aseptischen Herstellungs- und Abfüllprozesses, wo sie deswegen auch zutreffend sei. Auf die Berufung der Klägerin hob das OLG das erstinstanzliche Urteil auf und gab der Klage statt. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte Auskunfts- und Schadensersatzansprüche wegen der wettbewerbswidrigen Handlungen zu, die der Geschäftsführer zu verantworten und für die die Beklagte gem. § 8 Abs. 2 UWG einzustehen hat.
Erweckt der Inhalt einer Werbung beim Adressaten eine Fehlvorstellung über die mit dem Angebot zu erzielenden Vorteile, die ihn zu einer näheren Befassung mit dem Angebot veranlasst, kann hierin auch dann ein Verstoß gegen § 5 UWG liegen, wenn der Adressat bei näherer Prüfung vor der Kaufentscheidung erkennt, dass diese Vorteile nur erreicht werden können, wenn weitere von dem Angebot unabhängige Vorkehrungen getroffen werden. Der damit verbundene Anlockeffekt führt jedenfalls dann zu einer relevanten Irreführung, wenn dem Anbieter ein berechtigtes Interesse an einer solchen Werbung nicht zugebilligt werden kann.
Gegen die Beklagte sprach, dass der von ihr beanspruchte Aussagegehalt nicht lediglich eine Relativierung der Aussage "Reinraum richtig! Ohne Kaltentkeimungsmittel und Konservierungsstoffe" darstellte sondern vielmehr eine massive Einschränkung der Auslobung. Die Umrüstung einer herkömmlichen Produktionsanlage hin zu einer aseptischen Produktion bringt ausweislich der dazu erforderlichen zahlreichen und einschneidenden Vorgaben umfangreiche finanzielle und organisatorische Anstrengungen mit sich, die hier nicht auf der Hand lagen und in dem Werbeprospekt noch nicht einmal ansatzweise angesprochen wurden. Hinzu kam, dass sich die Werbung der Beklagten nicht nur an Techniker richtete, sondern auch an die Geschäftsleitungen und die Einkaufsabteilungen von Getränkeherstellern. Diese sind erfahrungsgemäß mit dem Produktionsprozess zwar im Groben, nicht aber in allen Einzelheiten vertraut. Für sie spielt der Kostendruck durch die Verwendung von Kaltentkeimungsmitteln eine erhebliche Rolle.
Da es lediglich darauf ankommt, ob die Werbeaussage geeignet ist, eine Irreführung des angesprochenen Verkehrskreises herbeizuführen, kam es nicht darauf an, ob bei der weiteren Entscheidungsfindung von technischer Seite die aseptische Herstellung der Getränke ins Spiel gebracht wurde. Auch der weitere Inhalt des Prospekts, wie etwa die Aussage "Einzigartiges Luftmanagement gegen Sekundärkontamination", die sich nur auf die Kontaminationsgefahr beim Füllvorgang bezieht, ebenso wie der Umstand, dass die Beklagte nur Reinräume, nicht aber voll integrierte Abfüllanlagen vertreibt, vermochten die von der Werbeaussage ausgehende Irreführungsgefahr nicht beseitigen.
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