Kartellabsprachen: Zum Verhältnis zwischen ordentlichem Verfahren und Vergleichsverfahren
EuG 20.5.2015, T-456/10Die Kommission erlegte im Jahr 2010 sechs Gruppen von Herstellern, die sich an einem Preiskartell beteiligt und über eine Zeit von mehr als 30 Jahren den Markt für Futterphosphate unter sich aufgeteilt hatten, Geldbußen i.H.v. insgesamt rd. 176 Mio. € auf. Die betroffenen Unternehmen hatten im Rahmen dieses Kartells die Absatzquoten nach Regionen und Kunden aufgeteilt und die Preise sowie in bestimmten Fällen die Verkaufsbedingungen abgestimmt. Der Roullier-Gruppe - zu ihr gehört deren Tochtergesellschaft Timab Industries - wurde wegen ihrer Beteiligung an diesem Kartell in der Zeit von 1993 bis 2004 eine Geldbuße i.H.v. rd. 60 Mio. € auferlegt.
Anders als die übrigen in das Kartell verwickelten Gruppen wollte die Roullier-Gruppe, als sie die ungefähre Höhe der Geldbuße erfuhr, die die Kommission gegen sie verhängen wollte, keinen Vergleich mit der Kommission schließen. Ein solcher Vergleich dient zur Vereinfachung des Verfahrens: Die betroffenen Unternehmen geben ihre Beteiligung an dem Kartell zu und geben Verpflichtungszusagen ab und erhalten im Gegenzug eine Geldbußen-Ermäßigung von 10 Prozent. Die Kommission wandte daher im Fall der Roullier-Gruppe das ordentliche Verfahren an. Dabei handelte es sich um das erste sog. Hybridverfahren, d.h., das Vergleichsverfahren und das ordentliche Verfahren wurden parallel durchgeführt.
Die Roullier-Gruppe erhob Klage auf Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung und auf Herabsetzung der Geldbuße. Sie wirft der Kommission insbesondere vor, gegen die Roullier-Gruppe eine Geldbuße verhängt zu haben, die über dem Maximum der bei den Vergleichsverhandlungen vorgesehenen Bandbreite liege.
Das EuG wies die Klage ab. Gegen die Entscheidung kann innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim EuGH eingelegt werden.
Die Gründe:
Die Kommission hat zwar bei den Vergleichsverhandlungen eine gesamtschuldnerische Geldbuße i.H.v. 41 bis 44 Mio. € vorgeschlagen, während sich die Geldbuße, die der Roullier-Gruppe letztlich auferlegt wurde, auf nahezu 60 Mio. € beläuft. Sie hat allerdings für die Berechnung der Bandbreite der Geldbußen im Vergleichsverfahren dieselbe Methode angewandt wie für die Höhe der im Rahmen des ordentlichen Verfahrens letztlich verhängten Geldbuße. Der Unterschied zwischen der Höhe des Betrags im Vergleichsverfahren und dem endgültigen Geldbußenbetrag ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Kommission im Rahmen des Vergleichsvorschlags Ermäßigungen vorgenommen hatte, die sie im Rahmen des ordentlichen Verfahrens nicht anzuwenden brauchte, und dass sie beim ordentlichen Verfahren neue Informationen berücksichtigte, durch die sie gezwungen war, den Fall erneut zu prüfen, die berücksichtigte Dauer neu festzulegen und die Geldbuße anzupassen. Die Kommission hat die Roullier-Gruppe also nicht dafür bestraft, dass sie sich aus dem Vergleichsverfahren zurückgezogen hat.
Die Kommission ist an die im Rahmen des Vergleichsverfahrens genannte Bandbreite ohnehin nicht gebunden. Die Festlegung einer Geldbußen-Bandbreite ist ein Instrument, das ausschließlich und speziell im Vergleichsverfahren zum Einsatz kommt, nicht jedoch im ordentlichen Verfahren. In Letzterem muss die Kommission die Verantwortlichkeiten der betroffenen Unternehmen unter Berücksichtigung der ihr zur Kenntnis gebrachten neuen Argumente und Gesichtspunkte festlegen; dies kann sich auf die Höhe der zu verhängenden Geldbuße auswirken. Es wäre mithin unlogisch, wenn die Kommission eine Geldbußen-Bandbreite anwenden müsste, die für ein anderes, inzwischen eingestelltes Verfahren gilt.
Im Übrigen hat die Kommission nach den Feststellungen des EuG im Rahmen der Vergleichsverhandlungen den Sachverhalt ordnungsgemäß geprüft, die der Roullier-Gruppe vorgeworfenen wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen zutreffend analysiert und beurteilt und die Höhe der Geldbuße fehlerfrei berechnet.
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