26.06.2023

Kartellrechtswidrige Preisabsprachen: Zuck­er­her­s­teller zu Scha­dens­er­satz­zah­lungen in Millionenhöhe ver­ur­teilt

Im Mannheimer Zuckerkartellverfahren hat das LG Mannheim zwei Pilotverfahren durch Urteil abgeschlossen. Drei große deutsche Zuckerhersteller wurden zum Ausgleich von Preisüberhöhungsschäden zu Zahlungen in Millionenhöhe verurteilt.

LG Mannheim v. 23.6.2023 - 14 O 61/18 u.a.
Der Sachverhalt:
Nachdem das Bundeskartellamt am 18.2.2014 gegen die drei großen deutschen Zuckerhersteller Nordzucker AG, Pfeifer & Langen GmbH & Co. KG und Südzucker AG Bußgelder wegen wettbewerbsbeschränkender Gebiets-, Quoten- und Preisabsprachen im Bereich von Zucker für die weiterverarbeitende Industrie (sog. Verarbeitungszucker) verhängt hatte, sind in der Folgezeit beim LG Mannheim rund 40 Kartellklagen verschiedener Lebensmittel- bzw. Getränkehersteller anhängig gemacht worden, in denen Ersatzforderungen mit einem wirtschaftlichen Gesamtinteresse von mehreren hundert Mio. Euro (einschließlich Zinsforderungen) erhoben wurden. In den Verfahren machten bzw. machen die Kläger geltend, sie und - soweit vorhanden - mit ihnen verbundene Unternehmen hätten wegen des Zuckerkartells erheblich überhöhte Preise für Verarbeitungszucker gezahlt, den sie von den Beklagten und Dritten zwischen 1996 und 2010 bzw. 2014 bezogen hätten.

Die Pilotverfahren im Zuckerkartellverfahren

Im Hinblick auf die erforderliche Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob und in welcher Höhe den Klägern ein Schaden entstanden sei, hat die Kartellkammer beim LG Mannheim sechs aus ihrer Sicht repräsentative Verfahren ausgewählt, in denen eine Abhandlung der für die sachverständige Beurteilung maßgeblichen Fragen zu erwarten war. Dabei handelt es sich um die Klagen der Lebensmittelhersteller

 -      Goldeck Süßwaren GmbH (14 O 104/18),

-      Jung & Schmitt GmbH (14 O 98/18),

-      Katjes Fassin GmbH & Co. KG (14 O 90/18),

-      Molkerei Alois Müller GmbH & Co. KG (14 O 103/18),

-      Nestlé Deutschland AG (14 O 61/18) und

-      Zott SE & Co. KG (14 O 107/18).

In den Pilotverfahren hat die Kammer in der Verhandlung vom 16.11.2020 im Rahmen eines sog. Einweisungstermins den Sachverständigen Prof. Dr. Justus Haucap vor der Ausarbeitung seines Gutachtens zu dem von ihm voraussichtlich zugrunde gelegten Konzept befragt und den Parteien Gelegenheit zu einer ergänzenden Befragung gegeben.

Zu seinen beiden schriftlichen ökonomischen Gutachten wurde er von Gericht und Beteiligten in zwei Anhörungsterminen, die sich über 2 Tage (1. und 2. Juni 2022) bzw. 5 Tage (23. bis 27. Januar 2023) erstreckten, umfassend befragt. Dabei erläuterte der Sachverständige, dass er im Rahmen seiner Schadensschätzung von der Preisentwicklung in Frankreich in den Jahren 2001 bis 2014 darauf geschlossen habe, dass die analysierten Zuckerpreise in Deutschland zwischen 2001 und 2009 ohne die verbotenen Absprachen um rund 2 % niedriger gewesen wären.

Nach der Sitzung im Januar 2023 nahmen die Goldeck Süßwaren GmbH und die Zott SE & Co. KG ihre Klagen zurück. Die Katjes Fassin GmbH & Co. KG erklärte ihre teilweise für erledigt. Dort sowie im weiteren Pilotverfahren betreffend die Klage der Jung & Schmitt GmbH wird die Verhandlung wiedereröffnet werden.

Mit Urteilen vom 23.6.2023 hat die Kartellkammer beim LG Mannheim in den zwei entscheidungsreifen Pilotverfahren, in denen Preisüberhöhungsschäden von insgesamt rund 83 Mio. € geltend gemacht worden sind, die drei großen deutschen Zuckerhersteller Nordzucker AG, Pfeifer & Langen GmbH & Co. KG und Südzucker AG verurteilt,

-      an die Nestlé Deutschland AG rund 8,4 Mio. € und

-      an die Molkerei Alois Müller GmbH & Co. KG rund 6,3 Mio. €

zu zahlen. Hinzu kommen jeweils Zinszahlungen in ähnlicher Dimension, die teilweise bis 1998 zurückreichen.


Die Gründe:
Die Würdigung sämtlicher Einzelfallumstände ergibt im Ergebnis, dass die Preise für Verarbeitungszucker in Deutschland von 1997 bis September 2009 wegen des Zuckerkartells um rund 2 % überhöht waren. Dabei handelt es sich um eine Schätzung. Zwar beschränkte die Regulierung der europäischen Zuckermärkte den Wettbewerb zwischen Anbietern von Verarbeitungszucker erheblich. Auch ließen die übrigen Marktcharakteristika bereits ohne verbotene Absprachen in erheblichem Umfang erwarten, dass die Zuckerhersteller vorwiegend Kunden in der Nähe ihrer Zuckerfabriken beliefern, die ursprünglich historisch bedingt in Norddeutschland (Nordzucker), Westdeutschland (Pfeifer & Langen) und Süd- und Mitteldeutschland (Südzucker) konzentriert waren. Wesentlicher Restwettbewerb um Absatzgebiete, Kunden und Kundenpreise war aber dennoch möglich und wurde durch die über dreizehn Jahre andauernden verbotenen Absprachen mit preisüberhöhender Wirkung beschränkt. Das bestätigen neben weiteren Indizien auch die ökonomischen Analysen des Gerichtssachverständigen.

LG Mannheim v. 23.6.2023 - 14 O 61/18 und 14 O 103/18

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LG Mannheim PM vom 23.6.2023
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